Moderner Schamanismus vor der Haustür

XtraExkursion durch die ethnobotanische Artenvielfalt der Donau-Auen

Dactylorhiza sp. am Straßenrand in Deutschland. Foto: Markus Berger

Text: Gregor Pfaffinger

Jährlich besuchen ungefähr 1.500.000 Menschen aus allen Gesellschaftsschichten den Nationalpark Donau-Auen1. Sie kommen zum Wandern, Picknicken oder einfach nur zum Entspannen in diese teilweise noch so gut wie unberührte Natur. Wer hätte da gedacht, dass sich an so manchem Picknick-Tisch und den vielen Lagerwiesen die ein oder andere ethnobotanische Seltenheit dem genauen Auge preisgibt.

Wer genau hinsieht, erkennt am Wegesrand Pflanzen von magischer Natur, die in schamanischen Kulturen bis heute Verwendung finden, vor Jahrhunderten von der katholischen Kirche verboten wurden oder deren genaue Anwendung dem Wissen Zauberer und Hexen (die heimischen Ausdrücke für Schamanen und Schamaninnen!) vorbehalten waren und somit mit ihnen verschwunden sind. Doch wir alle wissen, dass auf unsere Fragen an heute lebende Schamanen, wie wir unseren eigenen Schamanismus wiedererwecken könnten, immer wieder erneut dieselbe Antwort gegeben wird: ,,Es ist noch alles da, die Bäume, die Berge, die Flüsse, auch die Tiere. Fragt sie. Sie wissen es!“2. So ist dieser Beitrag nun genau ein paar dieser unserer Schamanen-, Hexen- und Zauberpflanzen, die im und um den Nationalpark Donau-Auen zu finden sind, gewidmet, auf dass wir sie erkennen und uns so erneut annähern können.

Knabenkräuter/Erdorchideen

(Anacamptis spp., Dactylorhiza spp. uvm.)

Dactylorhiza sp. Foto: Markus Berger

Wie der Name schon bezeugt, handelt es sich bei den Knabenkräutern um Pflanzen, die bei unseren Vorfahren für Fruchtbarkeitszauber im Zusammenhang mit dem männlichen Geschlecht Verwendung fanden.3 Die kleine Bodenorchidee ähnelt optisch sehr einem erigierten Penis inklusive Hoden, da sie straff aus der Erde ihre spitzförmige Rispe an Blütenknospen aus meist zwei unterirdischen, ovalen Knollen schiebt. Durch diese penisartige Morphologie werden bis heute im Himalayaraum ähnliche Arten (breitblättriges Knabenkraut Dactylorhiza majalis, Dactylorhiza spp., Satyrium spp. uvm.) verwendet, um aus ihren getrockneten Knollen Ketten herzustellen, welche die Zeugungskraft des Mannes erhöhen sollen, der sie trägt.4 Auch werden die Knollen von schwangeren Frauen verzehrt, um das Geschlecht des Kindes beeinflussen zu können.5 Heute sind das Knabenkraut und seine vielen Verwandten sehr selten und somit bedroht.6 Seine Verbreitungsgebiete werden durch Verbauung zunehmend kleiner, daher ist es ratsam, für Experimente mit dieser Pflanze, diese im eigenen Garten oder in Gefäßpflanzungen anzubauen oder sich nur geistig und nicht durch Entwendung an die natürlichen Vorkommen anzunähern.

Vierblättrige Einbeere

(Paris quadrifolia)

Paris quadrifolia. Foto: Archiv NV

Dieses kleine, über Rhizomstränge flächendeckende Gewächs gilt im Volksmund als giftig, jedoch ist es nur sehr schwach toxisch und wurde früher sogar ,,Dollwurz“ genannt, was auf eine vergessene psychoaktive Wirkung schließen lässt7. Wer sie in den freien Auwäldern, wo sie reichlich auftritt, erblickt, merkt sofort, dass es sich um eine vergessene Hexenpflanze handeln muss. Sie produziert vier, selten fünf Blätter und eine sehr schlichte, jedoch ,,psychedelisch“ anmutende Blüte, aus der sich jeweils nur eine, optisch der Blaubeere ähnelnde Beere entwickelt. Ihr Anblick genügt, um sich in die Zeit der Hexen und Zauberer zurückversetzt zu fühlen und so ist sie ein willkommener Wegbegleiter für den ethnobotanisch interessierten Wanderer. Aufgrund fehlender Untersuchungen zu eventuellen Gefahren bei der Einnahme ist hiervon offiziell abzuraten!

Lucys Xtra

Du hast bereits einen Onlinezugang bei uns? Dann melde dich hier an.

Einzelbeitrag

0,90 CHF
Moderner Schamanismus vor der Haustür
• Sofortzugriff auf den ganzen Beitrag
• Zusätzliche Bilder und Informationen
• 12 Monate unbegrenzt abrufbar
• Auf all deinen Geräten nutzbar

Onlinezugang

13,80 CHF
• Einen Monat gratis lesen*
• Unbegrenzter Zugriff auf exklusive Inhalte
• Abodauer selbst flexibel bestimmen
• E-Papers gratis ab 24 Monaten Laufzeit

Print-Abonnement

35,00 CHF
• Zwischen verschiedenen Abos wählen
• Preis selbst bestimmen
• Onlinzugang & E-Paper gratis erhalten
• Dankeschön geschenkt bekommen