Drogeninfostände – mehr als nur Information

Psychoaktive Kultur leben

Text: Hans Cousto

Drogeninfostände auf Festivals oder Partys in Clubs sind eine Interventionsstrategie zur Gesundheitsförderung durch Vermittlung von Wissen über Drogen sowie zu Themen wie Set und Setting beim Drogengebrauch. Unter Set versteht man die Befindlichkeit und Erwartungshaltung vor der Einnahme von Drogen und das Setting beinhaltet die Rahmenbedingungen während der psychedelischen Reise.

Drogeninfostände sind Treffpunkte für erfahrene Psychonauten wie auch für Novizen und dienen dem Austausch. Das Leitmotiv ist der Austausch von Erfahrungen. Die Mitarbeiter/innen des Drogeninfostandes vermitteln somit nicht nur Informationen an potenzielle Konsumenten von psychoaktiven Substanzen, sondern sie erweitern ihr Wissen durch die Erzählungen von den Besucher/innen des Standes, von denen einige schon über Jahrzehnte lang Erfahrungen mit der Kombination der unterschiedlichsten Substanzen gesammelt haben. In keinem Hörsaal einer Universität kann man sich so viele authentische Berichte über Drogenerfahrungen zu Gemüte führen wie auf einem Drogeninfostand auf einem Psytrancefestival.

Historisches

Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts kam es immer wieder mal vor, dass am Montag um die Mittagszeit ein Club eine Party nicht beenden konnte, weil etliche Besucher der Party so verpeilt waren, dass man sie nicht mit einem guten Gewissen auf die Straße schicken konnte. Obwohl das Barpersonal und die Türsteher eigentlich nach Hause wollten, weil sie schon mehrere Überstunden geleistet hatten, musste die Party fortgesetzt werden, bis in der Nähe eine „Notparty“ in einem anderen Club organisiert war. Dann konnten nämlich die verpeilten Partygäste gemeinsam mit dem Personal von dem einen in den anderen Club ziehen, ohne dass die Partygäste Gefahr liefen, sich auf dem Heimweg zu verirren oder im Straßenverkehr Schaden zu nehmen. Diese Zeiten sind (zumindest in Berlin) glücklicherweise vorbei, weil in der Zwischenzeit die meisten Partygäste gelernt haben, ihren Drogengebrauch so zu gestalten, dass sie selbsttätig und ohne fremde Hilfe nach der Party ihren Heimweg antreten können. Drogeninfostände haben hierbei einen wichtigen Beitrag geleistet, weil durch die vermittelten Informationen die Drogenkompetenz und die Drogenmündigkeit im Partyvolk erheblich gesteigert wurde.

Obwohl man sich heute dank des Internets viel leichter – und auch fundierter – informieren kann als vor zwanzig Jahren, haben Drogeninfostände heute nicht ausgedient. Webseiten, Foren und soziale Netzwerke können eben das persönliche Gespräch nicht ersetzen, und viele Leute lesen auch heute noch lieber gedruckte Informationen auf Papier als Informationen auf dem Bildschirm. Zudem sind Drogeninfostände auch Orte der Begegnung, wo Konsumenten von psychotrop wirkenden Substanzen ihre Erfahrungen austauschen können. Desweiteren sind die Infostände auch Ankerpunkte für Konsumenten von psychoaktiven Substanzen. Die Anwesenheit eines Drogeninfostandes mit erfahrenem Personal gibt den Leuten auf ihrer psychedelischen Reise ein Gefühl von Sicherheit, da sie wissen, dass bei einem unerwarteten Verlauf derselben, Personen vor Ort sind, die man um Rat fragen kann. Allein dieses Gefühl der Sicherheit mindert die Wahrscheinlichkeit, dass die psychedelische Reise einen unangenehmen Verlauf nimmt, ja die Wahrscheinlichkeit von Horrortrips und/oder panischen Zuständen wird gesenkt. Dies gilt jedoch nur, wenn am Drogeninfostand erfahrenes Personal anwesend ist und dieses auch bis zum Ende der Party vor Ort bleibt.

Blick in den Drogeninfostand auf dem Goa-Gil-Ritual 2016 bei Berlin. Foto: Tomek (CC BY-SA 3.0 DE)
Typische Workshopsituation beim Drogeninfostand auf dem New Healing Festival 2017. Foto: Tim Mecking (CC BY-SA 3.0 DE)
Ausschnitt des Drogeninfostandes auf dem New Healing Festival 2019. Foto: Doro Tops (CC BY-SA 3.0 DE)
Zwei Personen mit „Stromabnehmer“ auf dem Drogeninfostand auf dem New Healing Festival 2017. Foto: Tomek (CC BY-SA 3.0 DE). Links im Bild ist der Entwickler dieser Technologie, Masahiro Kahata, zu sehen. Umgangssprachlich wird diese Technologie auch „Gehirnwellenstriptease“ genannt
Ausschnitt des Drogeninfostandes auf dem New Healing Festival 2017. Foto: Tomek (CC BY-SA 3.0 DE)
Visualisierte Gehirnströme von zwei Personen auf der Leinwand im Drogeninfostand auf dem New Healing Festival 2017. Foto: Tomek (CC BY-SA 3.0 DE)

Drogenmischkonsum

Drogenmischkonsum ist eine Realität und wird von vielen Menschen praktiziert, obwohl viele Drogenberatungsstellen davor warnen, jedoch kaum Informationen dazu liefern. Generell gilt: Drogenmischkonsum ist eine Kunst wie Kochen. Jeder gute Koch weiß, dass, wenn man bei einer Speise von einem Gewürz zu viel oder zu wenig verwendet, das ganze Essen nicht mehr schmeckt. Richtig gut zu würzen ist eine kulturell seit Jahrhunderten überlieferte Kunst. Das gleiche gilt für den Drogenmischkonsum. Nimmt man von einer Substanz zu viel oder zu wenig, dann kann die psychonautische Reise leicht von vielen unangenehmen Nebenwirkung geprägt sein, statt einen mit Freude, anregenden Erkenntnissen oder wohltuenden spirituellen Erlebnissen zu beflügeln. An Drogeninfoständen haben Psychonauten die Möglichkeit, mit Gleichgesinnten auf Augenhöhe ihre Erfahrungen zu reflektieren, mehr über die Kultur der Psychonautik zu erfahren und vor allem Hinweise zur Schadensminderung wie auch zur Genussoptimierung zu bekommen, wie auch an andere Personen weiterzugeben.

Stetige Erweiterung des Angebots

Bis um die Jahrtausendwende waren Partydrogenbroschüren das am meisten genutzte Mittel, um Informationen über die Wirkung von Drogen zur Verfügung zu stellen. Diese Broschüren, zumeist im CD-Format gedruckt, umfassten im Schnitt 24 bis 32 Seiten. In der Zwischenzeit gibt es weitaus ausführlichere Fachinformationen zu diversen Substanzen wie auch zum Mischkonsum von Drogen. Die heutigen Fachinformation umfassen, je nach Substanz, im allgemeinen 10 bis 20 Seiten im A4-Format. Solche Fachinformation findet man auch im Internet, so beispielsweise auf den Seiten der Freien Arbeitsgemeinschaft Drogengenusskultur (www.drogenkult.net). Besonders auf Festivals trifft man jedoch immer häufiger Leute, die seit vielen Jahren mit diversen Substanzen experimentiert haben und die man als erfahrene Psychonauten bezeichnen kann. Die kommen mit sehr fachspezifischen Fragen. Deshalb werden auf Festivals wie dem Goa-Gil-Ritual die Drogeninfostände mit einem Bücherstand mit Fachliteratur zur Thematik ergänzt. Besonders erfahrene Psychonauten wissen, dass eine gut fundierte Sachkenntnis der Schadensminderung beim Drogengebrauch dienlich ist.

Auf dem Goa-Gil-Ritual wurde ab dem Jahr 2017 der kombinierte Info- und Bücherstand durch ein weiteres Angebot ergänzt: der Möglichkeit, seine eigene Gehirnströme zu visualisieren. Dabei kamen Brain-Duino-Geräte zum Einsatz, die von Masahiro Kahata entwickelt wurden. Die Kombination von Drogeninfostand und Gehirnwellenvisualisierung hatte sich auch bei vielen Partys im KitKat Club (Mystic Friday, Mystic Rose) bestens bewährt und ist bei den Gästen der Partys auf großes Interesse gestoßen. Die Gäste konnten so die bewusste (vom Willen beeinflusste) Tätigkeit ihres Gehirns zu Beginn der Party im nüchternen Zustand mit der bewussten Beeinflussbarkeit ihrer Gehirnwellen zu einem späteren Zeitpunkt nach paar Stunden Tanzen im Zustand unter dem Einfluss psychotrop wirkender Substanzen vergleichen. Dabei wurde offenbar, dass nach der Einnahme von Psychedelika wie LSD oder Zauberpilzen die bewusste Beeinflussbarkeit gesteigert war, nach der Einnahme von reinen Stimulanzien wie Amphetamin (Speed), Methamphetamin (Crystal Meth) oder Kokain war diese jedoch vermindert.

New Healing Festival

Das New Healing Festival dauert jeweils eine Woche und findet jährlich an einem Badesee nördlich von Berlin statt. Dort gibt es nicht nur Musik, sondern auch zahlreiche Workshops, Vorträge, Yogakurse und vieles anderes mehr. Auf dem Festival gibt es seit Jahren einen großen Drogeninfostand mit der Möglichkeit, seine Gehirnwellen vor und nach einem Yogakurs zu begutachten oder zu sehen, wie sich die Gehirnwellen beim Obertonsingen verändern. Doch gibt es weitere Themenschwerpunkte, die den Stand zu einem integralen Bestandteil des Festival machen. Dabei geht es um Musik und Psychonautik wie auch um (heilige) Geometrie, die nicht nur beim Bau gotischer Kathedralen eine zentrale Funktion hatte, sondern heute die gleiche Funktion bei der Gestaltung der Tanzfläche hat. Der Drogeninfostand ist hier eben nicht ein Angebot eines fremden Dienstleisters, sondern ein kulturell integrierter Bestandteil des Festivals.

Der Einfluss bestimmter Drogen auf diverse Musikstile ist seit langem bekannt und gilt als recht gut erforscht. Relativ neu ist hingegen die Sonifikation von psychoaktiven Molekülen. Hierbei wird mittels des Oktavgesetzes das für das Molekül spezifische Spektrum im Infrarotbereich in den Hörbereich transponiert. So ist es möglich, durch von der Natur vorgegebene Eigenschaften eines Moleküls eine Musik mit einer großen Affinität zu eben diesem Molekül zu kreieren. Durch das Molekül sind somit die Tonhöhen, Intervalle, Tempi, Hall- und Loopzeiten determiniert. Immer mehr Musiker experimentieren mit diesen Vorgaben zur Kompositionstechnik, und zahlreiche Psychonauten freuen sich, wenn sie eine psychonautische Reise im Rahmen eines solchen akustischen Settings genießen können. Da am Infostand die Grundlage dieser Kompositionstechnik in gedruckter Form bereitliegen, entwickelt sich der Stand nicht nur zur Diskussionsplattform betreffend der Wirkung von Drogen, sondern vor allem auch betreffend des akustischen Settings bei psychedelischen Reisen. So wird der Infostand zu einem kreativen Treffpunkt für das kulturelle Schaffen von geeigneten Settings für psychedelische Reisen.

Musik hat einen großen Einfluss auf das Empfinden der Zuhörer, Musik entfaltet Wirkung. Das gilt insbesondere für einen „Klangwirkstoff“, der molekular gestimmt ist. Doch auch die Geometrie und die Harmonik der Kunstwerke der Umgebung entfalten eine Wirkung. Deshalb gibt es an manchen Infoständen auf Festivals auch hierzu Materialien und Workshops. Das optische Setting spielt in der Psychonautik eine ebenso wichtige Rolle wie das akustische Setting. Die gilt insbesondere für den Dancefloor, der das energetische Zentrum des Festivals ist. Ein gut gestalteter Dancefloor ist ein richtiger Tanztempel und kann auf die ekstatisch in Trance Tanzenden einen genauso mächtigen Einfluss haben wie eine Kathedrale mit ihren Rosetten auf die frommen Teilnehmer eines Gottesdienstes. Für manche Psychonauten ist die Teilnahme an einem Tanzritual ebenso für das seelische Wohlbefinden von Bedeutung wie der Kirchgang für fromme Gläubige. Die Einnahme von LSD, Zauberpilzen oder anderer Psychoaktiva erlangt die Bedeutung eines heiligen Sakramentes, um auf dem Dancefloor die göttliche Dimension in einem selbst zu erkennen.

Weiterführende Links:

www.klangwirkstoff.de

www.planetware.de

www.drogenkult.net