Deutschland: Erhöhung der Tabaksteuer – Freudenfest des Schwarzmarkts?

Gewinner und Verlierer der neuen Tabaksteuer

Eine Zigarette in einem Aschenbecher. Symbolbild | Von @saddy143 via Unsplash

Eine Erhöhung der Tabaksteuer soll im Juni beschlossen werden – so weit, so unspektakulär. Erwähnenswert sind dabei jedoch zwei Aspekte:

    1. Tabak-Erhitzer kommen bei dem vorgeschlagenen Gesetz sehr viel schlechter weg, wie aus dem Entwurf hervorgeht.
    2. Die Tabakindustrie droht Preiserhöhungen um bis zu 100 Prozent an und mutmaßt, dass dies die Konsumierenden in den Schwarzmarkt treiben würde.

Prof. Dr. Heino Stöver: Tabakerhitzer und E-Zigaretten können der «Harm Reduction» dienen

Zu 1.: Problematisch an der neuen Regelung ist die geplante Gleichsetzung von Tabakerhitzer-Produkten mit Zigarettentabak. Bisher findet sich bei den Tabakerhitzern die geringere Pfeifentabak-Steuer Anwendung. Sogenannte E-Liquids sollen demnach ebenfalls ab dem 1. Juli 2022 der Tabaksteuer unterliegen.

Im Gesetzesentwurf liest man:

«Trotzdem findet auf erhitzten Tabak bisher der signifikant niedrigere Steuertarif für Pfeifentabak Anwendung. Die zusätzliche Besteuerung von erhitztem Tabak, die im Ergebnis dazu führt, dass er zukünftig wie Zigaretten besteuert wird, dient der Verringerung des Konsums von gesundheitsschädlichem Nikotin. Genau wie bei Zigaretten ist der Hauptzweck von erhitztem Tabak die Nikotinzufuhr. Erhitzter Tabak ist folglich im Gegensatz zu den anderen Erzeugnissen der Kategorie Pfeifentabak keine überwiegend zu Genusszwecken verwendete Tabakware, sondern wird im Rahmen von bestehender Nikotinabhängigkeit konsumiert. Erhitzter Tabak substituiert insofern die Zigarette.» (Seite 2, eigene Hervorhebung)

Anhand welcher Kriterien «Konsum aus Genusszwecken» von der «Befriedigung der Nikotinabhängigkeit» unterschieden wird, erschließt sich aus der Argumentation nicht. Ob Pfeiferauchen sich gravierend vom Zigarettenrauchen unterscheidet, kann in Frage gestellt werden.

Erwähnt werden muss jedoch auch, dass Tabakerhitzer und E-Zigaretten ein ganz bedeutsames Instrument bei der Rauchentwöhnung sein können. Folgt man der Expertise des renommierten Forschers Prof. Dr. Heino Stöver, so sind diese neuwertigen Produkte kein Teil des Problems, sondern ein wichtiger Baustein, um Menschen zu helfen, die ihren Konsum einschränken oder aufgeben wollen.

Im Interview mit presseportal.de teilt er mit: «Großbritannien, Neuseeland und Canada setzen die E-Zigarette als ein Hauptinstrument im Kampf gegen den Tabakkonsum ein und sind damit nachweislich sehr erfolgreich.»

Es wäre demnach wünschenswert, dass der Gesetzgeber in diesem Bereich Verbesserungen vornimmt, um das Ziel der «Harm Reduction» erreichen zu können. Denn die derzeitige günstige Preislage trage tatsächlich dazu bei, von Verbrennungsware auf weniger schädliche Nikotinprodukte umzusteigen.

Anhebung der Tabaksteuer – Konsumierende sind die Verlierer

Zu 2.: Jan Mücke, FDP-Politiker und Tabak-Lobbyist, teilt in seiner Rolle als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Tabakwirtschaft, seine Meinung zur geplanten Anhebung der Tabaksteuer:

„Das würden viele Verbraucher nicht mitmachen –die Bereitschaft würde steigen, unversteuerte und gefälschte Ware zu kaufen.“

Es erscheint fast unfreiwillig komisch, wie sich die Tabakindustrie als Opfer darstellt, ist es nicht sie, die eine Verdopplung der Tabakpreise in Aussicht stellt – aufgrund einer Anhebung der Tabaksteuer um wenige Cent: Denn die Steuern einer Packung Zigaretten sollen jährlich um 5 Cent steigen. 2026 wären das 25 Cent mehr. Drehtabak soll bis zu 15 Cent teurer werden.

Auch der Gesetzgeber scheint die Schwarzmarkt-Problematik im Blick zu haben, was sicherlich auch zur geringen Anhebung der Steuer geführt hat. Jedenfalls steht im Gesetzesentwurf:

«Dieses neue Modell soll die Erreichung weiterer Ziele ermöglichen:
Verhinderung einer stärkeren Abwanderung von Konsumenten zu nicht im Inland versteuerten und/oder illegalen Tabakwaren (Schmuggel/Schwarzmarkt), insbesondere unter Beachtung der Pufferfunktion von Feinschnitttabak durch eine gezielt geschaffene Steuerdifferenz zu Zigaretten (…)» (Seite 7, eigene Hervorhebung)

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Eine so niedrige Anhebung, hat auch laut dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) keinerlei Änderung des Rauchverhaltens zur Folge – außer, dass für einen Umstieg auf die weniger schädlichen Tabakprodukte kein finanzieller Anreiz mehr existiert (siehe oben).

Der Tabak-Schwarzmarkt in Europa ist lukrativ

Doch wie steht es um den Tabak-Schwarzmarkt? Handelt es sich dabei um ein bequemes Argument der Tabakindustrie? Die einfache Antwort lautet: nein. Der Handel mit geschmuggelten und gefälschten Tabakprodukten ist in der EU ein Milliardengeschäft.

Die Tabakpreise in Europa variieren so gravierend, dass sich allein der Schmuggel legal hergestellter Zigaretten extrem lohnt (vgl. World Bank Group 2019, S. 77). So kostet eine Packung Zigaretten in Irland, Island und Norwegen ca. 11 Euro, während sich die Kosten für die gleiche Packung in Bulgarien auf knapp 3 Euro belaufen – in angrenzenden Nicht-EU-Ländern können die Preise noch weit niedriger angesetzt sein.

Allein in Deutschland sollen im Jahr 2019 3,5 Milliarden «illegale» Zigaretten im Umlauf gewesen sein, darunter fallen sowohl gefälschte als auch unversteuerte Zigaretten (KPMG 2020). Gezählt und hochgerechnet werden Packungen, die im Abfall landen («Empty Pack Survey»), mit entsprechend schwer bewertbarer Fehlerquote (KPMG 2020, S. 181–190), so dass die Zahl auch um einen unbekannten Faktor höher sein könnte.

Umgerechnet wären das in etwa 175.000.000 Packungen (à 20 Zigaretten), oder entsprechend 525.000.000 Euro bei einem Packungspreis von geschätzten 3 Euro (entsprechend 575.092.636,65 Schweizer Franken).

In Frankreich sind die Zahlen noch gravierender: Dort sollen pro Jahr ca. 7,2 Milliarden dieser Zigaretten im Umlauf gewesen sein (13,7 % der konsumierten Zigaretten). In jeder großen Stadt soll es dort vergleichsweise einfach sein, illegale Zigaretten zu erwerben.

Die Schweiz, die den Großteil der Schwarzmarktware aus Frankreich bezieht, scheint laut der offiziellen Daten mit 300 Millionen illegalen Zigaretten (in etwa 2,8 % aller konsumierten Zigaretten) ein kleines Licht in der Statistik zu sein (KPMG 2020, S. 165).

Aus einem Bericht der World Bank Group (2019, S. 75) geht hervor, dass der Europäischen Union durch den illegalen Zigarettenhandel jedes Jahr ein Budget von ca. 10 Milliarden verlorengeht. Gleichzeitig sind diese auch das am meisten beschlagnahmte illegale Handelsgut (mit einem Wert von 3,78 Milliarden Euro, bzw. 4.14 Milliarden CHF (European Commission 2017, S. 5)).

Obwohl die EU in den vergangenen Jahren Schritte eingeleitet hat, das Problem des Schwarzmarktes zu lösen, bleibt der Markt seit 2005 relativ stabil (ebd. S.76).

Industrielle Zigarettenproduktion für den Schwarzmarkt

Insbesondere die illegale Produktion von gefälschter Ware stellt in den letzten Jahren einen zunehmenden Faktor dar. Der Grund dafür liegt vermutlich in der verstärkten Grenzkontrolle, auf den der Schwarzmarkt mit wachsenden Produktionskapazitäten antwortete.

Beispiele dafür finden sich immer wieder: Im Jahr 2018 wurde in Irland eine illegale Zigarettenfabrik mit einem Produktionsvermögen von 250.000 Zigaretten pro Stunde von den Behörden außer Betrieb genommen (ebd. S.76).

Auch in Deutschland gab es bis im August 2020 eine solche Fabrik im Raum Kleve. Laut RP Online entdeckten Staatsanwaltschaft und Zollfahndung dort «unter anderem eine Maschine zur Zigarettenherstellung und elf Millionen gefälschte Markenzigaretten».

Im Jahr 2010 berichtete die WirtschaftsWoche über die Zigarettenmarke „Jin Ling“, die in der Baltischen Tabakfabrik (BTF) in Kaliningrad hergestellt und mutmaßlich im großen Stil nach Deutschland geschmuggelt wird, in Verbindung mit der «russischen Mafia».

Auch die Berichte der World Bank Group zeugen davon, dass hinter dem Schwarzmarkt die organisierte Kriminalität steckt – aber auch Terrororganisationen. Wie im Fall von BTF errichten auch diese Gruppen häufig legale Firmen, um ihre kriminellen Aktivitäten zu verschleiern (World Bank Group 2019, S. 76f).

Die Ausmaße des illegalen Handels mit Zigaretten ist großen Teilen der EU-Öffentlichkeit unbekannt – obwohl dieser die größte Einnahme Quelle für die organisierte Kriminalität in Europa darstellt. Eine Eurobarometer Umfrage aus 2015 ergab, dass sich lediglich 15 % der Deutschen (keine Zahlen für die Schweiz) darüber im Klaren sind.

Die Tabak-Industrie schmuggelt ihre eigenen Produkte

Was jedoch auch Teil der Wahrheit ist: Die Tabakindustrie ist in den Schmuggel ihrer eigenen Produkte involviert (vgl. auch: Gilmore/Gallagher/Rowell 2019, S. 127). Das Geschäftsmodell basiert auf einfacher Vermeidung von Steuerzahlungen durch die direkte Bedienung des Schwarzmarktes.

Diese wird durch zahlreiche Whistleblower, Wissenschaftler (Joossens et al. 2016), Investigativjournalisten, Gerichtsurteile und viele weitere Veröffentlichungen belegt.

Man mag den Tabakkonzernen einen Vertrauensvorschuss einräumen und eingestehen, dass dies nicht mit vollständiger Absicht geschehen sein mag. Aber dann muss die Industrie sich den Vorwurf der mangelnden Kontrolle der Produktionskette gefallen lassen.

So wird beispielsweise an einigen Standorten überproduziert (Ukraine), andere werden überbeliefert (Belgien) – im Wissen, dass die Produkte auf dem Schwarzmarkt enden werden (Gilmore/Gallagher/Rowell 2019, S. 131).

Wenn die Tabakindustrie also gegen den Schwarzmarkt wettert, dann im ganz konkreten Fall von Markenrechtsverstößen, da sie am Verkauf ihrer eigenen Produkte in jedem Fall verdient – nur eben vorbei an der Steuer.

Tabaksteuer und moderne Drogenpolitik

Menschen haben immer Rauschmittel konsumiert und werden das auch in Zukunft nicht unterlassen. Diese Erkenntnis folgt nicht nur aus einer Betrachtung hunderter Jahre Menschheitsgeschichte, sondern aus praktischen Erfahrungen der Alkohol- und Cannabisprohibition.

Der Staat muss jedoch gewährleisten, dass die auf dem Markt angebotenen Stoffe rein sind und dass alle verfügbaren Informationen ungeschönt und unverfälscht bei den Konsumierenden ankommen.

Durch (Maß-)Regelungsinstrumente wie eine höhere Tabaksteuer, kann zwar eine niedrigere Raucherquote erzwungen werden – jedoch steigt auch dann notwendigerweise das Potenzial für den Schwarzmarkt, der Geld in die Kassen von Kriminellen spült und wenig Raum für Prävention lässt. (Eine Erkenntnis, die eigentlich auch der FDP klar sein müsste, wenn sie zwar einen legalen Cannabismarkt fordern, jedoch auf hohe Besteuerung pochen.)

Stärkere Kontrolle der Tabakindustrie, die Einführung von Tabakwerbeverbot und Lobbyregister, aber auch die niedrigere Besteuerung von Tabakerhitzern und E-Liquids würden den Konsumierenden finanziell nicht so sehr belasten – während diese Maßnahmen ein echtes Lösungspotenzial aufweisen.

«Daß der Mensch besser täte, nicht zu rauchen und sich solche Bedürfnisse nicht anzugewöhnen, das unterschreibe ich wie jeden schönen moralischen Satz gerne. Wie der einzelne aber sich mit dem rauhen Leben abfindet, und welche Tröstungen ihm dabei dienlich sind, ist eines jeden eigene Sache.»

Hermann Hesse

Dirk Netter

 

Literatur

European Commission (2017): Progress report on the implementation of the Commission Communication „Stepping up the fight against cigarette smuggling and other forms of illicit trade in tobacco products – a comprehensive EU strategy. Brüssel.

Gilmore, A. B./Gallagher, A. W. A./Rowell, A. (2019): Tobacco industry’s elaborate attempts to control a global track and trace system and fundamentally undermine the Illicit Trade Protocol. In: Tobacco Control, 28. Jg., H. 2, S. 127–140.

Joossens, L./Gilmore, A. B./Stoklosa, M./Ross, H. (2016): Assessment of the European Union’s illicit trade agreements with the four major Transnational Tobacco Companies. In: Tobacco Control, 25. Jg., H. 3, S. 254–260.

KPMG (2020): 2019 ResultsIllicit cigarette consumption in the EU, UK, Norway and Switzerland. S. 234. https://www.stopillegal.com/docs/default-source/external-docs/kpmg-report—2019-results/kpmg-report-illicit-cigarette-consumption-in-the-eu-uk-norway-and-switzerland-2019-results.pdf.

World Bank Group (2019): Confronting Illicit Tobacco Trade : a Global Review of Country Experiences : Confronting Illicit Tobacco Trade : a Global Review of Country Experiences. https://documents.worldbank.org/en/publication/documents-reports/documentdetail/677451548260528135/Confronting-Illicit-Tobacco-Trade-a-Global-Review-of-Country-Experiences (21. Mai 2021).