Die entheogene Revolution

XtraVision einer psychedelisierten Welt

San Pedro Wheel. Artwork: Markus Berger

Text: Markus Berger

Die Einsicht, dass die Prügelstrafe keine geeignete Methode ist, um die Befähigung zum Rechnen, Lesen und Schreiben zu fördern, ist noch nicht sehr lange selbstverständlich.“ (Mathias Bröckers, Keine Angst vor Hanf)

Stellen wir uns seine Gesellschaft vor, in der der Gebrauch von psychoaktiven Stoffen wieder kulturell integriert wäre. Wohlgemerkt: der Gebrauch von allen psychoaktiven Stoffen, nicht nur von einigen ausgewählten, an denen sich die Staatsgefüge mittels horrender Steuereinnahmen satt stoßen. Denn dann müsste sich ja nichts ändern. Es geht also nicht um die schnelle Fluppe zwischen Mittagstisch und Meeting, nicht um den wochenendlichen Alkoholexzess zum Ausgleich für eine kaum zu ertragende Arbeitswoche in den Fängen und Zwängen der Leistungsgesellschaft – und nicht mal nur um endlich legalisiertes Cannabis in Deutschland und anderswo.

Stellen wir uns vor, jeder Mensch dürfte von Gesetzes wegen genau die Substanz für sich wählen, die er oder sie möchte. Ohne jede Repression. Drogengesetze würden sich auf kontrollierte Herstellung und den korrekten Vertrieb sowie auf Angelegenheiten des Jugendschutzes beschränken. Dann würden sich Menschen zusammentun und gemeinsam Zauberpilze essen oder LSD schlucken. Eingekauft beim spezialisierten Fachhändler, zum Beispiel beim örtlichen Apotheker. Andere würden Amphetamine, Kokain oder 2C-B aus der Apotheke holen und sich damit von Zeit zu Zeit das sexuelle Leben versüßen. Die nächsten würden Cannabis oder Opium rauchen, um zu entspannen, andere Meskalin oder DMT verwenden, um spirituelles Verständnis zu erlangen oder um die Meditationspraxis zu bereichern. Manche würden die empathogenen und öffnenden Eigenschaften eines MDMA-Erlebnisses nutzen, um sich für den Alltag zu erden, um psychische Belastungen zu lindern oder um eine kritische Lebenssituation zu meistern, Ärzte und Therapeuten könnten die heilsamen Eigenschaften psychoaktiver Stoffe nutzen, um ihren Patienten die jeweils passende Behandlung angedeihen zu lassen. Wissenschaftler würden zur Lösung ihrer kniffeligsten Probleme Psychedelika nehmen, was de facto bei einigen Forschern schon lange der Fall ist, allerdings heutzutage notgedrungen im Untergrund, heimlich, still und ohne Aufsehen zu erregen praktiziert wird.

Was für ein Bild, das wir uns da vor unserem inneren Auge aufbauen. Für die einen das Paradies, für andere in den schlimmsten Alpträumen nicht vorstellbar. Kommt die Frage auf: Was würde sich, wenn es so wäre, wie oben beschrieben, im Vergleich zu heute wohl ändern? Käme man auf die Idee, diese Frage den Suchtexperten und Prohibitionisten von heute zu stellen, würden diese das gezeichnete Traumbild sicherlich als Worst-Case-Fall bewerten (obwohl es in der 25.000 Jahre währenden Geschichte des Menschen erst seit knapp hundert Jahren die Drogenprohibition gibt; man beachte, welche Gehirnwäsche in der kurzen Zeit betrieben wurde!). Die Welt würde angesichts solcher Zustände ganz gewiss in ein heilloses Chaos versinken (als ob sie das nicht bereits täte), überall würden Junkies und Suchtbolzen durch die heruntergekommenen Städte wanken, immer nur auf den nächsten Flash erpicht. Immer mit der Nadel im Arm oder dem Schnupfröhrchen in der Nase. Die Kinder würden allesamt zu bildungsfremden Asozialen, die nichts mehr lernen, zu nichts mehr zu gebrauchen sind, die Gesellschaft würde letztlich zerfallen.

Wir müssen solchen Unsinn zum Glück nicht glauben. Auch heute sind psychoaktive Drogen in die Gesellschaften dieser Welt eingebettet, und sie fordern natürlich immer wieder ihre Opfer. Da müssen wir gar nichts schön reden. Schauen wir nur auf unseren Kulturkreis. Alkoholiker, Medikamentenabhängige, Nikotintote. Es ist nicht von der Hand zu weisen.

Um wieviel größer aber ist die Anzahl derer, die einen vernünftigen und unschädlichen Gebrauch ihrer Lieblingsdrogen praktizieren? Das ist doch das Interessante an der Drogenlüge. Niemand bezweifelt, dass die Phänomene Sucht und Abhängigkeit ein Thema sind. Aber es betrifft stets nur einen kleinen Kreis von Menschen, die mit derartigen Problemen zu kämpfen haben. Und die wird es immer geben. Zehn Prozent der User laufen Gefahr, die Kontrolle zu verlieren. Dagegen stehen jedoch 90 Prozent der Drogennutzer, die keinerlei Probleme durch ihren Konsum bekommen. Dabei sind Sucht und Abhängigkeit ohnehin nicht substanzgebunden, sie werden nicht einmal von den Substanzen hervorgerufen, sondern allenfalls unterstützt. Es sind die sozialen Zusammenhänge, die genetischen bzw. charakterlichen Veranlagungen und nicht zuletzt die vergangenen und/oder gegenwärtigen Lebensumstände, die einen Menschen in die Abhängigkeit treiben. Und wenn kein „Suchtgift“ zur Hand ist, tut es auch das Internet, die Spielhalle oder der gefüllte Kühlschrank. Die Sucht hat viele Gesichter und ist beileibe nicht auf psychoaktive Drogen beschränkt. Dennoch entwickeln manche – die erwähnten zehn Prozent – ungesunde und unkontrollierte Verhaltensmuster in Bezug auf die Einnahme von Drogen. Aber: Die meisten Menschen sind – und das darf nicht verkannt werden – in der Lage, trotz gelegentlicher oder gar regelmäßiger Berauschung ein normales Leben zu führen, ihren Jobs nachzugehen, ihre Kinder zu erziehen und alltäglichen Problemen mündig und vernunftbasiert zu begegnen.

Freie Drogen – High Society: Würde das Abendland untergehen?

Nein, würde es nicht. Denn – wir haben es gerade erläutert – unsere Gesellschaft ist ja längst auf Drogen. Beziehungsweise ist sie es immer noch, denn eine Gesellschaft ohne psychoaktive Stoffe hat es nie gegeben und wird es nie geben. Der Unterschied zum Normalfall ist, dass jetzt die politischen Herrscher entscheiden, welche Substanzen das Volk sich reinpfeifen soll und welche unter Strafe verboten sind zu beschaffen, zu besitzen, in manchem Land auch zu genießen (auf die Idee, solche Reglements für Nahrungsmittel zu erlassen, kam indes kaum ein Gesetzgeber).

Bei freier Drogenwahl würde sich im Großen und Ganzen an der Integrität der Menschen nichts weiter ändern. Beispiele, wie es früher war, gibt es in der Literatur zuhauf – schauen wir uns exemplarisch einige davon an. Nehmen wir zum Beispiel Kokain und Morphin in der vorprohibitionistischen Gesellschaft. Die Autoren Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter haben bereits 2015 ein Buch zur „psychedelischen Renaissance“ im Suhrkamp-Verlag herausgegeben, es heißt „Neues von der anderen Seite – Die Wiederentdeckung des Psychedelischen“. Die beiden Journalisten sind keine Drogenexperten. Aber sie verstehen ihr Handwerk und haben für die im Buch abgedruckten Texte gründlich recherchiert. Und herausgefunden, dass es „einmal einen anderen, weitaus vernünftigeren Umgang mit Drogen gegeben“ hat: „Morphin war Bestandteil vieler Hustensäfte und Stimmungsaufheller, die in Apotheken frei verkauft wurden, Kokain wurde in Softdrinks gemischt. Es gab sogar einen mit Koka versetzten Wein, den Vin Mariani, dem die Päpste Leo XIII. und Pius X. ebenso frönten wie die gestrenge Queen Victoria. Gleich den meisten ihrer Zeitgenossen konnten sie den Gebrauch von derartigen Medikamenten und Genussmitteln in unbedenklichem Rahmen halten, als unschuldige Bereicherung eines Lebensvollzugs, der sonst in keiner Weise vom Substanzgebrauch geprägt oder gar definiert war. Natürlich wurden auch damals schon manche Menschen von den Wässerchen, Sirups und Tränken abhängig, so wie von Alkohol bis heute. Die Ärzte behandelten sie jedoch als Kranke“ (Seite 14).

Lucys Xtra

Du hast bereits einen Onlinezugang bei uns? Dann melde dich hier an.

Einzelbeitrag

0,90 CHF
Die entheogene Revolution
• Sofortzugriff auf den ganzen Beitrag
• Zusätzliche Bilder und Informationen
• 12 Monate unbegrenzt abrufbar
• Auf all deinen Geräten nutzbar

Onlinezugang

13,80 CHF
• Einen Monat gratis lesen*
• Unbegrenzter Zugriff auf exklusive Inhalte
• Abodauer selbst flexibel bestimmen
• E-Papers gratis ab 24 Monaten Laufzeit

Print-Abonnement

35,00 CHF
• Zwischen verschiedenen Abos wählen
• Preis selbst bestimmen
• Onlinzugang & E-Paper gratis erhalten
• Dankeschön geschenkt bekommen