Interview Christoph Benner
Über ein Jahrzehnt lang erforschte Felix Hasler die Pharmakologie des halluzinogenen Pilzwirkstoffs Psilocybin an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich in der Forschungsgruppe von Franz X. Vollenweider. 2012 veröffentlichte er sein Buch Neuromythologie, in dem er gegen den aktuellen Hype um die Neurowissenschaften und ihre Deutungshoheit argumentiert und für eine realistischere Interpretation neurowissenschaftlicher Ergebnisse plädiert. Derzeit ist Felix Hasler Gastwissenschaftler an der Humboldt Universität in Berlin, wo wir uns zu einem Gespräch über die Bedeutung neurowissenschaftlicher Ergebnisse, psychische Krankheiten und Psychedelikforschung trafen.
Jahr für Jahr steigt die Zahl der Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen. Depression ist eine Volkskrankheit geworden. Internationale Forschungslabore arbeiten an der Entschlüsselung von Biomarkern für Schizophrenie und genetischen Risikofaktoren für Angsterkrankungen. In deinem Buch Neuromythologie bezeichnest du die Biologische Psychiatrie als epischen Misserfolg. Warum?
Felix Hasler: Nehmen wir doch «Personalisierte Medizin» – ein neues Schlagwort, das nun auch in der Biologischen Psychiatrie die Runde macht. Dieser Begriff erweckt den Eindruck, als könne man psychische Erkrankungen schon bald bei jedem Patienten individuell angepasst behandeln. Mit Psychopharmaka behandeln, bliebe noch zu präzisieren, denn die klassische Psychoanalyse ist ja ein längst bestehendes Therapieverfahren, das individualisierter gar nicht sein könnte. Auf der Analysecouch geht es immer nur um eine ganz individuelle Biographie.
Im Psychiatriekontext ist die Sachlage ganz anders; von der Etablierung einer tatsächlich «personalisierten» Medizin ist man Lichtjahre entfernt. Man hat nämlich immer noch keine Ahnung, was genau bei psychischen Störungen im Gehirn schief läuft. Also hat man auch keinen Plan, wie man da gezielt und planvoll eingreifen kann. Das kann man am Beispiel der Depression verdeutlichen. Bis heute gibt es keine klinisch anwendbaren Daten zur Neurobiologie der Depression.
Dass die Ursache einer Depression eine Serotonin-Stoffwechselstörung des Gehirns sei, ist bis heute eine reine Hypothese geblieben, eine Behauptung. Trotz großem Forschungsaufwand ließ sich diese Annahme nie belegen. Die konsequente Biologisierung psychischer Störungen – also die Sichtweise, psychische Störungen seien nichts anderes als Erkrankungen des Gehirns – hat aber wesentlich dazu beigetragen, dass nun massenhaft Psychopharmaka verschrieben werden. Oft ohne Notwendigkeit, mit zweifelhaftem Nutzen und schweren Nebenwirkungen.
Neuronen können nicht depressiv werden – depressiv sein kann nur der Mensch. Und Psychiatrie ist eben nicht Neurologie. Wahrscheinlich sucht man einfach am falschen Ort, wenn man im Gehirn nach molekularen Mechanismen für eine Depression fahndet. Die Irrelevanz der akademischen Psychiatrieforschung für die klinische Praxis führt auch in Fachkreisen zunehmend zu Resignation. Gut möglich, dass es bald zu einer Neuausrichtung kommt und man wegen chronischer Erfolglosigkeit den «Biologie-Zentrismus» endlich wieder aufgibt.
Lucys Xtra
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