Die therapeutische Anwendung psychoaktiver Substanzen

Erinnerung an Hanscarl Leuner (1918 –1996)

Hanscarl Leuner auf einem Symposium des ECBS in den Achtzigern. Foto: Giorgio Samorini

Auszug aus dem Heft

Lucy’s Geschichte – In dieser Rubrik werfen wir einen Blick zurück auf die Geschichte der multidisziplinären Forschung auf dem Gebiet der Bewusstseinsveränderung und der psychoaktiven Substanzen. Herausragende Wissenschaftler verschiedener Disziplinen haben alle zu ihrer Zeit einen bedeutenden Beitrag für ein vertieftes Verständnis des menschlichen Bewusstseins und des Potenzials psychoaktiver Substanzen geleistet und inspirieren uns damit auch heute noch. In jeder Ausgabe von LUCY’S RAUSCH werden wir deshalb einen bedeutenden psychonautischen Experten in Erinnerung rufen und würdigen, indem wir auszugsweise einen grundlegenden Fachartikel oder ein Vortragsmanuskript nachdrucken.

Wir beginnen den Reigen historischer Texte mit einem zusammenfassenden Bericht über das Symposion «Über den derzeitigen Stand der Forschung auf dem Gebiet der psychoaktiven Substanzen». Es wurde vor nunmehr 30 Jahren auf Einladung von Hanscarl Leuner – dem 1996 verstorbenen Pionier und Altmeister der therapeutischen Anwendung psychoaktiver Substanzen und Begründer der psycholytischen Therapie – gemeinsam mit Peter Hess durchgeführt (29. November bis 1. Dezember 1985 in Hirschhorn/ Neckar) und führte in der Folge unter anderem zur Gründung des Europäischen Collegiums für Bewusstseinsstudien (ECBS).
Auch wenn sich die Hoffnungen auf wissenschaftliche Anerkennung und Wiederzulassung klinisch-therapeutischer Studien auf dem Gebiet der psycholytischen Therapie bis heute nur in einigen wenigen Ansätzen erfüllt haben und die damalige Aufbruchstimmung zunehmend mit unüberwindbaren gesetzlichen Hindernissen konfrontiert wurde (beispielsweise in Form des neuen deutschen Arzneimittelgesetzes von 1986), kann die Erinnerung an die anregende interdisziplinäre Diskussion auf diesem Symposion uns heute noch wichtige Anknüpfungspunkte und Anregungen liefern, um den psychonautischen Geist und die wissenschaftliche Neugier zur vertieften Erforschung des menschlichen Bewusstseins wachzuhalten.

Nach Begrüssung der 25 Teilnehmer hebt Prof. Leuner hervor, dass die Tagung interfakultativen Charakter habe. Drei Gruppen heben sich ab: die Vertreter der Grundlagenforschung aus Chemie, Biochemie, Psychopharmakologie und Psychologie als die eine Gruppe, die Psychotherapeuten, also Ärzte, Psychiater, Psychoanalytiker und klinische Psychologen als zweite sowie die kulturanthropologisch und ethnologisch orientierten Teilnehmer mit Interesse für «magische Pflanzen» und deren heilkundliche, religiöse oder prophetische Anwendung, dem Studium der Bräuche der Naturvölker usw. als die dritte Gruppe.

Es ist das Faszinierende der Arbeit an und mit den psychoaktiven Substanzen, dass sie das forscherische Interesse in einem derart breiten Spektrum hervorrufen. Ein derartiges interfakultatives Treffen jedoch trage auch die Gefahr in sich, dass die Vertreter der drei Gruppen auf Kommunikationsschwierigkeiten stoßen. Sie unterscheiden sich nach ihren Studienrichtungen und den sich daraus ergebenden Erfahrungs- und Anschauungshorizonten, ihrer unterschiedlichen Fachsprache und der divergenten Zielsetzung ihrer Arbeit: die Grundlagenforscher als Experimentatoren und an empirische Ergebnisse gewöhnt, die Therapeuten als helfende Praktiker, die psychoaktive Substanzen nur als Hilfsmittel benutzen und von den Regeln ihres Standes abhängig sind, und die letzte Gruppe, die mit dem methodischen Rüstzeug der Geisteswissenschaften eine ganz andere Sprache spricht.
Leuner sieht die Tagung deshalb als einen ersten Versuch des gegenseitigen Kennen- und Verstehenlernens und als eine bislang nur wenig geübte Form, voneinander Anregungen zu gewinnen und zu lernen. – Ausgelassen wurden bewusst die Fachleute aus dem Bereich der Missbrauchsforschung, obgleich hier bekanntlich große Probleme vorliegen, deren Bedeutung in keiner Weise unterschätzt werden kann. Das geschah vor allem, um den Rahmen der Tagung begrenzt zu halten.

Im Einleitungsvortrag von Hanscarl Leuner mit dem Titel Zum Stand der pharmakologisch assistierten Psychotherapie ist es dem Referenten ein Anliegen, nach einer Periode von zwei Jahrzehnten missbräuchlicher Anwendung halluzinogener und anderer Substanzen zunächst die gesellschaftspolitische Stellung der von den Teilnehmern verfolgten Arbeitsrichtung zu charakterisieren. Man müsse bei dieser Entwicklung – einmal abgesehen von der bekannten Gesetzgebung in allen Ländern – den extrem negativen Einfluss in Erinnerung rufen, der zu der gesellschaftspolitischen Stellung halluzinogener und analoger Substanzen geführt habe und den sie noch heute in der Öffentlichkeit, aber auch bei den maßgeblichen staatlichen Ordnungsträgern infolge der Kriminalisierung der Rauschmittel-User besitzen. Der Referent skizziert die seinerzeitige Entwicklung. Während bis Mitte der 60er Jahre LSD und Psilocybin und deren Derivate als «experimentelle Substanzen» nur Forschern und Therapeuten zugänglich waren, führte die Überschwemmung des schwarzen Marktes mit diesen Mitteln zu den bekannten heftigen Überreaktionen bei der WHO und der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) mit der zunehmenden Einschränkung der in den USA zum Teil sehr qualifiziert angelegten Grundlagen- und psychiatrischen Forschungsprogramme. Die bereits zur Regel […]

Michael Schlichting

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