Die psychedelische Taufe

XtraWie Psychedelika die Kirchen verändern

Text Don Lattin

Die Living Grace Lutheran Church, eine zerrüttete Gemeinde am Stadtrand von Omaha, scheint der letzte mögliche Ort für ein Experiment mit der erlösenden Kraft der psychedelischen Spiritualität zu sein. Nebraska ist einer der politisch und kulturell konservativsten Bundesstaaten Amerikas – ein Ort, an dem sowohl medizinisches Marihuana als auch Cannabis zur Freizeitgestaltung immer noch illegal sind. Das Mitbringen eines einzigen Cannabinoid-haltigen Gummibärchens (edible) über die Grenze von Colorado ist in Nebraska nach wie vor eine Straftat. Dennoch spielte der Pastor von Living Grace, Rev. James Lindberg, auf stille Weise eine Schlüsselrolle in einem der ungewöhnlichsten Forschungsprojekte der aufkeimenden psychedelischen Renaissance.

Die meisten Studien, die an Universitäten und medizinischen Zentren von New York bis San Francisco durchgeführt werden, befassen sich mit den potenziellen Vorteilen der psychedelisch unterstützten Therapie für die geistige Gesundheit. Kann MDMA, das auf der Straße als «Ecstasy» oder «Molly» bekannt ist, bei der Behandlung von Militärveteranen oder Vergewaltigungsopfern mit posttraumatischer Belastungsstörung helfen? Kann Psilocybin, der psychoaktive Inhaltsstoff, der den Pilzen ihren Zauber verleiht, bei der Behandlung von Depressionen oder Drogenmissbrauch helfen?

Pfarrer Lindberg nahm als Proband an einer ganz anderen Art von Experiment teil, das von Forschern der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore und der NYU Langone Health in Manhattan durchgeführt wurde. Er war einer von zwei Dutzend gesunden und «psychedelisch naiven» religiösen Fachleuten – Rabbiner, Priester, Seminarprofessoren –, die an einer Studie teilnahmen, die (zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels) noch nicht veröffentlicht wurde. Nach einer sorgfältigen Auswahl und Vorbereitung wurden ihnen in einer angenehmen, überwachten Umgebung zwei Dosen synthetisches Psilocybin verabreicht. Die Idee war, die chemisch induzierten mystischen Erfahrungen zu messen, die sie durch die Substanzen eventuell erleben könnten, und im Nachhinein zu sehen, wie diese göttliche Begegnung ihnen für ihrem Dienst hatte helfen können oder vielleicht sogar eher hinderlich gewesen war. Das mag zunächst wie ein respektloser Scherz klingen: «Ein Rabbiner, ein katholischer Priester und ein protestantischer Prediger betreten einen Raum und erhalten eine kräftige Portion Magic Mushrooms.» Aber es war eben kein Scherz, und was dann geschah, war tatsächlich alles andere als respektlos.

Dieser Artikel berichtet über die magischen Mystery-Trips von vier Personen, die an diesem Versuch teilnahmen – allesamt protestantische Geistliche. Zwei von ihnen hatten überwiegend positive Erfahrungen und fühlten sich in ihrem Dienst inspiriert. «Es ist erstaunlich, wie viele Geistliche noch nie eine mystische Erfahrung gemacht haben», sagt Pfarrer Roger Joslin, der zwei Episkopalkirchen auf Long Island, New York, leitet. «Wie wollen Sie das Mysterium in das Leben Ihrer Gemeinde einbringen, wenn Sie selbst nicht wissen, wie es ist?»[1] «Die institutionelle Religion kann potenziell viel aus der psychedelischen Erfahrung lernen», sagt Pfarrer Hunt Priest, ein Episkopaler, der eine Organisation gegründet hat, um andere Geistliche und Laien zu unterstützen, die sich für die Erforschung von Entheogenen interessieren. «Und die psychedelische Gemeinschaft kann eine Menge von der organisierten Religion lernen.»[2]

Zwei andere Studienteilnehmer, darunter James Lindberg, fühlten sich zunächst eher verwirrt als erleuchtet. Pfarrerin Rita Powell, eine episkopale Geistliche und Harvard-Kaplanin, fragte sich, warum sie auf ihrer Reise nicht Christus begegnet war. «Ich betrat einen Raum des Nichts. Es gab keinen Raum zum Betreten. Ich sah niemanden. Ich war nirgendwo. Es gab weder Farbe, noch deren Abwesenheit. Es gab keine Form und auch nicht deren Abwesenheit. Es gab keine Angst. Es gab keine Freude. Es gab keine Enthüllung. Da war nichts.»[3] Die Psychedelika, so Lindberg, stürzten ihn als lutherischen Pastor zunächst in eine Art «Glaubenskrise». «Sie öffneten mir die Augen und zeigten mir, dass meine Sicht der Welt klein und begrenzt war, verglichen mit dem, was ich gerade erlebt hatte. Eine Zeit lang kämpfte ich damit, was es bedeutet, ein ausgewiesenes Mitglied des Klerus zu sein, das die Lehren dieser Religion verkünden soll. Ich wurde bescheidener, als ich über Gott sprach. Gott ist größer und gewaltiger, als ich es mir vorstellen kann.»[4]

***

Die neue Welle entheogener Erkundungen in den Vereinigten Staaten findet zeitgleich mit einem historischen Rückgang der Kirchenbesucher statt – ein freier Fall, der schon vor der COVID-Pandemie begann. Laut einer Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Gallup (Washington, D.C.) sank die Mitgliedschaft in Gotteshäusern im Jahr 2020 zum ersten Mal in acht Jahrzehnten der Erhebung unter die 50-Prozent-Marke. Nur noch 47 Prozent der Befragten gaben an, Mitglied in einer Kirche, Synagoge oder Moschee zu sein, 1999 waren es noch 70 Prozent. Lindbergs Konfession, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Amerika (ELCA), ist davon besonders schwer betroffen. Die Mitgliederzahlen gehen so schnell zurück, dass diese Kirche einer Prognose zufolge in ein oder zwei Generationen vom Aussterben bedroht sein wird.[5] Als junger Reporter im Bereich «Religion» berichtete ich über den Kongress 1987 in Columbus, Ohio, als drei kleinere lutherische Kirchen für den Zusammenschluss zur neuen ELCA mit 5,3 Millionen Mitgliedern stimmten. Bis zum Jahr 2020 war die nationale Mitgliederzahl auf 3,1 Millionen gesunken.

James Lindberg, geboren 1970, wuchs in einer lutherischen Familie in Sacramento, Kalifornien, auf. Sein zweiter Vorname ist Christian. Als er aufwuchs, dachte er daran, Polizist, Sozialarbeiter oder Highschool-Lehrer zu werden. Doch nach seinem Bachelor-Abschluss an der Sacramento State University schrieb sich Lindberg am Luther-Seminar in St. Paul, Minnesota, im Kernland des amerikanischen Luthertums, ein. «Es gab keine großen Erleuchtungen oder spirituellen Erfahrungen, die mich zum Pfarramt führten», erinnert er sich. «Die Kirche war einfach etwas, das mir sehr vertraut war. Ich ging in den Dienst, weil die Kirche gut zu mir passte. Ich liebe die Kirche einfach.»

Lucys Xtra

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