Michael Kleim ist Pfarrer und drogenpolitischer Aktivist, geboren 1960 in der DDR. Ursprünglich eher unauffällig aufgewachsen, führte ihn die Subkultur der «Tramper» in den kulturellen wie politischen Untergrund. Tramper waren so etwas wie die DDR-Hippies, die im Rahmen der Diktatur bewusst Freiräume für Individualismus, Freizügigkeit, Kreativität und Spiritualität ausgetestet haben. Auch später war er mit verschiedenen Subkulturen in der DDR verbunden. Atheistisch erzogen, ließ sich Michael Kleim als junger Erwachsener taufen. Er studierte an der kirchlichen Hochschule Naumburg Theologie. In dieser Zeit brachte er sich intensiv in die staatskritische Friedens- und Menschenrechtsbewegung ein. Nach 1989 wurde er Pfarrer in Thüringen, er arbeitet seit über zwanzig Jahren als Seelsorger in Gera. Auch nach dem Fall der DDR-Diktatur war das Thema «Menschenrechte» für Kleim nicht erledigt. Die Erfahrungen mit der Repression hat ihn kritisch auf die neue gesellschaftliche Situation blicken lassen. So nahm er für sich das Thema «Drogenpolitik» auf. Die Prohibition führt global dazu, autoritäre Staatsformen zu stärken und demokratische Strukturen zu zerstören. Im Namen der Drogenbekämpfung werden systematisch Menschen- und Bürgerrechte verletzt, massiv ökologische Schäden produziert und politische Vorgänge militarisiert. Deshalb ist Michael Kleim ein strikter Gegner der Prohibition und setzt sich für einen grundsätzlichen Wandel in der Drogenpolitik ein.
Welche Rolle spielt der Glauben in deinem Aktivismus?
Ich denke, dass Spiritualität und religiöse Suche schon immer ein Teil von mir waren. Durch die Tramperkultur wurde mir dieses Interesse bewusster. Die evangelische Kirche bot in der konkreten DDR-Situation existentielle Freiräume an. Sie öffnete, zum Teil gegen den Widerspruch konservativer Mitglieder, ihre Türen für unangepasste, oppositionelle und verfolgte Menschen. Auf kirchlichen Veranstaltungen wurden kritische Themen zur Sprache gebracht: Reisefreiheit, Frauenemanzipation, Pazifismus, homosexuelle Liebe. Es gab Gruppen unter dem Dach der Kirche, die sich für kulturelle Freiheit und gesellschaftliche Veränderungen engagierten. Zudem waren innerhalb der Kirche verschiedene Formen gelebter Spiritualität zu finden.
Ein strukturiertes Gedankenmodel für wahr zu halten, das hat für mich nicht viel mit Glauben zu tun. Ebenso sind mir all die Haltungen fremd, die eine konkrete, historische Form von Religion absolut setzen. Glaube bedeutet für mich, mit einer tieferen Wirklichkeit in Beziehung zu gehen. Die Weite von Realität zu atmen. Verbundenheit zu erkennen und zu leben. Von Vertrauen getragen zu werden. Glaube wohnt in der Seele. Ich kann Glauben erleben. Die Formen des Glaubens sind bunt, vielfältig und zum Teil auch widersprüchlich. Deshalb sind mir interreligiöse Begegnung und Verständigung wichtig.
Ich verstehe mich als Vertreter der politischen Mystik. Für mich entspricht die Umsetzung des Gebotes der Nächstenliebe auf der politischen Ebene dem Einsatz für die Menschenrechte. Womit wir wieder beim Kampf gegen die Prohibition sind. Aber um ganz offen zu sein: Das Thema «Drogenpolitik» hat sich mir aufgrund der Dringlichkeit aufgedrängt. Wesentlich spannender und bereichernder finde ich es, mich mit dem Phänomen der Wechselwirkung zwischen Kultur und Drogengebrauch auseinanderzusetzen oder mich mit den spirituellen Dimensionen der Anwendung psychoaktiver Substanzen zu beschäftigen.
Warum ist das Thema DDR und Drogen für dich (und für die Leser relevant)?
Dieses Thema fokussiert unseren Blick. Einerseits erfahren wir mehr über die Menschen in der DDR, ihren Alltag und ihre Form, Drogenkulturen zu entwickeln. Wir sehen hinter die Fassade und können entdecken, dass in der DDR kreativ eigene subkulturelle Abläufe gestaltet wurden. Wir können sehen, wie viel Eigensinn, Vielfalt und Selbstbestimmung der Diktatur abgerungen wurde. Wir bekommen ein differenzierteres Bild vom Leben in der DDR. Andererseits können wir am Umgang mit den Drogen auch sehen, wie das System «Diktatur» funktioniert.
Welche Drogen in welcher Art und Weise gebraucht werden, das sagt sehr viel über eine Gesellschaft aus. Drogen sind weit mehr Spiegel, als Verursacher gesellschaftlicher Prozesse. Die jeweils bestehende Drogenkultur wird von unterschiedlichen sozialen, religiösen bzw. philosophischen, ökonomischen, juristischen und politischen Faktoren beeinflusst. Sie beschreibt individuelle, wie auch kollektive Erfahrungen. Dabei werden auch verdrängte und verheimlichte Realitäten sichtbar. Drogengebrauch, sowohl im offiziellen als auch im subkulturellen Kontext, bringt den verborgenen, psychischen Zustand einer Gesellschaft ans Licht. Sehnsüchte und Ängste, Trauer und Träume, Bewältigungsstrategien und Herrschaftsstrukturen, Anpassung und Widerstand finden in den Drogenkulturen ihren Widerschein. Die Dimension von Philosophie und Weltdeutung, Grenzüberschreitung und Transzendenz wird durch Rausch- und Drogenerfahrung berührt. Auch in der DDR war Drogenkultur ein Spiegel des gesellschaftlichen Zustandes.
Lucys Xtra
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