Hirndoping oder: Über die Pharmakologisierung des Alltags

Wie die Bereitschaft, Körper und Seele chemisch zu stimulieren, eine neue Drogenrealität schafft

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Auszug aus dem Heft

Ob all die Substanzen, die von der Pharmaindustrie zur Stimulation des Hirns in Umlauf gebracht werden, tatsächlich die Wirkungen erzielen, die ihnen zugeschrieben werden, welche Rolle dabei der Placebo-Effekt spielt, ob Ritalin, Modafinil oder Prozac und das verwandte Fluctin tatsächlich so risikoarm sind, wie ihre Propagandisten behaupten, und welches Suchtrisiko sie in sich bergen, das alles sind legitime Fragen, die ich jedoch im Folgenden nicht weiter erörtern will. Es genügt zu wissen, dass derartige Produkte am Markt sind, dass die pharmazeutische Industrie daran arbeitet, weitere einschlägige Produkte zu kreieren, dass sie in Kooperation mit der Nahrungsmittelindustrie dabei ist, «Brainfood» am Markt zu etablieren, und dass, wie erste empirische Untersuchungen nachweisen, Teile der Bevölkerung bereit sind, Dopingmittel in ihren Alltag zu integrieren. Das ist der Ausgangspunkt meiner Überlegungen – verbunden mit der Frage, auf welche Entwicklungen wir uns einzustellen haben.

Die «Pharmakologisierung des Alltags» hat, was leicht vergessen wird, bereits in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts eingesetzt, als unter der Führerschaft schweizerischer Pharmakonzerne Produkte auf den Markt kamen, deren Wirksubstanzen auf das Zentralnervensystem zielen: Valium, Librium, Nobrium. Deren Markteroberung vollzog sich schleichend und ohne die gebührende öffentliche Aufmerksamkeit. Die war ganz und gar auf die illegalisierten sogenannten Jugenddrogen fixiert: Opium, Heroin, Kokain, Haschisch und LSD. Ihnen wurde der Drogenkrieg erklärt, in dessen Schatten die Pharmaindustrie ihre eigenen Produktentwicklungen vorantrieb, bis hin zu jenen Substanzen, die heute am Markt sind, und von denen es heißt, sie steigerten das Leistungsvermögen und verbesserten das Wohlbefinden ihrer Konsumenten.
Als ich Mitte der 1980er-Jahre die zunehmende Pharmakologisierung des Alltags zu beschreiben begann und in diesem Zusammenhang von «Alltagsdoping» sprach, war das kritisch gemeint. Ich wollte auf etwas aufmerksam machen, was ich für eine gesellschaftliche Fehlentwicklung hielt.
Es ist auffallend, welchen Bedeutungswandel der Begriff «Doping» im Verlaufe einer relativ kurzen Zeit erfahren hat. Heute wird, wenn es darum geht, den steigenden Konsum von Medikamenten zur Regulierung des Alltags zu erklären, wie selbstverständlich von Doping gesprochen – prägnant auf den Punkt gebracht in einer Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung: «Drogen im Alltag. Das ganz normale Doping». Nichts allerdings illustriert diesen Bedeutungswandel mehr, als der bevorzugt im Umfeld von Sportsendungen ausgestrahlte Werbeclip für ein coffeinhaltiges Haarwaschmittel: «Alpezin. Doping für das Haar».
Wenn ein stetig wachsender Teil der Bevölkerung den Gebrauch von Leistungsdrogen gutheißt und selbst dazu bereit ist, vorbehaltlich möglicher Nebenwirkungen das Angebot der Pharmaindustrie anzunehmen, dann manifestiert sich darin eine veränderte Einstellung zu Drogen. Dieser Prozess der inneren Legalisierung von Drogen vollzieht sich rasant, auch wenn der öffentliche Diskurs nach wie vor auf Verbote und Repression setzt. Doch in der […]

Günter Amendt

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