Leah Betts: Instrumentalisierung einer Drogentoten

Eine Geschichte über die Ecstasy-Panik der 90er

Vor 26 Jahren ereignete sich der tragische Tod von Leah Betts. Die damals 18-Jährige starb am Morgen des 16. Novembers 1995 an den Folgen einer Hyperhydratation (Überwässerung) bzw. der darauf folgenden Komplikationen.

Die Schülerin feierte ihren 18. Geburtstag im Landhaus ihrer Eltern in Latchingdon, England. Mit der Intention, den potenziellen Drogenkonsum ihrer Tochter zu unterbinden, befanden sich die Eltern im Haus.

Die Jugendlichen tranken dennoch Alkohol und rauchten Cannabis, eine Handvoll der Partygänger konsumierte Ecstasy-Pillen, darunter auch Leah.

Zum Verhängnis wurde ihr ein vermeintlicher Safer-Use-Ratschlag, nachdem es beim MDMA-Konsum ratsam sei, große Mengen Wassers zu konsumieren.

Die richtige Wassermenge beim Ecstasy-Konsum

Dieser Ratschlag machte in großen Teilen der Rave-Szene die Runde und wird auch heute noch gelegentlich auf Partys weitergegeben. Richtig ist: Eine vernünftige Flüssigkeitszufuhr beim Ecstasy-Konsum beträgt in etwa 250 bis maximal 500 ml pro Stunde mit nicht-alkoholischen und isotonischen Getränken (alkoholfreies Bier und natriumreiches Mineralwasser sind ebenso akzeptabel).

Den Berichten zufolge nahm Leah in einem Zeitraum von 90 Minuten ungefähr sieben Liter Wasser zu sich. Die Überwässerung (Hyperhydratation) führte zu einer Hirnschwellung. Zunächst klagte sie über extreme Schmerzen in Kopf und Beinen, litt an plötzlichem Sehverlust, kollabierte und fiel in ein Koma, aus dem sie nicht mehr erwachte. Fünf Tage später wurde die lebenserhaltende Technologie abgeschaltet und die junge Frau für tot erklärt.

Die Boulevard-Medien lieben «Drogenopfer»

Für die entsprechenden Medien war der Fall ein großer Glückstreffer. Das Opfer war eine weiße Frau aus einer gutbürgerlichen Mittelstandsfamilie. Der Vater ein pensionierter Polizist, die Stiefmutter eine Krankenschwester.

Sie fiel «der Droge» zum Opfer – womöglich war das «Rauschgift» ohnehin mit einer noch schlimmeren Substanz verunreinigt.

Es ist absolut nachvollziehbar, dass Paul Betts den Tod seiner Tochter mit einer Welle vergleicht, die seine Tochter gegen schroffe Felsen schleudert, wie es in einem Artikel der Independent zu lesen war.

Am Tag nach Leahs Tod forderte Betts, dass ihr Dealer wegen Mordes vor Gericht gestellt und im Falle einer Schuld an den Galgen gebracht werden solle. Eine befremdliche Reaktion, die jedoch im Hinblick auf die besondere Situation auch verstanden werden kann.

Allerdings war Leah Betts kein Objekt, mit dem «etwas geschieht», und die Droge keine Klippe, sondern eine Substanz, die, wenn sie rein ist und vernünftig angewendet wird, in aller Regel keine tödliche Substanz darstellt.

Nach ihrem Tod behaupteten einige Medien, Betts hätte zum ersten Mal Ecstasy konsumiert, was sich später als falsch herausstellte. Sie soll die Droge mindestens dreimal zuvor konsumiert haben, wie später bekannt wurde (Collin 2010, S. 302). Ebenso ergaben chemische Analysen, dass die Ecstasy-Tabletten keine Verunreinigungen aufwiesen.

Ein Foto der komatösen Leah Betts, auf dem sie mit Schläuchen in Mund und Nase in einem Krankenhausbett liegt, wurde von der Familie an die Presse freigegeben – als abschreckendes Beispiel für ein «Drogenopfer».

Prohibition und mangelnde Drogenaufklärung kosten Leben

Was Leah Betts Tod verursachte, lässt sich nicht mit absoluter Gewissheit sagen. Doch was sich mit Gewissheit sagen lässt: Gäbe es eine sachliche Drogenaufklärung, wäre den jungen Leuten bekannt gewesen, welche Safer-Use-Maßnahmen (inklusive der korrekten Flüssigkeitszufuhr) anzuwenden sind.

Ganz zu schweigen von einer Legalisierung, die, mittels Qualitätskontrolle und Drug Checking, eine nahezu vollständige Reinheit der Substanz garantieren und damit weitere Leben retten würde.

Symbolische Handlungen von Politik und Polizei

Noch am Tag von Leah Betts Tod adressierte der damalige Premierminister John Major die typischen Worte an das Parlament:

«Gerade in den vergangenen Tagen haben wir einen besonders öffentlichkeitswirksamen und tragischen Fall erlebt, der verdeutlicht, wie Drogen eine Familie zerstören können. (…) In einem bösen Geschäft wie diesem ist keine Droge weich und keine Droge sicher».

Wie wir heute wissen, unternahm Premierminister Major keine Anstrengungen, die Drogenpolitik entsprechend anzupassen, um dieses «böse Geschäft» einzudämmen.

Die Polizei von Essex sparte dagegen keine Kosten und Mühen, um Leah Betts Drogendealer zu finden. Die Operation dauerte ein Jahr und beschäftigte 35 Polizisten. Die ganze Aktion kostete geschätzte 300.000 britische Pfund. Verhaftet wurden schlussendlich drei Teenager – Betts Freunde, die ebenfalls bei der Geburtstagsparty anwesend waren. Alle kamen auf freien Fuß (Collin 2010, S. 302f).

Der «böse Dealer» war ein ganz normaler Teenager, der die Ecstasy-Pillen selbst im örtlichen Club gekauft und an Betts weitergegeben hatte.

Instrumentalisierung der Toten durch die Energydrink- und Alkoholindustrie?

In den 1990er Jahren sah die Alkoholindustrie ihr Geschäft durch die Popularisierung von Ecstasy als Partydroge in Gefahr. Um ihre Interessen zu vertreten, pflegte sie gute Kontakte in die Politik des Vereinigten Königreichs. So brachte das Parlamentsmitglied (und bis 1994 Privatsekretär John Majors) Graham Bright mit dem «acid house party bill» ein Gesetz auf den Weg, das die freie, unkommerzielle Partyszene austrocknen sollte, um den Profit zurück in die profitorientierten Clubs zu bringen. (Wer «illegale» Raves veranstaltete, sollte nach dem Gesetz bis zu 20.000 Pfund an Strafe bezahlen.)

Wie sich später herausstellen sollte, war Graham Bright auch bezahlter Lobbyist von Whitbread – einer multinationalen Hotel-, Pub- und (bis 2001 ) Brauerei-Kette.

Mit dem Tod von Leah Betts ergab sich darüber hinaus eine gute Gelegenheit, die öffentliche Meinung zugunsten der legalen Drogen(-industrie) zu verschieben. Eine Woche nach Betts Beerdigung wurde auf 1500 Plakatflächen im Land das Bild der komatösen Frau gezeigt. Links neben dem Foto in großen Druckbuchstaben: Sorted (engl. bedient oder erledigt). Unter dem Foto die Worte „Just one Ecstasy tablet took Leah Betts“.

Die Wortwahl stammte von der PR-Agentur FFI, die sich auf die Beratung bezüglich des Marketings an Jugendliche richtet. Für die Kampagne arbeiteten sie zusammen mit den «Medieneinkäufern» (engl. media buyers) von «Booth Lockett Makin and BLM Group» (BLM) sowie mit der Werbeagentur «Knight Leech and Delaney» (KLD).

Spannend an dieser Zusammenarbeit ist die Tatsache, dass alle Akteure unentgeltlich kooperierten. Vergleichbare Kampagnen kosten Millionenbeträge, die sich BLM und KLD teilten.

Über die Gründe für diese kostenlose Zusammenarbeit kann nur spekuliert werden. Tatsache ist jedoch, dass Löwenbräu der größte Auftraggeber für BLM war, während FFI und KLD die Red Bull GmbH vertraten.

Mike Mathieson von der FFI sagte 1996 selbst: «There’s a bit of a return to alcohol, which seems to be the new ecstasy substitute. (zu Deutsch: Es gibt eine gewisse Rückbesinnung auf Alkohol, der der neue Ersatz für Ecstasy zu sein scheint.)» Das Marketingunternehmen bezog sich damals vor allem auf Absolut Vodka, eine Marke, für die sie nun arbeiteten.

Diese Aussage tätigte Mathieson noch einmal ganz ähnlich, diesmal in Bezug auf Energiedrinks:

«There’s a growth in the energy drinks area and it’s very competitive (…) We do PR for Red Bull for example and we do a lot of clubs. It’s very popular at the moment because it’s a substitute for taking ecstasy.
(zu Deutsch: Der Bereich der Energydrinks wächst und ist sehr wettbewerbsintensiv (…). Wir machen zum Beispiel PR für Red Bull und arbeiten in vielen Clubs. Es ist im Moment sehr beliebt, weil es ein Ersatz für die Einnahme von Ecstasy ist.)»

Dietrich Mateschitz, der Erfinder der Marke Red Bull, hatte das Konzept des «Energy Drinks» selbst in den 1980er Jahren aus Thailand importiert und mit großem Erfolg u.a. in der Techno-Szene platziert.

Milliardär Mateschitz ist begnadeter Werbefachmann und bekannt für seine rückwärtsgewandte Politik, die er notfalls auch mit eigens gegründeten und finanzierten Medienunternehmen (Addendum, ServusTV) und genialen PR-Aktionen unter das Volk bringt.

Es würde wenig verwundern, wenn er sein Produkt mit Anti-Drogen-Kampagnen stärkt – selbstverständlich sind dabei «Drogen» nur das, was die anderen konsumieren, das eigene Produkt ist bei Prohibitionisten immer ein «legales Genussmittel».

Der Fall Leah Betts zeigt, warum Drogenpolitik leben retten kann

Es ist letztlich nicht abschließend zu klären, ob die Werbetreibenden und ihre Kunden aus purer Ablehnung gegenüber illegalisierten Drogen oder doch auch reinem Profitinteresse handelten. Klar ist jedoch, dass die geschmacklose Werbekampagne den Tod der jungen Frau in einem würdelosen Maße instrumentalisierte.

Wer sich für die Gesundheit der Drogenkonsumierenden interessiert, sollte mindestens eine neutrale Drogenaufklärung unterstützen. Wenn man jedoch ernsthafte Verbesserungen erzielen wollte, käme man nicht über eine Legalisierung der entsprechenden Substanzen aus.

Bis dahin bleibt der Tod von Leah Betts ein mahnendes Beispiel dafür, welche Folgen ein Mangel an Safer-Use-Wissen haben kann.

(Dirk Netter)

Literatur:

Collin, M. (2010): Altered State: The Story of Ecstasy Culture and Acid House. London.

Saunders, N. (1997): Ecstasy Reconsidered. London.

 

Wer sich für Safer-Use bezüglich MDMA/Ecstasy interessiert, wird hier fündig:

https://www.saferparty.ch/ecstasy.html (deutsch)

https://rollsafe.org/ (englisch)

Bücher im Nachtschatten Verlag:

Safer-Use-Info-Set von Berger/Bücheli/Cousto