Text: Claudia Müller-Ebeling
Wo Gottheiten unter Menschen weilen, die ihnen Schreine und Tempel errichten, entfalten sich Mythen, Künste und Kreativität. Ihre opulente Kultivierung inmitten tropisch üppiger Natur und kunstvoll angelegten Reisterrassen lockte Künstler aus aller Welt seit langem nach Bali, zum gegenseitig befruchtenden Austausch. Anfang des 20. Jahrhunderts war es zum Beispiel der Holländer Walter Spiess, den einheimische Künste inspirierten und dessen perspektivische Malerei und choreografischen Anregungen nachhaltige Spuren in balinesischen Gemälden und im Ketchak-Affen-Tanz hinterließen. Seit 2004 arbeitet auch der Brite Luke Brown auf Bali, mit versierten Kunsthandwerkern, die ihm sogar visionäre Werke in 3D ermöglichen.
Auf der indonesischen «Insel der Götter» nehmen Shiva, Brahma und Vishnu auf allgegenwärtigen Lotosthronen Platz, die von der Weltschildkröte Bedawang getragen werden. In der vom Hinduismus inspirierten Steinmetzkunst verschmelzen Flachreliefs mit Vollplastiken, die Eingangstore von pura genannten Tempeln mit mythischen Szenen überziehen. Aus Holz geschnitzte, bemalte Masken sind unverzichtbar für zeremonielle Tänze und Maskenspiele, welche (begleitet von Gamelan-Musik) die ewige Dynamik der Schöpfungs- und Zerstörungskraft – verkörpert im Schutzgeist Barong und in der Hexe Rangda – vor Augen führen.
Dass diese beiden einander weder besiegen noch töten können, wird sinnlich begreifbar, wenn scharfe, flammenartig geschmiedete Klingen von Kris-Dolchen Tanzende nicht verletzen, die erst durch Spritzer von tirtha-Weihwasser aus ihrer Trance erwachen. Denn ihr – vergeblich – gegen sich selbst eingesetzter Kris ist eine von mächtigen Ahnengeistern bewohnte rituelle Waffe, deren schützende Gegenwart sich in rituellen Tänzen offenbart. Mit kostbar kunstfertig geschnitzten Handgriffen aus Elfenbein gelten diese göttlichen Dolche als heiliges (in Tempeln aufbewahrtes) Erbe von Gemeinden und Familien. Im wayang-kulit-Schattenspiel begeistern groteske Archetypen menschlicher Emotionen das balinesische Publikum; mit Figuren aus Büffelleder und (anhand von Stäben) beweglichen Gliedmaßen, deren typische Gestik geschickte Hände (der dalang, Puppenspieler) eindrucksvoll in Szene setzen.
Weiblich verführerische Fruchtbarkeit bezeugen detailreich in Holz geschnitzte vegetabil umrankte Nymphen. Üppige Pyramiden aus Früchten, Reiskuchen, Süßigkeiten tragen Balinesinnen mit bewundernswerter Balance auf ihren Köpfen zu Tempeln und Schreinen, als Dank für die Geschenke der göttlichen Natur. Kunstfertig fabrizierte Palmblattgirlanden, reich geschmückte Opfergaben und der Duft von Räucherwerk ehren Ahnen, Gottheiten und Dämonen. Sie sind gleichermaßen allgegenwärtig. Im Vulkan Gunung Agung, der vielfältiges Leben ermöglicht, ernährt und zerstört; in der balinesischen Kultur, die auf ihrer polaren Dynamik beruht, und im Bewusstsein der auf Bali lebenden Menschen, die schöpferische, erhaltende und zerstörerische Kräfte gleichermaßen würdigend anerkennen. Im Alltag – und in Kunstwerken, die Ahnen, Gottheiten und Dämonen Leben einhauchen. Voilà, das perfekte Biotop für Luke Brown. Auf der einzigen hinduistisch geprägten Insel im indonesischen Archipel blieb ein mythisches Universum lebendig, das Browns visionäre Kunst inspiriert und befeuert.
Lucys Xtra
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