«Marihuana des kleinen Mannes»?

Insiderwissen goes Mainstream

Wenn Insiderwissen in den Mainstream gespült wird, kann Komisches dabei herauskommen. So wird zunehmend eine Pflanzengattung in der Gesellschaft bekannter, die Nachtschatten-Co-Verleger und Lucys-Rausch-Chefredakteur Markus Berger erforscht und der Öffentlichkeit nahegebracht hat: das Habichtskraut (Hieracium spp.). Bislang weisen nach den Arbeiten Bergers mindestens drei Spezies psychoaktive Eigenschaften auf: Hieracium pilosella (Mausohr-Habichtskraut), Hieracium aurantiacum (Orangerotes Habichtskraut) und Hieracium murorum (Wald-Habichtskraut). Das Kraut der Arten wird getrocknet und geraucht und induziert milde, aber spürbare psychotrope Effekte. Dabei ist die Pflanzengattung selbstverständlich legal, weil bislang niemand um die pharmakologischen Effekte gewusst hatte. Erst in Lucys Rausch Ausgabe 13 ist ein längerer Artikel abgedruckt, in dem Berger erläutert, wie er das Kraut vor etwa zehn Jahren erforscht hatte. Auch auf Lucys Online ist ein Artikel von Markus Berger über das Habichtskraut verfügbar sowie auch in diversen weiteren Magazinen (grow! Magazin, Hanf Journal).

Mittlerweile warnt die bayerische Lokalpresse vor dem Rauchen des Krauts, weil es wie auch immer geartete Nebenwirkungen herbeiführen soll. Welche das sein mögen, wird dem Leser/der Leserin nicht verraten (Clickbait!). In Wirklichkeit sind Nebenwirkungen der psychotropen Hieracium-Arten bisher nicht bekannt. Auch warne laut der Pressemeldung sogar die Polizei schon vor dem Konsum der Pflanze: «Auch wenn das Kraut und sein Konsum selbst nicht verboten sind, so ist es doch die Teilnahme am Straßenverkehr, wenn man halluzinogene Mittel wie das Habichtskraut konsumiert hat» (Quelle).

Hieracium pilosella (Blüte)
Hieracium aurantiacum (Orangerotes Habichtskraut). Foto: Markus Berger

Dass Habichtskraut halluzinogen (psychedelisch) wirkt, ist der Phantasie der Autoren (oder der Polizei) entsprungen. Dem ist nicht so.

Auch sollen sich angeblich befragte (natürlich nicht genannte) Mediziner gar über eine potenzielle Abhängigkeitsgefahr des Gebrauchs dieser völlig unbekannten Rauschpflanze geäußert haben: «Suchtähnliche Symptome verursacht der Konsum der Pflanze nach Auffassung von Mediziner*innen nicht. Dennoch wird davon abgeraten, das Habichtskraut zu rauchen. Denn wie andere psychoaktive Rauchkräuter kann auch dieses Wildkraut sehr leicht die gewünschte Wirkung verfehlen und gleichzeitig Nebenwirkungen nach sich ziehen. Die Dosierung gestaltet sich zudem schwierig» (ebd.).

Woher die Damen und Herren diese Erkenntnisse haben wollen, bleibt ungeklärt. Alle gemachten Angaben sind aus der Luft gegriffen. Die Pflanzen wurden nach der Entdeckung ihrer psychoaktiven Eigenschaften bisher nicht weiter wissenschaftlich untersucht. Tatsächlich finden sich Hieracium spp. in keinem Lehr- oder Fachbuch für medizinische oder sonstige Disziplinen. Erkentnisse über etwaige Abhängigkeitspotenziale liegen ohnehin nicht vor, weil der Konsum von Habichtskräutern bislang noch ein Randphänomen ist und aufgrund fehlender Popularität kaum praktiziert wird. Alle Warnungen basieren lediglich auf dem recht neuen Wissen, dass Habichtskräuter psychotrope Pflanzen sind.

Grundlage der Erforschung der Habichtskräuter war für den deutschen Drogenforscher Markus Berger ein kleiner Text über das Mausohr-Habichtskraut Hieracium pilosella in Band 1 der «Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen» von Christian Rätsch, die seit 2014 von Berger aktualisiert wird. Demnach verwenden User aus Dänemark das Mausohr-Habichtskraut als milden Cannabisersatz. Berger untersuchte in den Jahren 2012/13 sowohl diese als auch andere heimische Habichtskraut-Arten, die sich alle als psychoaktiv erwiesen, und publizierte dazu in diversen psychonautischen Medien. In Band 2 der Enzyklopädie, gemeinsam verfasst von Rätsch und Berger, die in diesem Jahr im August im AT Verlag (wie auch als Lizenzausgabe im Nachtschatten Verlag) erscheint, gibt es unter anderem eine große Monografie zu den Habichtskräutern, die das bisherige Wissen um Hieracium spp. verdichtet.

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Eine weitere Pflanze, die Berger als psychoaktives Kraut entdeckte, und zwar schon Anfang der 2000er, ist die Traubenorchidee Dendrobium nobile. Zubereitungen aus dieser alkaloidhaltigen Orchidee sind mittlerweile seit Jahren in niederländischen Smartshops verfügbar und beliebte (bislang legale) Produkte der psychonautischen Bewegung. Auch zu Dendrobium nobile und verwandten Orchideen wird es in Band 2 der «Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen» ausführliche monographische Einträge geben.

Ressourcen

Artikel von Markus Berger auf Lucys Online

Artikel von Markus Berger im Hanf Journal

Pressemeldung inFranken.de (23. Juni 2022)

Pressemeldung Highway-Magazin