Michael Kleim war innerhalb der politischen und kulturellen Opposition der DDR aktiv. Als Referent setzt er sich in Seminaren und Weiterbildungsveranstaltungen für eine grundlegende Neuorientierung im Umgang mit Drogen ein. Er ist Mitautor der Ausstellung „Drogenkultur – Kulturdrogen“ der Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen. Im Interview spricht er unter anderem über staatliche Repression, Drogenkultur in der DDR sowie über die die Bedeutung von psychotropen Substanzen für die Gegenkultur.
Für alle, die dich nicht kennen sollten: Kannst du dich bitte vorstellen?
Ich bin Michael Kleim. Geboren wurde ich 1960 in der DDR. Ursprünglich eher unauffällig aufgewachsen, führte mich die Subkultur der «Tramper» in den kulturellen wie politischen Untergrund. Tramper waren so etwas wie die DDR-Hippies, die im Rahmen der Diktatur bewusst Freiräume für Individualismus, Freizügigkeit, Kreativität und Spiritualität ausgetestet haben. Auch später war ich mit verschiedenen Subkulturen in der DDR verbunden.
Atheistisch erzogen, ließ ich mich als junger Erwachsener taufen. Ich studierte an der kirchlichen Hochschule Naumburg Theologie. In dieser Zeit brachte ich mich intensiv in die staatskritische Friedens- und Menschenrechtsbewegung ein.
Nach 1989 wurde ich Pfarrer in Thüringen und arbeite seit über zwanzig Jahren als Seelsorger in Gera. Auch nach dem Fall der DDR-Diktatur war das Thema «Menschenrechte» für mich nicht erledigt. Die Erfahrungen mit der Repression haben mich kritisch auf die neue gesellschaftliche Situation blicken lassen. So nahm ich für mich das Thema «Drogenpolitik» auf. Die Prohibition führt global dazu, autoritäre Staatsformen zu stärken und demokratische Strukturen zu zerstören. Im Namen der Drogenbekämpfung werden systematisch Menschen- und Bürgerrechte verletzt, massiv ökologische Schäden produziert und politische Vorgänge militarisiert. Deshalb bin ich ein strikter Gegner der Prohibition und setzte mich für einen grundsätzlichen Wandel in der Drogenpolitik ein.
Welche Rolle spielt der Glauben in deinem Aktivismus?
Ich denke, dass Spiritualität und religiöse Suche schon immer ein Teil von mir waren. Durch die Tramperkultur wurde mir dieses Interesse bewusster. Die evangelische Kirche bot in der konkreten DDR-Situation existentielle Freiräume an. Sie öffnete, zum Teil gegen den Widerspruch konservativer Mitglieder, ihre Türen für unangepasste, oppositionelle und verfolgte Menschen. Auf kirchlichen Veranstaltungen wurden kritische Themen zur Sprache gebracht: Reisefreiheit, Frauenemanzipation, Pazifismus, homosexuelle Liebe. Es gab Gruppen unter dem Dach der Kirche, die sich für kulturelle Freiheit und gesellschaftliche Veränderungen engagierten. Zudem waren innerhalb der Kirche verschiedene Formen gelebter Spiritualität zu finden.
Ein strukturiertes Gedankenmodel für wahr zu halten, das hat für mich nicht viel mit Glauben zu tun. Ebenso sind mir all die Haltungen fremd, die eine konkrete historische Form von Religion absolut setzen. Glaube bedeutet für mich, mit einer tieferen Wirklichkeit in Beziehung zu gehen. Die Weite von Realität zu atmen. Verbundenheit zu erkennen und zu leben. Von Vertrauen getragen zu werden. Glaube wohnt in der Seele. Ich kann Glauben erleben. Die Formen des Glaubens sind bunt, vielfältig und zum Teil auch widersprüchlich. Deshalb sind mir interreligiöse Begegnung und Verständigung wichtig.
Ich verstehe mich als Vertreter der politischen Mystik. Für mich entspricht die Umsetzung des Gebotes der Nächstenliebe auf der politischen Ebene dem Einsatz für die Menschenrechte. Womit wir wieder beim Kampf gegen die Prohibition sind.
Aber um ganz offen zu sein:
Das Thema «Drogenpolitik» hat sich mir aufgrund der Dringlichkeit aufgedrängt. Wesentlich spannender und bereichernder finde ich es, mich mit dem Phänomen der Wechselwirkung zwischen Kultur und Drogengebrauch auseinanderzusetzen und mich mit den spirituellen Dimensionen der Anwendung psychoaktiver Substanzen zu beschäftigen.
Warum ist das Thema DDR und Drogen für dich (und die Leser) relevant?
Dieses Thema fokussiert unseren Blick. Einerseits erfahren wir mehr über die Menschen in der DDR, ihren Alltag und ihre Form, Drogenkulturen zu entwickeln. Wir sehen hinter die Fassade und können entdecken, dass in der DDR kreativ eigene subkulturelle Abläufe gestaltet wurden. Wir können sehen, wie viel Eigensinn, Vielfalt und Selbstbestimmung der Diktatur abgerungen wurde. Wir bekommen ein differenzierteres Bild vom Leben in der DDR. Andererseits können wir am Umgang mit den Drogen auch sehen, wie das System «Diktatur» funktioniert.
Welche Drogen in welcher Art und Weise gebraucht werden, das sagt sehr viel über eine Gesellschaft aus. Drogen sind weit mehr Spiegel, als Verursacher gesellschaftlicher Prozesse. Die jeweils bestehende Drogenkultur wird von unterschiedlichen sozialen, religiösen bzw. philosophischen, ökonomischen, juristischen und politischen Faktoren beeinflusst. Sie beschreibt individuelle wie auch kollektive Erfahrungen. Dabei werden auch verdrängte und verheimlichte Realitäten sichtbar. Drogengebrauch, sowohl im offiziellen als auch im subkulturellen Kontext, bringt den verborgenen, psychischen Zustand einer Gesellschaft ans Licht. Sehnsüchte und Ängste, Trauer und Träume, Bewältigungsstrategien und Herrschaftsstrukturen, Anpassung und Widerstand finden in den Drogenkulturen ihren Widerschein. Die Dimension von Philosophie und Weltdeutung, Grenzüberschreitung und Transzendenz wird durch Rausch- und Drogenerfahrung berührt. Auch in der DDR war Drogenkultur ein Spiegel des gesellschaftlichen Zustandes.
So ist das Thema «DDR und Drogen» auch für all jene relevant, die sich für Drogenkultur und Drogengeschichte interessieren. Die spezifische Wechselwirkung zwischen Drogengebrauch und Kultur kann im Fokus «DDR» in besonderer Weise wahrgenommen werden – und auch politisch gibt das Thema einiges her.
Welche Substanzen waren konkret im Umlauf?
Einen Schwarzmarkt, wie er sich in Westeuropa etabliert hatte, gab es in der DDR nicht. Dies hatte auch ökonomische Gründe. Die gängigen, illegalen Rauschmittel wie Haschisch, LSD, Kokain und Heroin waren Produkte, die aus dem westlichen Ausland eingeführt werden mussten. Doch welcher Dealer wäre das Risiko strafrechtlicher Verfolgung eingegangen, um einen Sack Ost-Mark (DDR-Währung) im Kofferraum nach Hause zu fahren? Auch für den internationalen Drogenhandel war die DDR wirtschaftlich einfach zu unattraktiv.
Lucys Xtra
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