Text: Claudia Müller-Ebeling
«Ich empfehle Ihnen gar nichts. Denn was wirklich gut für Sie ist, wissen nur Sie», antwortete Christian stets ruhig, mit sonorer Stimme, auf die bei JournalistInnen notorisch beliebte Ranking-Frage, welche Droge er als «die beste» empfehlen könne.
«Am besten, Sie lassen Ihre Finger davon! Das wäre nur sinnvoll und nützlich, wenn Sie wüssten, was Sie wirklich wollen. Und das ist weitaus schwieriger, als Sie vermuten». Auf die (ebenso ermüdend häufige) Frage, was er denn heute morgen eingeworfen habe, «denn laut eigener Auskunft haben Sie ja alles selbst probiert», entgegnete er souverän: «Exquisiten First Flush Darjeeling Flugtee, wie jeden Morgen. Und Sie? Vermutlich Koffein und Nikotin.»
Die Klischeebefreiten ent-täuschten Minen waren mir stets ein Hochgenuss.
Umso wütender machten mich hartnäckige Medien-Stereotypen vom «langhaarigen Drogenguru» und seiner Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, «die in keiner Kiffer-WG fehlt». – NO! SORRY! Sie fehlt in keiner Staatsbibliothek, Universität und in keinem Büro der Kriminalistik, Drogenfahndung und Staatsanwaltschaft!
Wie wohl auch die Enzyklopädie Band 2, mit gänzlich neuen Monographien und aktuellen Ergänzungen, von Christian Rätsch und Co-Autor Markus Berger, die im September 2022 im AT Verlag erschien.
Hey, Jungs und Mädels der Journalistenzunft,
habt ihr noch alle Tassen (eurer vielbeschworenen Manufaktur reiner Fakten und nüchterner Objektivität) im Schrank? Oder wurde eure Software klammheimlich mit dem Betriebssystem «blinde Vorurteile» ausgetauscht?
Glaubt ihr wirklich, der legendäre Rätsch, das Standardwerk «Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen» (17. Auflage im Schweizer AT-Verlag) sei das Machwerk eines von teuflischen Drogen benebelten Gehirns?
Diesbezüglich hier meine ironische Reaktion auf die skandalöse Zensur von Christians Auftritt im Nachtcafé (die als «sinnlos» im Entwurfsordner blieb):
An die Nachtcafé-Chefredaktion und alle Verantwortlichen im SWR Baden-Baden
Zum Thema «Pillen, Drinks und Drogen»
im SWR-Nachtcafé am 28. Januar 2022, ab 22 Uhr
Herzlichen Dank,
dass Sie Dr. Christian Rätsch (in sechsköpfiger Runde) 8 von 90 Minuten Sendezeit zubilligten und dafür weder Mühe noch Kosten scheuten. Ihren wahrlich heroischen Aufwand beleuchten Medien-beliebte Zahlen, die zunehmend unsere Welt bedeuten:
– Der SWR investierte eine großzügige (hier unter Androhung juristischer Konsequenzen seitens des SWR* nicht zu nennende) Summe in die (ebenfalls überaus großzügige) 8-minütige Redezeit von Christian Rätsch. Zuzüglich der Personalkosten engagierter MitarbeiterInnen, die Zeit und Energie in die notwendige Kommunikation, Logistik etc. investierten.
– 30 Stunden investierte Rätsch in seine auf 8 Minuten komprimierte Präsenz. Mitsamt PCR- plus Schnelltest und Stress wegen durchweg verspäteter Bahnfahrten.
Danke für Ihren überraschenden Coup, den Autor der Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen als «Kiffer» zu titulieren, der die jammernde Drogenopfer-Runde mit einer Hippie-Klischee-üblichen Anekdote bereichern durfte.
Ich hoffe, Ihr engagierter Mitarbeiter und Kollege (Name ist der Redaktion bekannt) – der Rätsch als ‹vermeintlichen Wissenschaftler› ins Nachtcafé lockte – verdaut die entgleiste Einblendung zu seinem Redebeitrag: «Kifft täglich», die uns am 28. Januar 2022 im TV überraschte.
Wie gut, dass Sie zu unserer Desillusionierung beitrugen. Denn wie uns ein Journalist einer führenden Tageszeitung anvertraute: «Viele meiner KollegInnen verheimlichen eigene psychedelische Erfahrungen und bestätigen in journalistischen Beiträgen gewohnt kritische Töne, weil sie sich nicht isolieren wollen und Anfeindungen von JournalistInnen fürchten!»
Beste Bedingungen also für die politisch von der Ampelkoalition angestrebte Liberalisierung der jahrhundertelang bewährten Heilpflanze Cannabis …
Ironie ist der Humor von Menschen, die kritisch beleuchten, weshalb sie anderen als Vollidioten erscheinen … (frei paraphrasiertes Thomas-Mann-Zitat der Autorin)
In diesem Sinne
die gänzlich desillusionierte «Kiffergattin»
Dr. Claudia Müller-Ebeling
PS. Zum Glück konnte ich die Kiffer-WG aus dem Spiegel-Nachruf tilgen. Der unermüdlich brillante Geist von Christian Rätsch erreichte und ermutigte viele zur differenzierten Wahrnehmung der Wirklichkeit in vielfältigen Facetten wie diesen:
«Aber wer im Kopfe krank ist und ein leeres Gehirn hat, und dann Hanf isst, dem bereitet dies leicht etwas Schmerz im Kopf. Jenem aber, der einen gesunden Kopf hat und ein volles Gehirn im Kopf, dem schadet der Hanf nicht.»
Hildegard von Bingen, Physika
* Der Text wurde am 27.10. unter Androhung juristischer Konsequenzen seitens des SWR vom 26.10.2022 geändert.