Mikrokosmen: Ethnobotanische Betrachtungen

XtraEine Reise in mikroskopische Pflanzenwelten

Banisteriopsis caapi

Text Steven F. White

In Erinnerung an Christian Rätsch

Am Tag der Erde 2022 habe ich zusammen mit der Mikroskopie-Spezialistin Jill Pflugheber die Website Microcosms: A Homage to Sacred Plants of the Americas veröffentlicht, eine Internetdatenbank mit zahlreichen Bildern psychoaktiver Pflanzen an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technologie mit dem Schwerpunkt auf traditionellem ethnobotanischem Wissen. Die konfokale Laser-Scanning-Mikroskopie (wir haben unser Projekt an der St. Lawrence University in New York durchgeführt), also die Untersuchung eines Objekts mithilfe eines Konfokalmikroskops, sammelt Informationen aus einer geringen Tiefenschärfe, indem sie optische Schnitte durch Schichten biologischer Proben erstellt. Die Bilder werden Schrit für Schritt aufgebaut, indem das Mikroskop Photonen sammelt, die von fluoreszierenden chemischen Verbindungen emittiert werden, die wiederum in den Pflanzen selbst enthalten sind. Damit entsteht eine lebendige und präzise kolorimetrische Darstellung des Objekts. Wir laden alle Lucys-Leser*innen dazu ein, eine Reise zu unternehmen und sich in Mikrokosmen zu verlieren, in leuchtenden, vielfarbigen Pflanzenlabyrinthen. Viele werden nach dieser Reise nicht mehr in der Lage sein, Pflanzen – wie bisher – auf eine eher banale Weise wahrzunehmen. Was haben die vielen Pflanzen, die wir mikrokosmisch visualisiert haben, miteinander gemein? Sie alle werden von den indigenen Gruppen des amerikanischen Kontinents als heilig angesehen, weil sie kulturell bedeutsam sind. Und so ist die gesamte Website als eine Hommage an diese einheimischen Weisheitsträger zu verstehen, die ihr angestammtes Wissen über die Jahrtausende hinweg bewahrt haben.

Vielen Lesern von Lucys Rausch sind die drei Pflanzen, die am häufigsten zur Zubereitung des amazonischen Gebräus Ayahuasca verwendet werden, nicht unbekannt: Banisteriopsis caapi, Psychotria viridis und Diplopterys cabrerana. Vielleicht hat der eine oder  die andere den meskalinhaltigen Kaktus Echinopsis pachanoi (San Pedro/Wachuma) bei einer Zeremonie oder im privaten Setting kennengelernt oder davon gehört, dass ein anderer Kaktus, Lophophora williamsii (Peyote), seit siebentausend Jahren von den Wixárica (Huichol) im Rahmen von Ritualen verwendet wird. Wussten Sie, dass es an der archäologischen Stätte Chiribiquete in Kolumbien Beweise dafür gibt, dass die bufoteninhaltigen Samen von Anadenanthera peregrina (Yopo/Cohoba) von indigenen Ethnien schon seit 20 000 Jahren verwendet werden? Sind Ihnen die Samen von Turbina corymbosa (Ololiuhqui) oder Ipomoea (Morning Glory), die das dem LSD verwandte Lysergsäureamid (LSA) produzieren, bereits über den Weg gelaufen? Möchten Sie mehr darüber erfahren, wie Mazatec-Heiler wie María Sabina mit Salvia divinorum (Ska Pastora) und Psilocybin-haltigen Pilzen (Teonanácatl, daem Fleisch der Götter) gearbeitet haben? Warum glaubt der zeitgenössische Yanomami-Schamane und Sozialaktivist Davi Kopenawa, dass sein geliebter Schnupftabak Yãkoana, der aus der Rinde von Virola theiodora hergestellt wird, nicht gut für die Weißen ist und «nur auf eine Freundschaft mit den Menschen des Waldes bedacht ist»? Sind die zahlreichen Arten von Brugmansien (Engelstrompeten) mit ihren bezaubernden Blüten und ihrem aphrodisierenden nächtlichen Duft am ehesten den erfahrenen Inga- und Kamsá-Heilern im Sibundoy-Tal vorbehalten?

Lucys Xtra

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