Steinzeitliche Höhlenmalereien deuten darauf hin, dass die anthropogene Nutzung von Honig bereits mindestens 8000 Jahre zurückreicht (vgl. Crane 2005, S. 11f). Der Mensch wurde der Substanz zunächst per Wildsammlung habhaft, bis vor ungefähr 7000 Jahren die Imkerei entwickelt wurde.
Honig galt bis zur systematischen Kultivation von Zuckerrohr als eines der wichtigsten Süßungsmittel. Er war dabei nicht nur von kulinarischer Bedeutung, sondern auch fester Bestandteil von Bestattungsriten (z.B. bei der Mellifikation) und wurde ebenso wegen seiner antibakteriellen, antifungiziden und antiviralen Eigenschaften in der Heilkunde eingesetzt (Eteraf-Oskouei/Najafi 2013, S. 735).
Aufgrund dieser Qualitäten können diverse Lebensmittel in Honig eingelegt und damit konserviert werden – so zum Beispiel auch psilocybinhaltige Pilze. Terence McKenna (1992) entwirft in „Food of the Gods“ ein erwähnenswertes Gedankenspiel, wie sich der Wandel des Menschen vom pilzliebenden Jäger und Sammler zur alkoholgeprägten Gesellschaft vollzog:
„[Aufgrund von Klimaveränderungen] wurden Pilze [im menschlichen Lebensraum] immer knapper. Deshalb mag es dazu gekommen sein, dass die Pilze getrocknet und in Honig konserviert wurden. Da Honig jedoch selbst sehr leicht zu Alkohol vergärt, ist es möglich, dass mit der Zeit immer weniger Pilze in den Honig gemischt wurden – bis schließlich aus dem Pilz-Kult ein Met-Kult wurde. Es ist kaum eine größere Verschiebung der sozialen Werte vorstellbar, als diejenige, die mit der allmählichen Umstellung eines Psilocybinkultes auf einen Alkoholkult einhergehen würde “ (siehe: McKenna 1992, S. 121).
Es existiert eine ganze Reihe dieser Honigweine. Der bekannteste Vertreter dieser Weine ist in unseren Breiten der Met. In Russland ist ein ähnliches Getränk unter dem Namen „Medowucha“ bekannt. In Äthiopien wird traditionell ein Honigwein mit dem Namen „T’ej“ hergestellt (vgl. Netter 2019, S. 68).
Doch Honig muss nicht zwangsläufig vergoren werden, um psychoaktiv zu wirken. Einige Pflanzenarten können ebenfalls psychoaktiven Honig „produzieren“, in dem die Bienen Pollen von Pflanzen mit psychoaktiven Inhaltsstoffen verarbeiten. Rätsch (2018, S. 757) erwähnt unter anderem: Cannabis, Oleander (Nerium oleander), Tollkirsche (Atropa belladonna) sowie diverse Rhododendron-Arten.
Erwähnenswert ist dabei vor allem der von Rhododendron ponticum erzeugte „Pontische Honig“, im englischen auch „Mad Honey“ genannt. Wie der Name andeutet (pontisch: dem schwarzen Meer zugehörig), wird der Honig in der türkischen Schwarzmeerregion hergestellt. Er wird dort unter dem Namen „deli bal“ als Genuss- und alternatives Heilmittel (Potenzmittel) vertrieben.
In Südostasien wird dieser Honig von der Kliffhonigbiene (Apis dorsata laboriosa) hergestellt, die ihre Waben an steilen Klippen errichten. Der psychoaktive Honig wird dort ausschließlich wild am Standort gesammelt, wodurch die Populationen in Nepal und Tibet nahezu ausgerottet wurden.
Die Wirkstoffe des Pontischen Honigs sind Grayanotoxine (Grayanotoxin I, Andromedotoxin, Rhomotoxin). Neben der zweifelhaften potenzsteigernden Wirkung soll der Konsum in geringen Mengen eine angenehme Sedierung hervorrufen. Über die korrekte Dosierung finden sich in der Literatur jedoch nur widersprüchliche Angaben. Offensichtlich scheint aber bereits ein Teelöffel des Honigs Symptome wie Bradykardie (verlangsamter Herzschlag) und Hypotonie (verminderter Blutdruck) hervorzurufen (vgl. Sohn et al. 2014, S. 208).
Ein Tripbericht auf Erowid schildert eine Grayanotoxin-Vergiftung als geprägt von Desorientierung, stark vermindertem Sehvermögen sowie starken Kreislaufproblemen. Vergiftungen mit den Toxinen verlaufen erfreulicherweise relativ selten tödlich. Eine Behandlung erfolgt durch Verabreichung von Atropin (vgl. Onat et al. 1990, S. 575).
Dirk Netter
Literatur:
Crane, E. (2005): The rock art of honey hunters. In: Bee World, 86. Jg., H. 1, S. 11–13.
Eteraf-Oskouei, T./Najafi, M. (2013): Traditional and Modern Uses of Natural Honey in Human Diseases: A Review. In: Iranian Journal of Basic Medical Sciences, 16. Jg., H. 6, S. 731–742.
McKenna, T. (1992): Food of The Gods. The Search for the original tree of knowledge.
Netter, D. (2019): Kratom: Ethnobotanik, Anwendung, Kultur.
Onat, F. Y./Kurtel, H./Yegen, B. C./Oktay, A./Oktay, S. (1990): Atropine and AF-DX 116 in mad honey intoxication. In: European Journal of Pharmacology, 183. Jg., H. 2, S. 575.
Rätsch, C. (2018): Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen: Botanik, Ethnopharmakologie und Anwendung. 14. Aufl. Aarau/Schweiz.
Sohn, C. H./Seo, D. W./Ryoo, S. M./Lee, J. H./Kim, W. Y./Lim, K. S./Oh, B. J. (2014): Clinical characteristics and outcomes of patients with grayanotoxin poisoning after the ingestion of mad honey from Nepal. In: Internal and Emergency Medicine, 9. Jg., H. 2, S. 207–211.