Text: Christian Rätsch
»Kommt die Schwermut, dann hilft nur noch der Wermut.«
Sprichwort
Absinth leitet sich von dem botanischen Artnamen des Wermuts Artemisia absinthium L. ab. In der Antike wurde der Wermut schon absinthio genannt; und er war berühmt für seinen charakteristischen Geruch und Geschmack: »Der See Sannaus [vermutlich in Kolchis] in Asien nimmt den Geschmack des an seinem Ufer wachsenden Wermuts [absinthio] an« (Plinius II, 232).
Dazu passt ein esoterisches Märchen: »Die Meerfrauen wissen, daß in den Düften des Wermut und des Beifuß kostbares Geschmeide verzaubert ist. Sie bedienen sich ihrer, um die Menschen von Lungenkrankheiten zu befreien« (Usteri 1926: 67).
Die Pflanze Artemisia war möglicherweise der antiken Göttin Artemis heilig: »Der Gebrauch psychedelischer Artemisia-Zubereitungen – synergistisch kombiniert mit der Einwirkung der Mondkräfte – konnte leicht die ekstatischen und orgiastischen Riten der Artemis hervorrufen« (Albert-Puleo 1978: 68).
In Turin soll der »Wermut« erfunden worden sein: »Ein hochprozentiker Wein mit dem aromatischen aber auch bitteren Wermutkraut versetzt« (siehe Hose 2002).
1797 hat der in der Schweiz lebende Franzose M. Pernod einen smaragdgrünen Schnaps, den ersten Absinth, durch Destillation einer Kräutermaische aus Wermut (Artemisia absinthium L.), Anis (Pimpinella anisum L; syn. Anisum vulgare Gaertn.), Fenchel (Foeniculum vulgare L.), Melisse (Melissa officinalis L.), Ysop (Hyssopus officinalis L.) und anderen Kräutern erfunden (Arnold 1988: 3043).
Absinth: »Sein legendärer Ruf bewegt sich zwischen geschätztem Heilmittel und hartnäckigen Gerüchten, es sei ein Teufelszeug, das zur Abtreibung und Wahnsinn führe« (Bröckers et al. 2006: 11; vgl. dazu Hein et al. 2001).
Giorgio Samorini glaubt, dass der Wermut als Pflanze kein psychoaktives Gewächs an sich ist. Er hat in keiner Quelle, weltweit, irgendeine Referenz zur angeblichen Psychoaktivität von Artemisia absinthium gefunden (pers. Mitt. 8/2004).
Absinth ist eine Fee, die »Grüne Fee«, – und ein literarisches Aphrodisiakum. Absinth ist zum einen ein Name des Wermutkrauts (Artemisia absinthium), zum anderen der Name für einen Schnaps, der eben dieses Kraut enthält, und zwar in größerer Menge. Absinth wirkt nicht wie purer Alkohol bzw. anderer Schnaps. Das weiß jeder, der einmal einen echten Absinthrausch erlebt hat. Er ist der Kuss der Grünen Fee, die Muse der Dichter, das göttliche Gift der Denker, das farbenfrohe Feuer der Maler, aber auch das böse Erwachen, der Schmerz über die ungerechte Welt, die Verzweiflung des Liebenden, die Sehn-Sucht.
In Francis Ford Coppolas Kinofilm Dracula kommt eine fantastisch-visionäre und erotische Absinthszene vor. Graf Dracula als verführerischer Mann schenkt seiner Angebeteten reinen Absinth ein und haucht ihr zu: »Absinth ist das Aphrodisiakum des Ichs«.
Was heißt das? Was bedeutet das? Gibt es auch ein Aphrodisiakum des Selbsts?
Ist es eine aphrodisische Wirkung auf den Intellekt? Die Ich-bezogene Konstruktion des wollenden Geistes? Wenn der Geist unwillig ist, der Körper aber verlangt?
In der Druckwerbung für Absinth kommen auffällig oft sexuell attraktive, verführerische und sehr sinnliche Frauen vor (vgl. Marsteller und Karnchanapee 1980). Auch solche Bilder unterstreichen das erotische Image der beworbenen Produkte.
Absinth und ähnliche alkoholische Getränke haben den Ruf, aphrodisierend zu sein, als Liebestrank zuverlässig zu wirken sowie die körperlichen Gelüste zu steigern (Lussi 1998, 2002, 2006). Ganz wie der Schweizer Grünbitter.
Grünbitter, ein „Innerschweizer Liebestrank“ (Rezept) In einen Liter Bauernträtsch (bis zu 80%-iger Apfel- und Birnen-Trester) kommt eine Handvoll folgender Kräutermischung: Spitzwegerich (Plantago lanceolata L.) Von der Minze, dem Wermut und dem Aronenkraut (= Aronstab) im Verhältnis zu den anderen Kräutern, nur jeweils ein »wenig«. |
Die Künstlerdroge
Absinth ist zu einer legendären Künstler- und Bohèmedroge des ausgehenden 19. Jahrhunderts avanciert (Conrad 1988). Der Absinth wurde vor allem durch die Absinth-Bilder des Pariser Malers Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901) und Edouard Manet (1832-1883) popularisiert. Der manisch-depressive Maler Vincent van Gogh (1853-1890) war angeblich absinthsüchtig. Seine Malereien, vor allem jene, in denen leuchtende Gelbtöne (das berühmte »van Gogh-Gelb«), vorherrschen, geben recht gut die Wahrnehmungsveränderungen durch Thujon wider (Arnold 1988). Auch Pablo Picasso (1881-1971) hat den Absinth verewigt (Adams 1980). Paul Gauguin (1848-1903) nahm sogar einen reichlichen Vorrat an Absinth mit auf seine Reise nach Tahiti. Alfred Jarry (1873-1907) nannte den Absinth poetisch »Heiliges Wasser« (Pendell 1995: 110).
Lucys Xtra
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