Interview: Roger Liggenstorfer
Michael Carus, Physiker, Autor, Mitbegründer und Geschäftsführer der nova-Institut GmbH sowie ausgewiesener Experte für Cannabis, und Dr. med. Franjo Grotenhermen, Arzt, Autor, Experte für Cannabis-basierte Heilkunde und Gründer von internationalen Arbeitsgemeinschaften zu Cannabis- und Cannabinoidmedizin, haben zusammen ein Buch geschrieben, das im Nachtschatten Verlag erschienen ist.
Der Band «101 Gründe, Cannabis zu lieben» bereichert die Sparte der Hanfliteratur um ein interessantes, erstaunliches, zuweilen lustiges und einfach neuartiges Werk. Wir haben mit den Autoren über ihr Buch, über ihre Freundschaft und Zusammenarbeit und natürlich über ihren Bezug zu Cannabis gesprochen.
Ihr habt ein sehr spannendes Buch über Cannabis geschrieben. Was war eure Motivation dazu?
Michael: Der verantwortungsvolle und zielgerichtete Umgang mit Cannabis hat mir im Leben viel gegeben, mein Leben erheblich bereichert und ist bis heute eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Mit diesem Buch möchte ich mich bei Cannabis hierfür bedanken und andere Menschen an den positiven Möglichkeiten teilhaben lassen.
Franjo: Michael hat mich vor mehr als drei Jahrzehnten zum ersten Mal mit der Wissenschaft rund um das Thema Hanf und Cannabis in Berührung gebracht – und danach konnte ich nicht mehr von Cannabis in der Medizin lassen. Als ich auf dieses Buchprojekt angesprochen wurde, habe ich gerne zugesagt. Es war mir eine große Freude, meinen Beitrag zu diesem etwas anderen Cannabisbuch zu leisten.
Was ist der Schwerpunkt des Buches?
Franjo: Das Buch stellt vor allem die positiven Seiten des Cannabiskonsums heraus. Dazu haben wir Themen über den medizinischen Nutzen und andere wissenschaftliche Fakten ausgewählt. Wir stellen wichtige Persönlichkeiten und Ereignisse vor. Wir haben einen Blick auf die Geschichte, Religionen und verschiedene Kulturen geworfen und spannende Berichte ausgewählt.
Michael: Das Buch versucht, der Vielfalt von Cannabis gerecht zu werden; wie beeinflusst es Denken, Geschmack, Sex und die Wahrnehmung von Musik? Spielt dabei vor allem das «Im-Jetzt-Sein» eine Rolle, um sich auf Dinge einlassen zu können? Neben vielen Erkenntnissen soll das Lesen des Buches vor allem auch Spaß machen.
In Deutschland ist die aktuelle politische Situation in Bezug auf Cannabis eher diffus. Was könnten die nächsten Schritte sein, um das Cannabisgesetz (CanG) sinnbringend zu optimieren?
Franjo: Das Ziel muss eine Normalisierung im Umgang mit Cannabis sein. Das Strafrecht war immer schon ein schlechtes Werkzeug, um einem problematischen Cannabiskonsum zu begegnen. Das Strafrecht löst keine Probleme, wie etwa jugendlichen oder riskanten Konsum. Konkret bedeutet das, dass es möglich sein sollte, dass Erwachsene Cannabis kaufen, besitzen und konsumieren dürfen. Und es bedeutet, dass eine sachgerechte Einordnung der möglichen Gefahren erfolgt, etwa im Vergleich zu anderen gefährlichen Aktivitäten oder anderen legalen und illegalen Drogen.
Im Angesicht der zunehmenden Akzeptanz und Legalisierung in immer mehr Ländern: Welchen gesamtgesellschaftlichen Stellenwert wird Cannabis eurer Ansicht nach haben, wenn es erst wieder normal wahrgenommen wird?
Franjo: Der Cannabiskonsum wird alltäglicher und selbstverständlicher, aber immer noch sehr stark abhängig von dem Rahmen, in dem sich Konsumenten und Enthusiasten bewegen. Es wird weiterhin die bekannte Polarisierung geben, die destruktive Macht, mit der heute eine Subkultur drangsaliert wird, wird jedoch deutlich abnehmen.
Was glaubt ihr, wieso wollen manche, gerade konservative Personen so leidenschaftlich die Normalisierung der Hanfpflanze verhindern – dies auch wider besseres Wissen bzw. wider jegliche wissenschaftliche Evidenz, z.B. wenn es um die Gefährlichkeit geht?
Franjo: Die Hanfpflanze steht aufgrund ihrer entspannenden Wirkung in einem komplexen Spannungsfeld mit deutschen Tugenden wie Leistung, Disziplin und Pünktlichkeit. Dazu kommen Vorurteile, die sich über Jahrzehnte aufgebaut haben, wie etwa die Entwicklung eines amotivationalen Syndroms, die diese Spannungen noch verstärken und die Debatte emotionalisieren.
Michael: Im Buch werden viele dieser Vorurteile sachkundig widerlegt, und trotz oder wegen der entspannenden Wirkungen sind erstaunliche Leistungen unter Cannabiseinfluss möglich.
Ihr seid beide mit Cannabis sehr bewandert – erzählt mal eure Hintergründe, welchen Bezug habt ihr dazu?
Franjo: Bis zum Dezember 1993 hatte ich mit dem Thema Cannabis so gut wie nichts zu tun. Ich hatte im Studium einige Male auf Festen oder in geselliger Runde Cannabis konsumiert, aber beispielsweise keinerlei Ahnung davon, dass Cannabis einen medizinischen Wert besitzt. Michel hatte mich damals angesprochen, ob ich etwas zu einer Stellungnahme zum Missbrauchspotenzial von Faserhanf beitragen könne. Ich habe das gerne gemacht. Im Sommer 1994 hatte der Verlag Zweitausendeins eine deutsche Übersetzung des Buches „Marihuana: Die verbotene Medizin“ von Professor Lester Grinspoon von der Harvard-Universität in Boston herausgebracht. Michael konnte den Verlag überreden, dass wir einen zweiten Teil zur Situation in Deutschland verfassen, was der Verlag akzeptiert hat. Allerdings haben wir dann keine Übersicht über die Situation in Deutschland verfasst – es gab auch nicht viel zu berichten –, sondern ich habe eine Übersicht zum damaligen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu Cannabis und Cannabinoiden geschrieben. Ich habe mich wochenlang intensiv in das Thema gekniet. Glücklicherweise war in Köln, wo ich damals gelebt habe, die Zentralbibliothek für Medizin in Deutschland, sodass ich die Möglichkeit hatte, eine Vielzahl von Originalartikeln durchzuarbeiten. Dann ging alles relativ schnell, und ich wurde bald als Cannabisexperte betrachtet. In der Tat gab es damals in Deutschland niemanden, der sich mit dieser Thematik gut auskannte. Ich hatte mir immerhin ein gewisses Grundwissen erarbeitet. Die Gründung eines Vereins im April 1997, die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V., weitere Bücher, viele Artikel, die Gründung einer internationalen wissenschaftlichen Gesellschaft im Jahr 2000 in meinem Wohnzimmer folgten bald.
Michael: Beruflich hatte ich von 1993 bis 2018 vor allem mit der Etablierung des Nutzhanfs in der europäischen Bioökonomie sowie im Lebensmittelbereich und ein wenig auch im Bereich Medizin zu tun. Cannabis selber war immer eher ein Hobby gewesen, allerdings erst im Erwachsenenalter.
Wo seid ihr euch das erste Mal begegnet, was waren eure gemeinsamen Projekte?
Franjo: Wir sind uns das erste Mal im Studium begegnet. Es muss etwa 1980 gewesen sein. Ich habe ab 1976 in Köln Medizin studiert, Michael studierte Physik. Wir waren beide aktiv in derselben Hochschulgruppe, die sich Basisgruppe nannte und den Grünen nahestand. Wir waren beide jahrelang Mitglied des Studentenparlaments der Universität Köln. Zwischen 1982 und 1984 war ich Kulturreferent des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) der Universität Köln und Michael war Herausgeber der AStA-Zeitung. Wir hatten damals bereits viel Kontakt zueinander, aus der sich eine Freundschaft entwickelt hat.
Michael: Den ersten Kontakt hatten wir sogar noch früher, als wir zufällig im selben Studentenwohnheim in Köln wohnten, das für uns beide der erste neue Wohnort in Köln war. Über die vielen Jahre haben wir beruflich immer wieder Projekte zusammen gemacht und privat hat sich eine gute Freundschaft entwickelt.
Wer sollte euer Buch lesen, wem sollte dies zum Geburtstag oder zu Weihnachten geschenkt werden?
Michael: Auf der einen Seite wird das Buch vielen Spaß machen, die sich bereits mit Cannabis auskennen. Sie werden zahlreiche neue Aspekte entdecken sowie ihre bisherigen Erfahrungen neu einordnen und besser verstehen können. Auf der anderen Seite ist das Buch aber ideal für Menschen, die nie Cannabis konsumiert haben und das auch nie tun werden, die aber verstehen wollen, was an Cannabis dran ist. Warum Cannabis von anderen so geschätzt wird. Man kann mit dem Buch dem vielfältigen Cannabis-Universum näher kommen, ohne selbst konsumieren zu müssen bzw. zu wollen. Das bedeutet, dass das Buch für jeden, der in der ein oder anderen Richtung an dem Phänomen Cannabis interessiert ist, einen großen Gewinn in Sachen Erkenntnis und Spaß darstellt.
Was ist euer ganz privater Wunsch in Bezug auf den Fortgang der Geschichte rund um Cannabis und die Gesellschaft?
Michael: Ich wünsche mir eine entspannteren, rationaleren Umgang mit dem Thema Cannabis, durch den man die potenziellen Vorteile für Gesellschaft und Individuum besser entfalten und gleichzeitig die Risiken minimieren kann.
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Das Buch 101 Gründe, Cannabis zu lieben, ist hier erhältlich.