«Die Szene sollte jetzt erst einmal glücklich sein»

Richter Andreas Müller* über die aktuelle Entwicklung

Richter Andreas Müller. Foto: Screenshot Facebookvideo
Andreas Müller

Lucys Rausch: Andreas Müller, du setzt dich schon lange öffentlich für die Legalisierung von Cannabis ein. Wie geht es dir nach der Ankündigung der Bundesregierung, das BtMG entsprechend anzupassen?
Andreas Müller: Natürlich betrachte ich das Ganze als persönlichen Erfolg, wenn ich mich erinnere, wie ich vor 20 Jahren noch angefeindet wurde. Als großen Sieg kann man das aber noch nicht sehen. Als Sieg sehe ich es, wenn ein vernünftiges Gesetz verabschiedet wird. Als Sieg sehe ich es auch, wenn in den nächsten Monaten die Konsumenten endlich entkriminalisiert werden.

Ist Burkhard Blienert als Bundesdrogenbeauftragter der richtige Mann?
Auf jeden Fall! Ein wunderbarer Mitstreiter, er hat die SPD auf Kurs gebracht und ist auch Mitglied der LEAP Deutschland [siehe Box, die Red.]. Ich freue mich, dass endlich mal jemand mit Sachverstand auf diesen Posten kommt.

Wird Cannabis in Deutschland wirklich legal so wie Tabak und Alkohol?
Das ist nur eine Frage der Zeit. Es kommt darauf an, ob die Ampelkoalition sich be- währt oder ob sie wieder zerbricht. Außerdem müssen wir sehen, wie schnell das alles umgesetzt wird und wieviel Gegenwehr zu erwarten ist, beispielsweise von der Union. Obwohl ich nicht glaube, dass deren Vertreter sich im Bundesrat gegen die Änderungen wehren werden. Sonst verlieren CDU und CSU auch noch den Rest ihrer jüngeren Anhänger*innen.

Gibt es neben der Entkriminalisierung der Konsumenten einen weiteren besonders wichtigen Aspekt?
Ganz wichtig ist vor allem, dass der Eigenanbau legalisiert wird, insbesondere für Patient*innen, damit diese nicht mehr von den Krankenversicherungen abhängig sind und erst vors Sozialgericht ziehen müssen, um ihr Recht zu erstreiten.

Hältst du es für möglich, dass Cannabis in der Apotheke verkauft wird?
Ich denke, dass man das Cannabis nicht über Apotheken abgeben wird, sondern über Fachgeschäfte. Apotheken werden in der Regel von Kranken frequentiert. In einem Fachgeschäft hingegen erwerben gesunde Menschen ihr bevorzugtes Produkt.

Schon das Gesetz zu Cannabis als Medizin wird nicht zufriedenstellend umgesetzt; was dürfen wir bei der Legalisierung als Genussmittel erwarten?
Die Gesellschaft wird sich daran gewöhnen, dass es Geschäfte gibt, in denen man Cannabis kaufen kann. Das muss jetzt durch den Bundestag durchgekämpft werden, und dann wird das normal sein. Das ist ähnlich wie mit der Bewegung der Homosexuellen. Da gab es auch zunächst heftige gesellschaftliche Widerstände; heute ist das alles normal.

Könnten das EU-Recht oder die Single Convention on Narcotic Drugs Probleme bereiten?
Meines Erachtens nein. Es haben sich schon diverse Länder gegen die Single Convention von 1961 ausgesprochen, das kann also auch die Bundesrepublik Deutschland tun. Notfalls kann man auch einen internationalen Vertrag brechen. Ich sehe in der Cannabis-Szene viele Ängste vor Schwierigkeiten in der Umsetzung der Legalisierung. Die Szene sollte jetzt erst einmal glücklich sein. Denn zum allerersten Mal in der Geschichte gibt es eine Regierung in Deutschland, die klipp und klar sagt: Wir wollen legalisieren. Viele erkennen nicht, dass in der Gesellschaft – und auch bei der Polizei, bei Staatsanwälten und Richtern – ein Umdenken stattfindet. (mb)

* Andreas Müller (Jahrgang 1961) ist Jugendrichter am Amtsgericht in Bernau bei Berlin und gilt als «härtester Jugendrichter Deutschlands». Müller setzt sich seit 20 Jahren für eine Veränderung der deutschen Cannabisverbotspolitik ein. Er ist Vorstandsmitglied der deutschen Sektion des Vereins LEAP (siehe Box) und Autor des Buches Kiffen und Kriminalität (Herder Verlag).
LEAP (Law Enforcement Against Prohibition, dt.: Strafverfolgende gegen die Prohibition) ist ein gemeinnütziger Verein aus den USA, der mittlerweile weltweit agiert. Die Organisation, die sich gegen die unmenschliche Drogenprohibition einsetzt, wurde 2002 gegründet und betreibt eine Außenstelle in Deutschland.
www.leap-deutschland.de