Die Ethnomedizin psychotroper Kakteen

XtraCactacearum Medica: Eine Übersicht

Kakteenhaus. Foto: Markus Berger

Text: Markus Berger

Dass Kakteen eine ungeahnte Palette an Heilkräften aufweisen, wird im Folgenden ersichtlich sein. Das ist zwar für uns ein durchaus exotisches Thema, doch war die medizinische Wirksamkeit dieser Gewächse auch im deutschsprachigen Raum schon früh bekannt. So wurde bereits 1625 Melocactus als Melonendistel im Kräuterbuch des Heilkundigen TABERNAEMONTANUS erwähnt und beschrieben. Auch der Naturarzt Hugo HERTWIG weiß Faszinierendes zu berichten: »Kürzlich zeigte sich, daß eine 62-jährige Marokkanerin verjüngt wurde und in Kürze alle Falten und Runzeln verlor, nachdem sie einen Tee von Kakteenblüten getrunken hatte. Es wurde festgestellt, daß diese Kakteen die Fähigkeit besitzen, das Bindegewebe zu regenerieren« (HERTWIG 1969: 234). Der Autor lässt uns allerdings darüber im Unklaren, um welche Pflanze es sich genau handelt. Dass ethnomedizinisch verwendete Kakteen jedoch in der Tat von unschätzbarem Wert sind, zeigt uns die folgende Übersicht, die im übrigen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Acanthocereus (A.BERGER) BR. et R. 1909

Der säulige und kletternde Vierwinklige Acanthocereus tetragonus wurde und wird in Südamerika von verschiedenen indigenen Völkergruppen als Diuretikum, also als harntreibendes Medikament, gebraucht. So wird beispielsweise in Brasilien aus dem Fleisch frischer Triebe ein Aufgussgetränk bereitet, welches bei Bedarf in großzügigen Dosierungen getrunken werden soll.

Aporocactus LEM. 1860

Der Schlangen- oder Peitschenkaktus Aporocactus flagelliformis findet in der mexikanischen Volksheilkunde als Ätzmittel bzw. Pharmakon gegen Verätzungen, Herzmedikament und als Wurmmittel Verwendung. Die frischen Triebe werden geschält und ausgekocht oder es wird der frische Pflanzensaft gebraucht. Aporocactus wird dabei sowohl innerlich, als auch äußerlich angewendet, also getrunken oder aufgetragen.

Ariocarpus trigonus in Kultur

Ariocarpus SCHEIDW. 1838

Ariocarpus kotschoubeyanus ist in und rund um Tamaulipas (Mexiko) als Medizin in Gebrauch. Die Pflanzen werden in Alkohol eingelegt und sowohl als äußerlich aufzutragendes Schmerzmittel, besonders bei Quetschungen und ähnlichen Verletzungen, als auch als innerlich einzunehmendes Pharmakon genutzt. Die Sunami genannte Ariocarpus-Spezies Ariocarpus fissuratus „wird seit langer Zeit in der traditionellen Medizin Mexikos und im Südwesten der USA angewendet. Man glaubt, dass sie stärker als Peyote wirkt“ (GOTTLIEB 2000: 43). Im südwestlichen Mexiko wird Sunami bei Schlangenbissen, Infektionen, Schnittverletzungen, Quetschungen und anderen Wunden gekaut oder auch als Umschlag bereitet.

Junges Exemplar von Carnegiea gigantea

Carnegiea BR. et R. 1908

Die Seri-Indianer der mexikanischen Sonorawüste benutzen den Saft und das frische Fleisch des für sie wichtigen Heilkaktus Carnegiea gigantea (Saguaro, Westernkaktus) gegen Rheumatismus: „Die (…) Seríindianer schneiden aus dem lebenden Kaktus ein Stück aus dem Stamm, entfernen die Stacheln und erhitzen das Kaktusfleisch auf heißer Holzkohle. Dann wird es in ein Tuch gewickelt und auf rheumatische oder schmerzende Stellen gelegt (…)“ (RÄTSCH 1998: 155). Die Pima aus Arizona nutzen abgestorbene Triebe des Saguaro als Schiene bei Knochenbrüchen und das Fleisch als milchflussförderndes Mittel (CURTIN 1949: 53). Außerdem bereiten sie alkoholische und andere berauschende Zeremonialtränke aus den Früchten des Saguaro (CURTIN 1949: 53; RUSSEL 1908). Die Apachen, Chiricahua, Maricopa, Papago und Mescaleros nutzen den Saft, die Früchte oder einen aus dem Fleisch gewonnen Sirup als Süßungsmittel und/oder berauschende Ingedienz für Ritualgetränke (CASTETTER et al. 1935; CASTETTER et al. 1936; CASTETTER et al. 1951: 204). Außerdem wird Carnegiea gigantea innerhalb der indigenen Ethnomedizin als Schmerzmittel und Antidot (Gegengift) für verschiedene Vergiftungen, zum Beispiel durch Pflanzen oder Tiere hervorgerufene, angewendet.

Cereus MILL. 1754

Diverse Cereus-Arten (Fackelkakteen) werden in einigen südamerikanischen Ländern volksmedizinisch genutzt. Cereus hexagonus gilt in Venezuela als Diuretikum und ist zur Behandlung von Hämorrhagien nützlich, Cereus quadrangularis HAW. wurde einst in der Ethnomedizin Floridas sogar als Mittel gegen Krebs verwandt. Cereus repandus wird ebenfalls in Venezuela als medizinisches Shampoo und Seife, zum Beispiel bei Flohbefall oder ähnlichem, sowie gegen Diarrhoe angewendet. Das grünliche Fleisch wird herausgeschält, feuer- oder sonnengetrocknet und bei Durchfallerkrankungen gegessen.

Coryphantha runyonii

Coryphantha (ENGELM.) LEM. 1868

Einige Coryphantha-Spezies, zum Beispiel Coryphantha compacta, Coryphantha macromeris (Trivialbezeichnungen: Donãna, Dona ana, Hikuli) und andere, werden in Mexiko von den Indianerstämmen medizinisch wie Lophophora williamsii (s.u.) genutzt. Dabei wird tatsächlich so gut wie das gesamte heilkräftige Spektrum, das auch Lophophora abdeckt, von den Indianern genutzt. Es darf nicht unterschlagen werden, dass ein Großteil der traditionellen schamanischen Heilkunst sich auf psychischer Ebene abspielt. Das heißt, dass der Heiler, der Arzt, der Schamane, sich mit Hilfe diverser pharmakologisch aktiver Pflanzen – auch mit vielen Kakteenarten! – auf eine innere visionäre Reise begibt, auf welcher er zunächst die Erkrankung selbst erkennt, dann deren Ursache und anschließend den Genesungsweg hin zur Gesundheit. Coryphantha macromeris ist so eine Pflanze, welche Schamanen für eben diese Reisen gebrauchen. Die Pflanze enthält halluzinogene Alkaloide, allerdings kein Meskalin. Der aktive Wirkstoff der Kaktee nennt sich Macromerin und gehört zur Gruppe der Phenylethylamine.

Echinocactus LINK et OTTO 1827

Die Mahuna in New Mexico nutzen diverse Echinocactus-Spezies als Oralmedizin, zum Beispiel zur Vorbeugung von Schwellungen der Speicheldrüsen vor einer Mundbehandlung (ROMERO 1954: 47). Obwohl keine genauen Artangaben bekannt sind, gehe ich davon aus, dass Echinocactus horizonthalonius und andere, zum Beispiel Echinocactus texensis, in Gebrauch sind. Die Arten kommen im südlichen bzw. südöstlichen New Mexiko relativ häufig vor.

Echinocereus ENGELM. 1848

Der Igelsäulenkaktus Echinocereus triglochidiatus (Pitallito) wird in Nord-Mexiko von einigen Indianerstämmen medizinisch wie Lophophora williamsii (s.u.) genutzt. In Südwest-Mexiko wird Echinocereus triglochidiatus als Knochenschiene und herzkraftstärkendes Mittel sowie als schamanischer Neurotransmitter verwendet. Der Bananenkaktus Echinocereus enneacanthus wird im nordöstlichen Mexiko gegen Wassersucht, als Wurmmittel und zum Töten von Fischen verwendet und Echinocereus triglochidiatus var. melanacanthus wird von den nordamerikanischen Navajo als Herzmittel und Gift gebraucht (ELMORE 1944: 64). Doch damit nicht genug: Echinocereus poselgeri (Trivialbezeichnung: Sacasil, Zocoxochitl) wird in Mexiko (Coahuila, Nuevo Leon, Tamaulipas) und Texas gegen Arthritis und rheumatische Leiden verwendet. Einige Echinocereus-Arten wurden von den Pueblo-Indianern vom Stamm der Isleta von New Mexico bis Nordost-Arizona als externes Antirheumatikum gebraucht. Die gerösteten Triebe wurden als Umschlag auf Schwellungen gebracht (JONES 1931: 28).

Echninopsis-Hybriden

Echinopsis ZUCC. 1837

Diverse ehemalige Lobivien, die heute alle Echinopsis-Arten sind (z.B. Echinopsis hertrichiana, Echinopsis aurea, Echinopsis backebergii und andere), werden in Südamerika (Argentinien, Bolivien und Peru) von verschiedenen indigenen Völkergruppen medizinisch, vorwiegend als Psychotherapeutikum, verwendet. Das kann man sich so vorstellen, dass die Kakteen psychoaktive Wirkstoffe enthalten, welche – ähnlich wie auch in der westlichen Medizin solche Sitzungen vorgenommen werden bzw. wurden – während einer therapeutischen Einheit eingenommen werden, um den Geist zu lösen oder bestimmte Erfahrungen zu induzieren. Später wird das Erlebte im Gespräch aufgearbeitet.

Epiphyllum HAW. 1812

Epiphyllum-Spezies werden innerhalb der mexikanischen Ethnomedizin bei Darmerkrankungen, Epiphyllum oxypetalum als Langlebigkeits-Tonikum und Epiphyllum phyllanthus als herzkraftstärkendes Mittel und Tonikum verwandt. In Guatemala (Alta-Verapaz) werden die erhitzten Triebe des Epiphyllum hookeri als Schiene für gebrochene Knochen benutzt.

Epithelantha micromeris

Epithelantha (F.A.C. WEBER) BR. et R. 1922

Lucys Xtra

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