Gegenpol zum Irrsinn – Die psychedelische Renaissance (Lucys Rausch 13)

Markus Bergers Editorial

Während seit zwei Jahren das pandemische Geschehen unsere Welt fest im Griff hat und das menschliche Ego sich wiederholt und ohne zu ermüden in Kriegstreibereien ergeht, beginnt die psychedelische Bewegung, wieder richtig aufzublühen. Die psychedelische Renaissance steht den Entwicklungen der globalen Gesellschaften scheinbar diametral entgegen, sie markiert im Angesicht der destruktiven Gebaren auf diesem Planeten den anderen Pol der Relativität. Daher hat sie das Potenzial, zu einer neuen Bewusstwerdung beizutragen, denn in der Psychonautik geht es um deutlich mehr als um die hedonistische Nutzung psychotroper Substanzen. Die Einsicht, das alle Trennung, alle Grenzen und alle materiellen Errungenschaften letzten Endes illusorisch sind, kann aus der psychedelischen Reflektion erwachsen – und eine solche Einsicht würde die menschliche Familie gerade jetzt so dringend benötigen.

In dieser Ausgabe haben wir daher das derzeitige Revival der psychedelischen Kultur zum Hauptthema auserkoren. Der Artikel des US-amerikanischen Kollegen Rick Strassman wird sicherlich so manchen seiner Fans verwundern, weil er doch insgesamt recht kritische Töne zur psychedelischen Renaissance anschlägt. Nun war allerdings klar, dass, wenn eines Tages die psychotropen Substanzen den Fängen der willkürlichen Pharmakratie entrissen und damit wieder salonfähig werden, auch entsprechende Auswüchse der kapitalistischen Gesellschaften sogenannter zivilisierter Länder sich manifestieren werden. So unter anderem der Ausverkauf unseres geliebten Themas, mit dem manche profitorientierte Unternehmen liebäugeln. Auch das geschieht nämlich zurzeit – und nicht alle Protagonisten der psychedelischen Bewegung sind darüber erfreut. Rick Strassman auf keinen Fall.

Wie dem auch sei, insgesamt setzt sich die psychedelische Bewegung immer noch zu einem großen Teil aus engagierten und lebensbejahenden Psychonauten zusammen – ob alte Hasen oder Newbies –, denen es um die gelebte Erfahrung und ein neues Bewusstsein geht. Dabei ist die Praxis mit solch machtvollen Pharmaka potenziell mit Risiken behaftet, denn erstens sind entheogene Mittel viel mehr als ein bloßer marginaler Freizeitspaß für den Feierabend – und für Unbedarfte und Einsteiger schon gar kein harmloser –, und zweitens tut der Psychonaut aus verständlichen Gründen gut daran, eine entsprechende Kompetenz im Umgang mit psychedelischen Molekülen und Zuständen zu entwickeln, damit der Gebrauch auch ein sinnvoller sein und das Erfahrene ins Leben integriert werden kann. Deshalb brauchen wir eine Art neues Eleusis, ein modernes Ritual, das sowohl rekreativ und spirituell orientierte Nutzer wie auch Patienten, die von den therapeutischen Vorzügen entsprechender Drogen profitieren können, in den nebenwirkungsarmen Umgang mit Psychedelika, Entaktogenen und anderen psychotropen Mitteln einführt und einen sicheren Rahmen bietet. Dazu hat unser Autor Mathias Bröckers einen höchst interessanten Beitrag verfasst.

Ich wünsche erhellende Momente der Inspiration sowohl in geistiger wie in gesellschaftlicher Hinsicht. Was wir jetzt vermehrt brauchen, ist gegenseitiges Verständnis, Toleranz, Offenheit und Solidarität – alles Eckpfeiler, für die die psychedelische Bewegung von Anfang an gestanden hat.

Markus Berger. Foto: Elfriede Liebenow