Kokainlegalisierung in Kolumbien nicht mehr unmöglich

Politiker Iván Marulanda setzt sich für Entkriminalisierung ein

Aufnahme aus Salento in Kolumbien. Foto: Reiseuhu @reiseuhu via Unsplash

In der südamerikanischen Republik Kolumbien wird mehr Kokain bewirtschaftet und verarbeitet als überall anders auf der Welt. Laut des Office of National Drug Control Policy (ONDCP) sind in Kolumbien im Jahr 2018 etwa 887 Tonnen Kokain produziert worden. Damit führt das Land in Sachen Kokainproduktion: Die kolumbianische Koks-Jahresbilanz beläuft sich auf fast 400 Tonnen mehr als die seines Nachbarn Peru (509 t). Auch Bolivien liegt mit 650 Tonnen als drittgrößtes Coca-Anbaugebiet der Welt noch weit hinter der Republik Kolumbien.

Bei solch exorbitanten Mengen an Kokain im Land bleibt eine irrsinnige Krux der ganzen Lage: Die Pflanze, Substanz und deren Derivate bleiben auch in Kolumbien weiterhin verboten. Das sorgt seit Dekaden für eine regelrechte Schwarzmarkt-Explosion und immense Kriminalität, die sich mittels mafiöser Strukturen auch weit außerhalb Kolumbiens über die ganze Welt erstreckt. Als prominentes Beispiel sei hier das skrupellos und brutal agierende Medellín-Kartell unter der Führung Pablo Escobars genannt, das Anfang der 80er Jahre für etwa ein Jahrzehnt sein Unwesen treiben konnte – und dies lediglich aufgrund des Kokainverbots.

Eine Besserung dieser Situation war lange Zeit nicht in Sicht – ganz im Gegenteil: Der Präsident Kolumbiens, Iván Duque, verabschiedete im Winter 2018 ein Dekret, dass es Polizisten erlaubt, konsumierende oder des Konsums verdächtige Bürger zu durchsuchen und ihnen sämtliche Drogen abzunehmen, obwohl das kolumbianische Verfassungsgericht 1994 beschlossen hatte, das Mitführen sogenannter „persönlicher Mengen“ zu erlauben.

Doch auch in Kolumbien regt sich seit einigen Jahren eine Opposition zum brutalen «War on Drugs». Der arrivierte kolumbianische Politiker Iván Marulanda hat in Zusammenarbeit mit einigen weiteren Kongressmitgliedern einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der die dramatische Situation des Landes ändern könnte.

Im Interview mit «VICE World News» spricht der Grünenpolitiker über seine durchdachten Pläne, um die katastrophalen Zustände in seinem Land zu adressieren. Seine Vorschläge mögen für Laien radikal klingen, gelten aber in Fachkreisen als weitgehend fundiert:

So plädiert er für eine vollständige Legalisierung von Kokain, wodurch alle der rund 200.000 Coca-Bauern straffrei produzieren könnten. Der Staat würde dann die komplette Ernte im Wert von ca. 1 Milliarde US-Dollar (4 Billionen Pesos) aufkaufen – setzt man dies ins Verhältnis zu den 680 Millionen US-Dollar (2,6 Billionen Pesos), die durch die jährliche Bekämpfung des Coca-Anbaus ensteht, würde der Staat durch diese Maßnahme einen dreistelligen Millionenbetrag einsparen.

Diese Maßnahme würde nicht nur die Produzenten entlasten, sondern auch die Umwelt in einem nicht unerheblichen Maße schonen, da der «War on Drugs» in Kolumbien ein maßgeblicher Treiber für Entwaldung und generelle Umweltzerstörung ist.

Durch die ständige Vernichtung der Plantagen, müssen die Bauern stetig weitere Teile des Regenwaldes roden, um eine für sie vernünftige Ernte einfahren zu können. So wird davon ausgegangen, dass 25 Prozent des jährlichen Waldverlustes auf die Coca-Bauern alleine zurückzuführen ist.

Neben der unwiederbringlichen Zerstörung von natürlichen Waldflächen ist die durch das Drogengesetz unvermeidliche illegale Kokainproduktion für zahlreiche weitere Umweltbelastungen verantwortlich. Neben weiteren sei an dieser Stelle die Verschmutzung von Trinkwasser genannt, die bei der Herstellung von Kokain aus den Cocablättern willentlich in Kauf genommen wird.

In einer Berechnung des United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) aus dem Jahr 1986 werden die schwindelerregenden Zahlen vom Chemikalien genannt, die jährlich (!) durch die Kokainproduktion im Nachbarland Peru ins Grundwasser gelangen:

«57 Millionen Liter Kerosin, 32 Millionen Liter Schwefelsäure, 16.000 Tonnen Branntkalk, 3.200 Tonnen Karbid, 16.000 Tonnen Toilettenpapier, 6.400.000 Liter Aceton und eine gleiche Menge Toluol wurden in die Flüsse gekippt.»

Die gute Nachricht: All diese Umweltzerstörungen könnten durch eine Legalisierung und eine damit verbundene Produktionsüberwachung nahezu vermieden werden. Wissenschaftler auf aller Welt könnten absolut reines Kokain beziehen, um nicht – wie bisher – prohibitionsbedingt Steine in den Weg gelegt zu bekommen, was wiederrum einer vernünftigen Verwendung des Kokains zugutekommen würde, sei diese hedonistisch oder medizinisch motiviert.

Marulanda brachte im Interview mit «VICE World News» aber auch seine Sorgen hinsichtlich eines Durchringens der Entkriminalisierung zum Ausdruck, als er gefragt wird, was die größten Hürden für eine Legalisierung sein könnten:

„Das erste große Hindernis besteht darin, das Gespräch [über eine Kokainlegalisierung] in die Öffentlichkeit zu bringen. Dies ist [bisher] ein riesiges Tabu gewesen. Die Kolumbianer sind unter der Annahme geboren und aufgewachsen, dass der Drogenhandel ein Krieg ist. Es gibt keine Informationen über Koka und Kokain. Deshalb hoffen wir, mit diesem Gesetzesentwurf das Gespräch eröffnen zu können.

Im Moment gibt es viele Parteien, die an der Macht sind, und sie haben diese Macht durch die Verherrlichung des Krieges gegen Drogen erlangt. Das ist ihre politische Flagge, und damit haben sie viele Stimmen gewonnen. Diese Parteien – die Regierungspartei Centro Democratico, die Konservative Partei, Cambio Radical – haben schon immer ihre traditionelle politische Haltung eingenommen: Kokain als Verbrechen zu bekämpfen.“

Ein weiterer Punkt, der für eine Legalisierung spräche, wäre die Verbesserung der sozialen Situation innerhalb der Grenzen. Obwohl Kokainkonsum in Kolumbien de jure legal ist, gibt es keinen legalen Markt der die Nachfrage decken könnte, womit effektiv die selbe „Backdoor“-Problematik besteht wie bzgl. Cannabis in Niederländischen Coffeshops.

So entsteht ein Schwarzmarkt, der seinerseits wieder für Kriminalität, Korruption und gesundheitliche Probleme sorgt, da jegliche staatliche Qualitätskontrolle für die kriminellen Dealer nicht von Bedeutung ist.

Eine moderne, liberale Gesellschaft muss sich die Frage stellen, ob die Kriminalisierung von Millionen Konsumenten eine sinnvolle Maßnahme sein kann. Wer bei Kokain-Gebrauchern von «Suchtkranken» spricht, die man mit staatlichen Mitteln vom Konsum abhalten müsse, verkennt die Tatsache, dass kaum mehr als 10 Prozent der Konsumierenden tatsächlich als abhängig gelten und einfach nur von ihrem legitimen Recht auf Genuss Gebrauch machen.

Dirk Netter und Mirko Berger

Quellen:

VICE: Colombia Is Considering Legalizing Its Massive Cocaine Industry

Wikipedia: Iván Marulanda

FAZ: Kolumbien geht Koksern an den Kragen

UNOCD: Environmental impact of coca cultivation and cocaine production in the amazon region of Peru

Geschätzte Produktion von Kokain in den wichtigsten Anbauländern in den Jahren von 2012 bis 2018