Mystische Erfahrungen als wichtiger Bestandteil psychedelischer Heilung

Immer mehr wissenschaftliche Studien belegen die Wirksamkeit von psychedelischen Substanzen bei der Behandlung von seelischen Leiden wie Depression, Angst oder Sucht. Die psychedelische Psychotherapie arbeitet hierbei, im Rahmen einer ansonsten konventionellen Psychotherapie, mit zusätzlichen psychedelischen Erfahrungen. Dadurch sollen die Patienten neue und heilsame Perspektiven für ihr Leben erhalten.

In einer 2017 vom Neurowissenschaftler Robin Carhart-Harris veröffentlichten Pilotstudie konnten mit Hilfe von psilocybingestützter Psychotherapie insgesamt neun von zwanzig schwer depressiven Menschen für mindestens sechs Wochen von ihrer Depression befreit werden. Doch woran lag es, dass manche Patienten durch die Behandlung geheilt wurden und andere nicht? Um eine Antwort zu finden, untersuchten die Autoren der Studie nun die von den Studienteilnehmern ausgefüllten Fragebögen und verglichen die Antworten mit den Therapieerfolgen.

Vor und nach den psychedelischen Behandlungen gaben die Patienten Auskunft über ihre Glücks- oder Angstgefühle während des Rauschs sowie über die Intensität der visuellen und auditiven Effekte und das Erleben von «mystischen Erfahrungen». Gemäß Definition der Autoren mussten die Probanden für eine vollständige mystische Erfahrung ein Gefühl der Einheit mit allen Dingen erfahren, eine Auflösung von Raum und Zeit, ein Gefühl von Wunder gegenüber der Welt und bedeutsame persönliche psychologische oder philosophische Einsichten.

Die für einen Therapieerfolg wichtigsten Faktoren stellten sich klar heraus: Studienteilnehmer, die eine mystische Erfahrung erlebten, hatten eine über 80-prozentige Chance auf Heilung ihrer Depression. Ohne vollständige mystische Erfahrung betrug diese Chance nur etwa 50 Prozent. Besonders gute Therapieerfolge zeigten sich bei Probanden, bei denen die mystische Erfahrung mit starken Glücksgefühlen verbunden war. Nicht aufgelöste angstvolle Gefühle wirkten sich nachteilig auf die Heilungschancen aus. Keinen Einfluss auf die Heilung hatten ausgerechnet die so oft als Kernmerkmal der psychedelischen Erfahrung genannten visuellen und auditiven Effekte. Bei keinem der Probanden verschlimmerten sich die Symptome der Depression durch die Therapie.

Die Autoren sehen in diesen Ergebnissen einen klaren Hinweis dafür, dass psychedelische Heilverfahren nicht nur pharmakologisch verstanden werden können. Die Einnahme einer Substanz allein führt nicht zum Heilungserfolg. In dieser Therapieform steht dagegen das persönliche Erleben der Patienten im Vordergrund. Weitere Forschung soll genauer klären, welche Erfahrungsinhalte essenziell für den Erfolg der psychedelischen Therapie sind. Möglicherweise wichtige Erfahrungsinhalte wurden in dieser Studie nicht abgefragt, beispielsweise wie stark das Gefühl war, Probleme «loszulassen», ob die Probanden unterdrückten Gefühlen Raum geben konnten oder welche Rolle die Musik und die therapeutische Nachbereitung der Erfahrungen spielten.

Roseman et al. (2018): Quality of Acute Psychedelic Experience Predicts Therapeutic Efficacy of Psilocybin for Treatment-Resistant Depression. Frontiers of Pharmacology

Linus Naumann