Homo alcoholicus – Die Angst um Saccharomyces cerevisiae

XtraEssay zur Rauschkultur (2)

Text: Christoph Roßner

Hegen und Pflegen – ein genetischer Auftrag?

Ohne Symbiosen wäre das Leben auf diesem Planeten nicht möglich, ob wir in die Tiefen der Meere blicken oder in große Höhen, die Pioniere dort sind nur in symbiotischen Vereinigungen stark genug, um dort überleben zu können. Pilze, Flechten, Moose, Bakterien und Pflanzen gehen mit Amöben und Tieren symbiotische Verhältnisse ein, um gemeinsam zu mutieren. Erst diese Mutation kann das Leben in die entlegensten und lebensfeindlichsten Winkel dieses Planeten bringen. Die Natur ist einfallsreich in den Facetten des Lebens und das ist sozusagen «bio-logisch».

Diese Biologie stellt sich z.B. sehr gut bei den Blattschneiderameisen Atta laevigata in Südamerika dar, diese leben in einer sehr tiefgreifenden Symbiose mit einem Pilz, Leucoagaricus gongylophorus. Beide sind ohne den anderen nicht überlebensfähig. Diese tiefe biologische Abhängigkeit führte aber dazu, dass diese zwei Symbiosepartner so zum größten Pflanzenfresser des südamerikanischen Regenwaldes mutierten, der bis zu 13 Prozent der Biomasse für sich, vom Blatt, Stiel, bis hin zur Frucht, als Nahrung beansprucht.

Der ganze Ameisenstaat hat sich auf die Zucht des Pilzes spezialisiert. Es gibt winzig kleine Arbeiterinnen, die den Pilz vor Verunreinigungen, z.B. durch andere Pilzsporen schützen, große Wächterinnen mit gigantischen Kiefern, die Arbeiterinnen, die sich aufs Blätter Holen und die, die sich aufs Zerkleinern derselben spezialisiert haben, Pflegerinnen für die Brut und die Königin. In dieser perfekt aufeinander abgestimmten Staatsform haben diese beide Lebensformen eine sehr gute Möglichkeit gefunden zu überleben. Die Atta vollenweideri geht so weit, dass sie Ihre Pilzfarmen, mithilfe von Gärprozessen und komplizierten Wärme- und Abluftkanälen, mit einem optimalen Klima versorgt. Auch hier gibt der Pilz den Ameisen vor, wie er sein Habitat möchte und diese schaffen es ganz nach seinen Bedürfnissen. Die Kommunikation erfolgt über die Königin, die in ihrem langen Leben bis zu 150 Millionen Nachkommen gebiert, lenkt und leitet. Diese Königin wird durch ihre bis zu 3 Millionen gleichzeitig lebenden Arbeiterinnen gehegt, gepflegt, geputzt und gefüttert. Die kleinsten Arbeiterinnen füttern und pflegen den Pilz und ihre Mitarbeiterinnen, dazu schneiden sie kleine Portionen des reifen Pilzes in mundgerechte Stücke und bringen diese dann zu den anderen. Sie verhindern aber auch die Bildung von Sporenkörpern durch die gezielte Beschneidung des Myzels. Es entstehen knollenartige Verdickungen, die Gongylidia genannt werden. Diese sind eiweißhaltig und dienen auch als Nahrung für die Königin, die ja viele Eier und Nachkommen machen muss, damit der Pilz und der Staat überleben, weshalb hier von einem genetisch verschlüsselten und übertragenen Pflege- und Hegesystem ausgegangen werden muss. Für die Ameisen ist der Pilz unmittelbar das Leben, ob sie ihn «anbeten», ist nicht erforscht oder bekannt.

Kult und Kultur

Wenn man die geschichtliche Entwicklung des Homo alcoholicus mit jener der Blattschneiderameise vergleicht, sind sehr viele interessante Parallelen zu beobachten, die uns Aufschluss darüber geben können, wie sich Saccharomyces cerevisiae, besser bekannt als Bierhefe, mit dem Homo alcoholicus in den letzten Jahrhunderten in einer umweltzerstörenden Symbiose vereinigt hat. Der Kult um die Hefe begann mit dem Aufstieg des Monotheismus im antiken Zweistromland des Euphrat und Tigris, als die Priester des städtischen Kriegsgottes Marduk in Babylon begannen, vergorenen Getreidebrei zu opfern und sich damit zu seinen Ehren zu betrinken und für einen Sieg im Kampfe zu beten. Hammurapi I. vereinte dann unter Marduk 50 weitere Gottheiten und erfand so den Monotheismus als eine Säule der staatlichen Macht. Die Mardukpriester waren ihm dankbar, denn der Kult um den vergorenen Getreidebrei war so mittlerweile zu einer Hochkultur geworden. Das geschah vor rund 4000 Jahren und beeinflusste die menschliche Entwicklung gravierend. Ab diesem Moment kultivierte sich der Homo alcoholicus zusammen mit seinem Pilz, der Bierhefe. Er begann, in großen Mengen Getreide anzubauen, da der Durst auf Vergorenes stieg und Brot auch beliebter wurde, da die Hefe nun auch andere Zubereitungsformen ermöglichte. Der Pilz begann jetzt zusammen mit seinem Symbiosepartner seine Umgebung so zu gestalten, dass beide immer genug Nahrung zur Verfügung hatten. Was natürlich, verglichen mit den Blattschneiderameisen, fatale Folgen für die Wälder dieses Planeten hatte, da die Bäume nun den Ackerflächen für Getreide weichen mussten und zum Bau von Lagerstadeln, Ställen, Schiffen, Karren und Häusern herhalten mussten. Das Habitat wurde den Bedürfnissen des Homo alcoholicus angepasst, der kurze Wege, Vorratshaltung und Sklaventum liebt, da seine Haupttätigkeit darin besteht, sich so viel Alkoholvorrat wie möglich zu beschaffen. Das wiederum bedeutet, dass es der Hefe gut geht, ihre sehr empfindliche Kultur immer besser geschützt und kultiviert wurde.

Lucys Xtra

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