Im südamerikanischen Binnenstaat Bolivien spielt der Cocastrauch eine gewichtige kulturelle Rolle. Für manche Ureinwohner Boliviens ist der Strauch heilig. Man begeht seit 2017 sogar ein Fest zu Ehren des stimulierenden Gewächses, den »Día Nacional del Acullico« (dt.: »Nationaler Tag des Kokakauens«), der alljährlich am 11. Januar abgehalten wird.
Es ist kein Zufall, dass Vizepräsident David Choquehuanca Céspedes von der MAS (Movimiento Al Socialismo; dt.: »Bewegung auf dem Weg zum Sozialismus«) am 11. Januar 2021 die Forschungsergebnisse Patricia Chulvers und Jesús Sanez vorstellte: »Hoja de coca: antecedentes y perspectivas para su exportación« (dt.: »Das Coca-Blatt: Hintergrund und Aussichten für seinen Export«). In dem vom Umweltverein Acción Semilla und von der Friedrich-Ebert-Stiftung geförderten Paper geht es vor allen Dingen um die Frage, welche Möglichkeiten und Aussichten es für einen legalen Export von Coca(-produkten) gibt.
Coca ist in Bolivien nämlich kein verbotenes Gewächs mehr. Seitdem die verfassungsgebende Versammlung Boliviens im Jahr 2009 einen Artikel zum Schutze des traditionellen Gebrauchs von Coca in die Verfassung aufnahm, fährt der Binnenstaat mittlerweile eine etwas tolerantere Schiene hinsichtlich der staatlichen Schikane und Verfolgung von Bauern.
Artikel 384
Der Staat schützt das einheimische und angestammte Coca als kulturelles Erbe, als erneuerbare natürliche Ressource der biologischen Vielfalt Boliviens und als Faktor des sozialen Zusammenhalts; in seinem natürlichen Zustand ist es kein Narkotikum. Seine Aufwertung, Produktion, Kommerzialisierung und Industrialisierung sollen gesetzlich geregelt werden.
Artikel aus der bolivianischen »Nueva Constitución Política del Estado«, verabschiedet 2009
Das Kauen oder Aufkochen von Tees aus den Blättern des Strauches ist in der Tradition mancher in Bolivien ansässiger Stämme (z.B. der Aymara und Quechua) so fest kulturell verankert, dass der gemäßigte Privatanbau und traditionelle Konsumformen wie die eben Genannten erlaubt sind. Doch wie sieht es aus mit verarbeiteter, beispielsweise in Pulverform gebrachter Coca, also Kokain? Dieses bleibt in Bolivien verboten, der Besitz ist bis zu 50 Gramm (!) allerdings entkriminalisiert.
Privatpersonen können in Bolivien kein Coca oder cocahaltige Ware exportieren. Dies ist ein Dorn im Auge mancher Geschäftsleute, die ihr legales Cocaprodukt auch außerhalb Boliviens gerne unter die Leute bringen wollen. Eine Gruppe aus Cochabamba betreibt beispielsweise das Unternehmen Sagrada (dt.: heilig), welches ein Produkt namens Sagrada Coca entwickelt. Dies soll die zuweilen als unangenehm empfundene Konsumform des Cocakauens zu einem besseren Erlebnis machen.
Jesús Sanez und Patricia Chulvers empfehlen in ihrer wissenschaftlichen Abhandlung die Herabstufung bzw. Herausnahme von Coca aus dem Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel (Single Convention on Narcotic Drugs). Dies geschah 2020 bereits mit Cannabis. Dass der Vizepräsident des Landes eine solch antiprohibitionistische Schrift am Tag des Kokakauens präsentiert und sich somit auch für eine EU-weite Entstigmatisierung des Coca-Blattes einsetzt, kann als gute Geste bolivianischer Drogenpolitik gesehen werden.