Text Kevin Johann
Das Räuchern von bestimmten Pflanzenteilen ist im Grunde genommen immer eine bewusstseinsverändernde Angelegenheit. Räuchern ist immer psychoaktiv. Denn Düfte wirken über eine Anbindung an das limbische System grundsätzlich ganz stark auf die Psyche. Doch es macht einen großen Unterschied, ob wir im Alltag nebenbei ein Räucherstäbchen glimmen lassen oder ob wir einen bestimmten Räucherstoff in rituellen Settings ganz gezielt im Sinne einer Bewusstseinsveränderung nutzen.
Überall dort, wo das Räuchern kulturell verankert ist, wird diese universelle Praxis zumeist als Ritual zelebriert. Das heißt, es gibt verschiedene Regeln und vorgeschriebene Herangehensweisen sowie einen Rahmen, in dem das Erhitzen von bestimmten Räucherwerken auf verschiedenen Ebenen eingebettet ist. Dies ist sinnvoll, da ein Ritual, ganz egal, wie es im Einzelfall gestaltet wird, immer dabei unterstützt, die Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt zu lenken. Denn nur dann kann es möglich sein, dass aus der Räucherung wohlmöglich ein wahrhaftiger Duftrausch hervorgeht, der erfahrungsgemäß die unterschiedlichsten Qualitäten bereithält. Letztlich ist es auch beim Räuchern so – vor allem dann, wenn es um psychoaktive Absichten geht –, dass die Einflussfaktoren von „Dosis, Set und Setting“ die subjektive Tiefe der Erfahrung maßgeblich beeinflussen und entscheiden. In einem Ritual können wir uns ganz bewusst mit der Pflanze verbinden, die wir als Räucherstoff verwenden möchten, und wir können bestimmte persönliche Fragestellungen mit in das Ritual hineinnehmen, in die wir während des Räuchervorgangs hineinfühlen möchten.
Kohdoh – Duftmeditationen nach japanischem Vorbild
Bei der japanischen Kohdoh-Zeremonie wird nicht mit großen Mengen Räucherdampf gearbeitet. Es handelt sich vielmehr um eine besondere Duftmeditation, die aber zweifelsohne auch einen geistbewegenden Charakter birgt, da man sich mittels des olfaktorischen Reizes in die Gegenwart versenkt und gleichzeitig die Sinne sowie die Wachheit des Geistes geschult werden. Traditionell wird das Räuchergefäß nach ganz bestimmten Vorschriften befüllt, wobei es essenziell ist, dass die verwendeten Räucherstoffe, bei denen es sich zumeist um verschiedene Qualitäten Adlerholz und Sandelholz handelt, nur ganz sanft erhitzt werden. Das aufsteigende Aroma muss direkt inhaliert werden. Es wird dem Duft „gelauscht“, wie es die Japaner sagen. Auch wenn die beiden genannten Räucherstoffe für sich genommen schon eine psychoaktive Wirkung haben – z.B. entspannend, euphorisierend, meditationsfördernd und möglicherweise auch aphrodisierend –, wird der geistbewegende Prozess überdies durch bestimmte Fragestellungen unterstützt, welche gezielt die eigene Wahrnehmung und Selbstreflexion ansprechen. „Wie würde ich diesen Duft beschreiben?“, „Welche Assoziationen kommen mir in den Sinn?“, „Was fühle ich, wenn ich diesen Duft wahrnehme?“, „Welche Landschaften bilden sich vor meinem inneren Auge ab?“ Weiterhin ist es in Japan sogar üblich, dass die Teilnehmer den Duft mit Poesie verbinden, oder dann hat das Ritual einen rein spielerischen Charakter, indem mit verschlossenen Augen die Düfte erraten werden.
Sicherlich müssen wir im Westen die Kohdoh-Zeremonie nicht eins zu eins übernehmen, was aufgrund der kulturellen Unterschiede auch absurd anmutet. Aber wir können uns natürlich ein Beispiel an ihr nehmen, wie es möglich sein kann, mittels des Geruchssinnes den Geist anzuregen und über ihn sogar die inneren Seelenlandschaften bereisen zu können.
Lucys Xtra
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