DMT in Zitrusgewächsen

Über die Widersinnigkeit der Drogenverbote

Wer sich eingehend mit der Drogengesetzgebung und der weltweiten Prohibition von Psychoaktiva beschäftigt, dem wird zwangsläufig auffallen, dass diese repressiven Reglements nicht nur allzu willkürlich definiert wurden, sondern dass die Drogenverbote darüber hinaus jeder Sinnhaftigkeit entbehren. Spätestens wenn klar wird, dass wir Menschen und alle Tiere sowie eine unfassbare Anzahl an Pflanzen Produzenten psychoaktiver Moleküle sind, dürfte selbst dem dumpfesten Geist auffallen, wie unhaltbar die vom Menschen gemachten Gesetze rund um die illegalisierten Substanzen sind. Dies lässt sich ganz besonders beeindruckend an einem Beispiel belegen, das noch gar nicht so alt ist. Im Lauf der vergangenen Jahre hat sich nämlich u.a. herausgestellt, dass diverse Zitrusgewächse wie auch deren Früchte DMT, Bufotenin und andere psychoaktive Substanzen enthalten.

Der im Juni 2014 verstorbene US-Psychonaut, Chemiker und Autor Alexander „Sasha“ Theodore Shulgin schrieb einst einen Satz, der wahrer nicht hätte sein können: „DMT is everywhere!“
So oft dieser kurze Satz zitiert wurde, so oft hat er sich für die Forschung bewahrheitet. Schließlich war das potente Tryptamin-Halluzinogen und Entheogen DMT (N,N-Dimethyltryptamin) 1931 vom kanadischen Chemiker Richard Helmuth Fredrick Manske (1901 bis 1977) vermeintlich „erfunden“ worden, und alle Welt war damals der Ansicht, dass es sich bei DMT um ein reines Synthetikum handele. Erst 1955 entdeckte man DMT als Naturstoff im Samen des Yopo-Baums (Anandenanthera peregrina), später stellten Wissenschaftler fest, dass die eigentliche Spitze des Eisbergs die Anwesenheit von N,N-DMT und verwandter Moleküle im tierischen und menschlichen Organismus darstellt. Seitdem sind viele psychoaktive Drogen im Labor kreiert und anschließend als natürliche Substanzen entdeckt worden – wir denken nur an das berühmt berüchtigte Benzodiazepin Diazepam (Valium), das zunächst als Sedativum aus der Retorte bekannt geworden und erst deutlich später als Naturstoff in Reis, Mais, der Kartoffel und anderen Pflanzen nachgewiesen wurde.

Jetzt wollen wir uns einer kleinen Sensation zuwenden, die zwar seit einigen Jahren in der aufgeklärten Szene bekannt ist, seitdem aber nicht sonderlich die Runde machte. Denn von 2012 bis 2014 fand ein Forscherteam um den italienischen Wissenschaftler Luigi Servillo heraus, dass Zitrusgewächse, genauer gesagt die Bergamotte, der Zitronenbaum und der Orangenbaum, DMT und Bufotenin (5-HO-DMT) sowie andere Psychoaktiva und Moleküle vom Tryptamin- und Phenethylamin-Typus enthalten! Was für eine Entdeckung! Dabei sind die Stoffe in Blättern, Samen, Saft, Früchten und in der Schale der Zitruspflanzen nachgewiesen worden – und zwar DMT, Bufotenin, Bufotenidin, Norbufotenin, Hordenin sowie weitere fünf Tryptamine und drei Phenethylamine. Servillo und seine Kollegen publizierten drei Fachartikel im „Journal of Agricultural and Food Chemistry“, in denen sie ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit mitteilen.

Interessanterweise hat sich diese Nachricht nicht großartig herumgesprochen. Womöglich ist manchen Amts- und Würdenträgern dieser Welt auch gar nicht danach zumute, diese Information in den Mainstream fließen zu lassen, konterkariert sie doch jede betäubungsmittelrechtliche Verordnung aufs Heftigste. Fußend auf der Erkenntnis, dass Zitrusfrüchte hochpotente Psychedelika produzieren und enthalten, hätte nämlich in der logischen Konsequenz einiges geschehen müssen in unseren Gesellschaften. Entweder hätte man die Betäubungsmittelgesetze ändern oder aber Hunderttausende von Menschen verurteilen und wegsperren müssen. Nehmen wir nur den US-amerikanischen Controlled Substances Act (CSA), die US-amerikanische Version unseres BtMG. Nach diesem Gesetz heißt es, dass der Besitz und Ankauf sowie die Herstellung und Weitergabe sogenannter Schedule-I-Substanzen (also Stoffe, die nicht verkehrsfähig sind), zu denen auch DMT gehört, in „jedem Material“ und in „jeder Quantität“ der Strafbarkeit anheimfallen. Konkret bedeutet das: Jeder Zitruspflanzen-Bauer, jeder Zitrusproduzent, jeder Obstverkäufer und jeder Obstankäufer ist per Gesetz ein krimineller Drogendealer, -freund oder -konsument, jeder Zitrusfruchtbesitzer, jeder, der mit Zitrusfrüchten und -pflanzen sich beschäftigt, damit arbeitet, diese züchtet etc. pp. gehört – per Gesetz – vor Gericht und schließlich in den Knast.

Und klingelt’s jetzt? Ist nun auch dem Letzten klar geworden, wie widersinnig die Drogengesetze sind? Hatte die Amts- und Würdenträger unserer Gesellschaften schon nicht die wissenschaftliche Sensation interessiert, dass Mensch und Tier naturgegebenerweise multiple Drogenproduzenten sind, so geben sie sich über die Erkenntnisse der laufenden pharmakologischen Forschung auch nicht gerade sonderlich beeindruckt. Und halten auch künftig an Idiotie und Hirnlosigkeit fest – ganz egal, wie sehr die Wissenschaft sämtliche Drogenpolitik Lügen straft. Wo ist denn auch der Unterschied? Der logisch nachvollziehbare Unterschied, der ausmacht, dass DMT-haltige Akazien illegalisiert sind, DMT-haltige Zitrusfrüchte und -pflanzen jedoch nicht? Die Wahrheit ist, dass es keinen Unterschied gibt. Die Wahrheit ist, dass alles, aber auch wirklich alles, was mit den Drogengesetzen einhergeht und zusammenhängt, ein Produkt der reinen Willkür ist.

Wer nun glaubt, dass die DMT-haltigen Zitrusfrüchte bzw. -produkte mit MAO-Hemmer kombiniert eine neuartige Form von Ayahuasca-Analogen darstellen könnten, der muss enttäuscht werden. Die Moleküle in den Zitrusfrüchten und -pflanzen liegen nämlich in nicht allzu hoher Konzentration vor. DMT zum Beispiel kommt in Blättern der Bergamotte in Konzentrationen von 0,2 bis 0,4 Milligramm pro Kilogramm Blattmaterial vor, und deshalb sind Orangen- und Zitronenbäume nicht die idealen Lieferanten, um konsumgeeignete Mengen DMTs oder Bufotenins zu produzieren. Darum geht es aber letzten Endes auch gar nicht. Es ist vollkommen unwichtig, wie viel Substanz jeweils in den unterschiedlichen pflanzlichen, pilzlichen und tierischen Organismen nachweisbar ist. Wichtig ist allein zu wissen, dass diese psychoaktiven Stoffe so gut wie überall zu finden sind. Wir erinnern uns an die US-amerikanischen Drogengesetze: Der Umgang mit DMT (und anderen Schedule-I-Substanzen) in „jedem Material“ und in „jeder Konzentration“ ist explizit strafbar. Möge sich jeder seine eigenen Gedanken dazu machen.

Die Arbeiten von Luigi Servillo und seinen Forscherkollegen sind in Abstractform im Internet zu finden, gegen Bezahlung kann man sich auch die kompletten Papers herunterladen.

 

Quellen zu DMT und Bufotenin in Zitruspflanzen

Berger, Markus (2017), DMT – Forschung, Anwendung, Kultur, Aarau: AT Verlag

Servillo, L., Giovane, A., Balestrieri, M. L., Cautela, D. und Castaldo, D. (2012), N-Methylated tryptamine derivatives in Citrus genus plants: Identification of N,N,N-trimethyltryptamine in bergamot. Journal of Agricultural and Food Chemistry 60(37): 9512–9518.

Servillo, L., Giovane, A., Balestrieri, M. L., Casale, R., Cautela, D. und Castaldo, D.
(2013), Citrus genus plants contain N-methylated tryptamine derivatives and their 5-hydroxylated forms. Journal of Agricultural and Food Chemistry 61(21): 5156–5162.

Servillo, L., Giovane, A., Balestrieri, M. L., Ferrari, G., Casale, R., Cautela, D., Castaldo, D. und D’Onofrio, N. (2014), N-Methylated Derivatives of Tyramine in Citrus Genus Plants: Identification of N,N,N-Trimethyltyramine (Candicine). Journal of Agricultural and Food Chemistry 62(12): 2679–2684.

 

Markus Berger