Transhumanismus

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Der Traum der Transhumanisten: Zugang zu virtuellen Räumen erlangen und in eine Art Bewusstseinskollektiv eintauchen. Foto: Shutterstock

Text: Frank Sembowski

Bereits der erste Schub der Digitalisierung hat gezeigt, wie schnell eine Technologie sich der gesellschaftlichen Kontrolle entziehen und sich verselbstständigen kann. In der Geschichte der Menschheit haben einzelne Erfi ndungen und technologische Errungenschaften schon häufi g zu Umwälzungen geführt, aber die gegenwärtige Welle der Veränderungen – ausgelöst durch die digitale Revolution und die sich abzeichnenden Neuerungen auf den Gebieten der Bio- und Nanotechnologie – ist womöglich beispiellos in ihrer Eigendynamik und Komplexität sowie vor allem äußerst invasiv.

Die Computer und das Internet haben uns neue Freiheiten gebracht, aber auch neue Abhängigkeiten. Einerseits sind sie Mittel zur Lösung einer zunehmenden Zahl globaler Probleme, andererseits tragen sie erheblich zu deren Verschärfung bei. Ablesen kann man das am gesteigerten Ressourcen- und Energiebedarf, an der grenzenlosen Monopolisierung und am Phänomen der Entwertung von Wissen und Kunst.

In Krisenzeiten wie diesen steigt die Bereitschaft, vermeintlich einfache Lösungen zu akzeptieren. Das kann sich im Rückgriff auf längst überwunden geglaubte Ideologien oder wie im Fall des Transhumanismus in einer Art Schicksalsergebenheit äußern. Die transhumanistische Bewegung hat auf die Herausforderungen der Zeit ihre eigene Antwort gefunden: Nicht der rasante technologische Wandel ist für sie das Problem, sondern die Menschen, die das sinnstiftende Moment und die evolutionäre Notwendigkeit dieses Wandels nicht erkannt haben. Ihre eigene Geisteshaltung bezeichnen die Transhumanisten passenderweise als proaktiven Fortschrittsoptimismus: Die Zukunft der Menschheit – so lautet ihre Prophezeiung – wird eine herrliche sein. [1, 2]

Doch welche humanistischen Werte wird diese transhumane Zukunft mit sich bringen? Wird es die Menschheit, wie wir sie kennen, in hundert Jahren noch geben? Oder wird sie sich aufgespalten haben in Gegner und Befürworter einer Entwicklung, deren Ausmaß wir im Moment nur erahnen können?

Obwohl der Transhumanismus diverse Strömungen und Einzelmeinungen umfasst, ist die Begriffsbestimmung des Philosophen Julian Huxley aus dem Jahr 1957 weiterhin aktuell. In ihr schildert er den Transhumanismus als einen Akt kollektiver Verantwortung, der die Menschheit zu sich selbst führt: «So diese es wünscht, kann sich die Spezies Mensch selbst transzendieren – nicht nur vereinzelt, ein Individuum hier auf diese Weise, ein Individuum dort auf jene Weise, sondern in ihrer Ganzheit, als Menschheit. Für diese neue Zuversicht muss noch ein Name gefunden werden. Vielleicht wird ihr Transhumanismus gerecht: der Mensch, der Mensch bleibt, aber sich selbst durch die Verwirklichung neuer Möglichkeiten transzendiert, ausgehend von seiner menschlichen Natur und für seine menschliche Natur.» [3]

Gehen wir vorab auf einige weit verbreitete Missverständnisse ein:
a) Das Transhumane kann gemäß der erweiterten Synthese der Evolutionstheorie als Bestandteil der menschlichen Evolution verstanden werden. So gesehen hat es nichts Künstliches an sich.
b) Tatsächlich wohnt das Transhumane dem Menschen von Anfang an inne, es ist seine ureigene Natur: Kleidung, Kunst und Spiritualität, aber auch Medikamente, Sehhilfen, Zahnersatz und Herzschrittmacher
zeugen davon.
c) Aus biologischer Sicht ist jede Art eine Momentaufnahme der Zeit. Die Transhumanisten haben den ewigen Fortschritt in ihren Manifesten zum Dogma erklärt; sie übersehen allerdings, dass es in der Evolution keinen Plan, kein Höheres und kein Ziel, sondern nur Anpassung gibt. An diesem Punkt unterliegt der Transhumanismus einem Fehlschluss.
d) Auch wenn der Begriff Transhumanismus fast ausschließlich technologisch gedeutet wird, kann er sich auf beliebige Weise manifestieren, beispielsweise in neuen kulturellen Leistungen oder Gesellschaftssystemen.

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