Warum ist Alkohol legal und Cannabis nicht?

XtraÜber die Doppelmoral der Drogenpolitik

Fotomontage unter Verwendung eines Fotos (Two men cheers) von Wil Steward via Unsplash (https://unsplash.com/photos/UErWoQEoMrc)

Text: Tim Budde

Bundeskanzler Olaf Scholz hat erklärt, Cannabis noch in dieser Legislaturperiode legalisieren zu wollen 1. Sollte sein Versprechen nicht den gleichen Gedächtnislücken unterliegen wie seine Erinnerungen zum Cum-Ex-Skandal vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss 2, steht die Legalisierung also unmittelbar bevor. Zeit für einen Vergleich mit der legalen Droge Alkohol.

Wobei schon das Wort Droge irreführend ist. Alkohol ist in pharmakologischer Hinsicht keine Droge, sondern ein Lebergift sowie Nervengift 3. Cannabis enthält psychoaktive Stoffe und ist eine anerkannte Heilpflanze, der etwa die Medizinische Universität Wien ein «enormes therapeutisches Potenzial» zuschreibt 4. Beides sind Genussmittel, die wie jedes andere auch die Gefahr eines Missbrauchs in sich tragen. Es soll daher in diesem Artikel nicht um die Frage gehen, ob Cannabis legalisiert werden sollte oder nicht, sondern ob man ein Cannabisverbot begründen kann, während Alkohol gleichzeitig erlaubt ist.

Befasst man sich mit wissenschaftlichen Drogenrankings, also Untersuchungen der Gefahrenpotenziale verschiedener Drogen im Vergleich, so kann man angesichts der Ergebnisse schon mal ins Grübeln kommen: Der legale Alkohol schneidet in den Ranglisten stets schlechter ab als das strafbare Cannabis, teilweise sogar deutlich. 5

Dieses Ergebnis ist wenig verwunderlich. Das Bundesministerium für Gesundheit geht von 7,9 Millionen Menschen allein in Deutschland aus, die Alkohol «in gesundheitlich riskanter Form» konsumieren. Etwa 74.000 Todesfälle jedes Jahr werden dem Alkohol, auch im Zusammenhang mit Tabak, zugeschrieben 6. Nun können diese Kennzahlen natürlich nicht direkt mit denen von Cannabis verglichen werden, da unter anderem schon durch den Gesetzesstatus das Konsumverhalten nicht vergleichbar ist. Doch es sollte trotzdem aufhorchen lassen, dass es im Gegensatz dazu bisher keinen einzigen bestätigten Todesfall durch Cannabis-Konsum gibt 7.

Aus medizinischer Sicht ist die gesetzliche Diskrepanz also schon mal nicht zu erklären.

Wenn Klaus Holetschek, Gesundheitsminister aus Bayern (dem Bundesland, in dem am meisten Bier gebraut wird), in «großer Sorge» die Legalisierungspläne der Regierung angreift und bei Cannabis ein «großes Risiko für die Gesundheit» sieht 8, sollte die Frage erlaubt sein, warum Alkohol dann legal ist.

Gegner des Hanfs verweisen hier gern auf die lange Tradition alkoholhaltiger Getränke. Nun mag jeder Leser für sich selbst entscheiden, ob weiche Faktoren wie Tradition gegenüber wissenschaftlichen Fakten eine Rolle bei der Gesetzgebung spielen sollten oder nicht.

Doch in diesem Zusammenhang stellen sich zwei Fragen: Welche Tradition hat der Cannabiskonsum und warum hat Cannabis eine weniger jüngere Tradition in Deutschland als Alkohol?

Die erste Frage ist schnell beantwortet: Schon vor 2.500 Jahren wurden in China Cannabissorten mit höherem THC-Anteil in Räuchergefäßen gelagert 9. Bei zahlreichen Naturvölkern wurde der Hanf medizinisch eingesetzt, aber auch rituell konsumiert, um eine Art spiritueller Bewusstseinserweiterung zu erreichen.

Für die zweite Frage lohnt es sich, einen Blick auf die Verbotsgeschichte des Hanfs zu werfen. Es ist eine traurige, aber spannende Geschichte von Rassismus, Korruption und politisch motivierter medialer Diffamierung.

Bereits 1913 wird Cannabis in Kalifornien durch den Poison Act verboten, was auch auf die steigende Zuwanderung von mexikanischen Migranten zurückgeht, die den von ihnen ‚Marihuana‘ genannten Hanf konsumierten. Bei der Genfer Opiumkonferenz im Jahr 1925 reichte Ägypten den Antrag ein, neben Opium und Heroin auch Cannabis zu verbieten. Vier Jahre später wurde das Gesetz auch von Deutschland aufgenommen 10.

Im Zentrum des staatenübergreifenden Verbotes in den USA von 1937 stand ein Mann namens Harry J. Anslinger, der Sohn einer Schweizer Auswandererfamilie 11. Nach dem gescheiterten Alkoholverbot vier Jahre zuvor stand dessen Ministerium für Prohibition plötzlich vor dem Aus, was ihn veranlasste, in Cannabis einen neuen Sündenbock zu finden, der durch eine neue, ebenfalls willkürliche Prohibition illegalisiert werden konnte.

Durch öffentlichkeitswirksame Kampagnen, unter anderem sogar einen absurd-komischen Spielfilm namens Reefer Madness, in dem brave Menschen durch Cannabiskonsum zu verantwortungslosen, vergewaltigenden und mordenden Bestien werden, brachte er das Land in Stellung für das Verbot von Cannabis. Unterstützt von Rassisten (denn Cannabis wurde gern von Afroamerikanern konsumiert) sowie Industriellen, Baumwollfarmern und Waldbesitzern, denen die Hanfpflanze als Konkurrent ein Dorn im Auge war, kam es zum Verbot nicht nur der psychoaktiven Blüten des Cannabis, sondern absurderweise sogar des völlig harmlosen Nutzhanfs (freilich ohne zu betonen, dass es sich bei Marihuana schlichtweg um Hanf handelt).

Also können weder medizinische noch geschichtliche Fakten einen guten Grund für den gesetzlichen Status quo liefern.

Die ersten Hanfverbote wurden bereits im 8. Jahrhundert in Arabien und Ägypten ausgesprochen. Dort war der Genuss von Haschisch (Hanfharz) höchst beliebt und breitete sich immer weiter aus. „Im 8. Jahrhundert wurde der Genuss von Haschisch [in Arabien] wegen seiner zunehmenden Verbreitung verboten. Diese Maßnahme hatte ebensowenig Erfolg wie das etwa zur gleichen Zeit erlassene Hanfverbot in Ägypten“ (Woggon 1974: 8). Die nächsten Verbote kamen von der christlichen Kirche. Die Inquisition hatte im 12. Jahrhundert in Spanien und im 13. Jahrhundert in Frankreich zahlreiche Heilkräuter verboten, eines von ihnen war der Hanf. Im 14. Jahrhundert ging es dann in Ägypten weiter: „Im Jahre 1378 befahl der ägyptische Emir Sudun Schaichuni die Vernichtung aller Hanfpflanzen in seinem Hoheitsgebiet. Als Strafmaßnahmen für Verstöße gegen das Verbot des Haschischkonsums ordnete er Ausreißen der Zähne und Gefängnis an. Trotz dieser drakonischen Maßnahmen konnte jedoch die ständige Ausbreitung des Hanfgebrauchs nicht verhindert werden“ (Woggon 1974: 8). Papst Innozenz VIII. befand den Hanf im 15. Jahrhundert schließlich als „unheiliges Sakrament der Satansmesse“ (Fischer 1929) und verbot den Kräuterkundigen ab 1484 die Verwendung der Pflanze.

Lucys Xtra

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