Die Gier und der Messewahn

Roger Liggenstorfer: Klartext

Kiffer sehen sich manchmal gerne revolutionär. Dazu bescheiden, ehrlich und das Gegenteil von gierig. Ich dachte dies in meinen jungen Kifferjahren vor rund 45 Jahren ebenso – ziemlich naiv, ich geb‘s zu.

Den Irrglauben von der Ehrlichkeit nahm man mir, als eines Tages an meinem Marktstand das Buch The Great Book of Hashisch von Laurence Cherniak geklaut wurde. Ich verstand diesen barbarischen Akt in keiner Form: Wie kann man einem Freak an seinem Freakstand ein Buch klauen, wie konnte dieser üble Zeit- (und wohl auch Haschisch-) Genosse das nächste Chillum mit ruhigem Gewissen rauchen?! Der gutgläubige blauäugige Freak an seinem Marktstand verstand die Welt nicht mehr und wurde zunehmend realistischer …

Jahre später an den ersten Hanfmessen wiederholte sich die Ernüchterung in anderer Form wieder: Man(n) und Frau sahen sich, ganz im Geiste Bob Marleys, als Brüder und Schwestern, Rasta Man Vibration positiv, und jeder Joint – und die Wirkung danach – bezeugten diese fast religiöse Grundhaltung. Man war ‘one family’, stand zusammen und war in Aufbruchstimmung. Doch diese ‘Brüderlichkeit’ fand spätestens zuhause, wieder nüchtern und zu neuen (wirtschaftlichen) Taten bereit, ein abruptes Ende. Vorbei war der Gedanke des Gemeinsamen, der positiven Vibrations: Jetzt galt es den Konkurrenten auszustechen, das bessere Produkt auf den Markt zu bringen, dem netten Rauchpartner an der Messe seine Idee zu klauen und billiger auf den Markt zu bringen.

Zudem manifestierte sich – noch immer ganz der Bob – aus diesen bekifften Traumschlössern der Wunsch, als ‘Mister Legalize it’ in den Geschichtsbüchern verewigt zu werden. Leider zeigten die wenigsten politisches Gespür, ihr dilettantisches Vorgehen erzeugte oft kontraproduktive Wirkungen.

Wie viele Hanfaktivisten bekommen beim Wort CBD grasgrüne Dollarzeichen auf die Pupillen. Welche ‘Blüten’ dies erzeugt, zeigt ein Blick ins mittlerweile unübersichtliche Branchenverzeichnis. Dabei werden die ursprünglichen Blüten offenbar fast vergessen …

Aber nicht nur die ‘Wirtschaftsvertreter’ der Branche gaben sich Wall-Street-mäßig dem Big Business hin, auch die aufkommenden Messeveranstalter fühlen sich immer berufener, Großes zu vollbringen. Was einige der Pioniere auch tatsächlich taten und noch immer tun. Nur sind in den letzten Jahren immer mehr Messen wie Pilze aus dem Boden geschossen, jeder will besonders sein und sich auf Kosten der Hanfszene profilieren. Denn: Diese gerade in den letzten paar Jahren entstandenen neuen Messen fördern die Hanfbranche in keiner Art und Weise, das Gegenteil ist der Fall: Insbesondere neue Unternehmer erhoffen sich durch die Messen zusätzliche Kundschaft, kaufen groß ein, mieten einen noch größeren Stand und möchten bei den Größten mithalten. Wenn dann die erhoffte Kundschaft ausbleibt, weil die Konsumenten dieser vielen Messen allmählich überdrüssig werden, bleiben den Jungunternehmern meist nur die große Ernüchterung, leere Konten und manchmal ein schnelles und schmerzhaftes ‘Aus die Maus’.

Kiffen könnte tatsächlich was Revolutionäres sein, wenn die Erkenntnisse aus den veränderten Bewusstseinszuständen umgesetzt und im Alltag integriert würden. Wohin diese Gier und der Irrglaube des immerzu zu steigernden Bruttosozialprodukts unser globales Wirtschaftssystem hinführt, sollte eben in diesen veränderten Bewusstseinszuständen erkennbar sein – und es sollte entsprechend danach gehandelt werden, auf dass wir in unserem Tun und Wirken genügsamer werden. Aber vielleicht bin ich in dieser Hinsicht tatsächlich immer noch etwas naiv und zu gutgläubig …