Eröffnen Psychedelika den Zugang zu sonst unsichtbaren Dimensionen, zu geistigen Welten? Oder ebnen sie lediglich den Weg in künstliche Paradiese, die als bloße Gehirnprojektionen traumartiger Natur interpretiert werden müssen? Glücklicherweise steht es jedem frei, dies für sich selbst zu definieren. Fakt ist, dass die schamanischen Kulturen aller Kontinente von Reisen in die andere Wirklichkeit berichten. Und auch die technisierte Wissenschaft ist heute in der Lage, zumindest im Ansatz nachzuvollziehen, dass da mehr ist in unserer Welt als das, was wir sehen und anfassen können.
Manche Forscher aus Quantenphysik, Astrophysik und Chemie kommen immer mehr zum Schluss, dass unsere scheinbar materielle Welt vielmehr eine Art virtueller Realität ist, dass Geist Materie gebiert und nicht umgekehrt. So realisieren wir immer deutlicher, dass wir tatsächlich alle geistige Wesen sind. Die Psychonautik kann uns helfen, dies zu vergegenwärtigen. Der Naturwissenschaftler und Theologe Pierre Teilhard de Chardin stellte fest: «Wir sind keine Menschen, die eine spirituelle Erfahrung machen, sondern wir sind spirituelle Wesen, die erfahren, Mensch zu sein.«
Doch das Wissen um die spirituellen Dimensionen kann auch der Vermarktung zum Opfer fallen. Ein aktueller Hype ist der weltweit immer populärer werdende Ayahuasca-Tourismus, der in Wirklichkeit nichts weiter ist als ein egozentrierter Trip, der die Entheiligung uralter Entheogene und Traditionen zur Folge hat. Ähnliches hatte vorher schon andere schamanische Sakramente ereilt, nennen wir nur die Zauberpilze und den Peyote-Kaktus.
Nicht die Ausbeutung, sondern der Erhalt der originären Ayahuasca-Kultur (und der anderen indigenen Traditionen) ist ein wichtiges Anliegen aller ernsthaften Psychonautik – und ein Schwerpunkt dieser dritten Nummer von Lucy’s Rausch. Für die, die es noch nicht gehört haben: Ayahuasca ist ein schamanischer Zaubertrank, der von diversen Ethnien im amazonischen Regenwald seit Urzeiten zur Heilung und Divination verwendet wird. Der Trank besteht aus mindestens zwei Pflanzen: der Ayahuasca-Liane Banisteriopsis caapi, die Beta-Carboline enthält, und aus der DMT-haltigen Psychotria viridis oder einer anderen DMT-Pflanze, die dem Trank die visionäre Eigenschaft verleiht. Wir werden im Heft davon noch einiges lesen.
Auch die Frage, was einen psychedelischen Lebensstil ausmachen kann, erörtern wir in dieser Ausgabe. Wie abhängig sind wir Psychonauten vom allgegenwärtigen Smartphone- und Internetwahn? Und ist es wirklich förderlich für ein bewusstes Leben im Einklang mit der Natur, dass wir tonnenweise Kohlendioxid in die Luft blasen, während wir im Zeichen der Psychedelik von Kontinent zu Kontinent reisen, um bloß kein Gathering zu verpassen? Roger Liggenstorfer und Roberdo Raval beleuchten diese Fragestellungen – und kommen zu erstaunlichen Schlüssen.
Wir wünschen uns für Lucy’s Rausch und für die Bewegung, dass sich unser Projekt und die psychedelische Szene weiterhin gegenseitig befruchten, um die wichtige Botschaft der Pflanzengeister und molekularen Türöffner immer weiter in die Welt hinauszutragen. Diese Aufgabe könnte wichtiger nicht sein.
Markus Berger, Chefredakteur