Psychedelische Renaissance in einer krisenhaften Welt

XtraWie Psychedelika die Resilienz fördern können

Text: Tom Saborowski

Ein Gespenst geht um in Europa: Das Wort der Krise. Wir alle kennen unsere alltäglichen Krisen und Konflikte – doch jenseits der individuellen Verwicklungen gibt es auch kollektive Phänomene, die unsere von der Informationsgesellschaft überlastete Psyche zu übermannen drohen. Informationen strukturieren unseren Geist, pflanzen uns Bilder ein und spielen mit unseren Emotionen – umso schwerer wird es dann, mit vielen negativen Informationen umzugehen. Zunehmend prägt die ‚Krise‘ die mediale Berichterstattung. Egal ob Wirtschafts-, Klima-, Gesundheits- oder Demokratiekrise – und seit dem letzten Jahr ein neuer Krieg in Europa; nun auch im Nahen Osten.

Für die einen mehr, für die anderen weniger spürbar, führen die Krisen die Masse der Menschen in postmodernen Gesellschaften zum erschöpften und überforderten Subjekt (Fuchs et al. 2018) – die Zeit der Depression bis hin zum Todestrieb ist längst Realität. Dabei sind viele der Krisen und Kriege die Folge von abspaltenden, entfremdeten Denkmustern. Blind für systemische Zusammenhänge konzentrieren sich die Menschen vor allem auf ihre unmittelbaren Eigeninteressen: Der näher rückende Klima-Tod der Spezies wird für einen Urlaubstag auf Mallorca mit dem Privatjet bedenkenlos in Kauf genommen. Gleichberechtigtes Miteinanderleben ist im Neoliberalismus dem möglichst luxuriösen Einzelleben auf Kosten aller anderer gewichen. In der Ich-zentrierten Gesellschaft lebt das einsame Ego der Bürger*innen zunehmend in einem Klima der Angst vor den vermeintlich Anderen – gegenüber der anderen „Klasse“, der anderen „Nationalität“, dem anderen „Geschlecht“ oder der anderen „Religion“. Diese angstvollen Konstrukte überlagern die Würde des Menschen. Alles, was nicht wie „ich“ ist, scheint eine Bedrohung zu sein – Toleranz wird ein Fremdwort. Verstärkt wird diese Bedrohungslage durch ein gewalttätiges Wirtschaftssystem, in dem wir primär kaufen und konsumieren, um künstlich geschaffene Bedürfnisse aufrechtzuerhalten oder nicht beachtete Grundbedürfnisse zu erfüllen. Wie sollen wir in einer solchen Zeit der fragilen Individuen den zukünftigen Herausforderungen begegnen und eine sichere, friedliche und kooperative Welt gestalten?

Aus meiner Sicht müssen wir dafür zuerst die Abspaltung vom vermeintlich Anderen überwinden, unsere Selbstkonzepte überdenken und psychische Krankheiten heilen. Um den Herausforderungen der Zukunft begegnen zu können, müssen wir resiliente, systemisch und kooperativ denkende Menschen werden. Denn erst so können wir eine auf Krisen vorbereitete Menschengemeinschaft bilden. Dabei existieren zahlreiche gute Gründe, wieso wir die mit Psychedelika und anderen bewusstseinsverändernden Techniken (beispielsweise Meditation) arbeitenden Menschen und ihre Netzwerke ernst nehmen und ihnen Gehör schenken sollten. Psychedelika wie Meskalin, Psilocybinpilze und DMT-haltige Pflanzen stellen seit jeher für die Menschheit Werkzeuge der Ich-Auflösung und spirituellen Erkenntnissuche dar (El-Seedi et al. 2005; Wasson et al. 1986, 2008). So meint unter anderem die Neurologin Saah (2005), dass sich der Gebrauch von Psychedelika und das menschliche Zentralnervensystem aufgrund der passenden Rezeptoraufnahme von Allechochemikalien in einem koevolutionären Verhältnis entwickelt hätte – wir sind also dafür ‚gemacht‘, Psychedelika zu konsumieren.

Um die psychedelische Erfahrung als förderlich für unsere Entwicklung von Resilienzen zu demonstrieren, möchte ich hauptsächlich drei Fragen beantworten: Was können Psychedelika sowohl für unsere persönliche als auch kollektive Resilienz in Krisenzeiten bewirken? Inwiefern leben uns die Menschen in psychedelischen Netzwerken zukunftsweisende Kooperationsgemeinschaften vor? Wie können wir psychedelische Erfahrungen in die europäischen Gesellschaften integrieren?

Dafür richten wir zuerst einen positiveren Blick auf das Wort der ‚Krise‘ als in der Einleitung. Denn maßgeblich die Art der Erzählung bestimmt, ob wir mit einem Gefühl der Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit zurückbleiben oder das transformative Potenzial von Krisensituationen wahrnehmen.

Krisenhafte Welt – vom Warn- zum Transformationswort

Dass wir dazu neigen, dem negativen Bias der „krisenhaften“ Welt zu erliegen, hat mehrere Ursachen. Zum einen fungiert das Wort der ‚Krise‘ als Warn-Wort. Es appelliert an unsere Aufmerksamkeit, uns mit der Lösung des verknüpften Phänomens zu beschäftigen. Wir glauben, es gebe eine Gefahr, die wir überwinden müssten. Allerdings handelt es sich bei unseren kollektiven Krisen um für das Individuum zunächst unbeeinflussbare Phänomene.

Um angesichts des immensen negativen Informationsflusses über Gewalt, Terror, Krieg und Tod handlungsaktiv zu bleiben, werden andere Qualitäten gefragt: geistige Autonomie, Techniken zur Informationsfreiheit, Reflexivität und Achtsamkeit über erhaltene Informationen. Die Entwicklung dieser Qualitäten kann unsere Resilienz verbessern, indem wir einen besseren Umgang mit den in unserem Bewusstsein erscheinenden Phänomenen einüben. In der psychedelischen Erfahrung ist es nicht unüblich, mit Phänomenen konfrontiert zu werden, die uns die Schrecken in den Höllenbereichen der menschlichen Psyche aufzeigen. Diese Erfahrungen gehen ebenso mit einem Gefühl der unbeeinflussbaren Machtlosigkeit einher, bei dem erlebt werden muss, was erlebt wird. Albert Hofmanns erster Trip hatte nicht primär etwas mit dem Gefühl universeller Liebe und Verbundenheit zu tun, sondern erst einmal mit Wahnsinn. Die angstvolle Ich-Auflösung beschrieb er so: „Ein Dämon war in mich eingedrungen und hatte von meinem Körper, von meinen Sinnen und von meiner Seele Besitz ergriffen. Ich sprang auf und schrie, um mich von ihm zu befreien, sank dann aber wieder machtlos auf das Sofa“ (Hofmann 2022, S. 32).

Wer bereits experimentell in die breiten Teile der eigenen Psyche vorgedrungen ist, wird auch die Anteile kennen, die wir im Alltag meist vor den anderen zu verstecken suchen. Sie gehören nicht in eine gelingende zwischenmenschliche Kommunikation und sind daher auszusperren. Was aus zivilisatorischer Sicht sinnvoll erscheinen mag, kann für das Individuum und die Kollektive des Individuums zu psychischen Schwierigkeiten führen. Für mich bestätigt sich damit die These Freuds (1930), dass es ein allgemeines Unbehagen in der Kultur gibt, das durch die Verdrängung unserer aggressiven und sexuellen Energie in vielfältigen kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Phänomenen erscheint. Dies zeigt sich zum Beispiel in Konflikten, in denen die Subjekt-Objekt Spaltung durch intellektuelle Konstrukte wie Rasse, Nation, Religion und Klasse soweit vorangebracht wird, dass die eigene und die Würde des Anderen verloren geht. Zentraler Bestandteil der psychedelischen Erfahrung ist es dagegen, andere Bewusstseinszustände durch die Ich-Auflösung zu erleben (Carhart-Harris et al. 2016). Dabei wird die Subjekt-Objekt-Spaltung verringert und die konstruierten Grenzen des Selbsts werden gelockert (Mason et al. 2020). Menschen scheinen sich dadurch intensiv mit anderen Lebewesen identifizieren zu können. Das aufgeklärte Bewusstsein erkennt sich nun im Anderen. Es erkennt die abstrakten Konstruktionen, die die Wirklichkeit überlagern und ermöglicht uns zu verstehen, dass wir alle „dasselbe“ in mannigfaltigen Verkörperungen sind. Interessanterweise scheinen Psychedelika hierbei ähnliche Erkenntnisse und gesundheitsförderliche Effekte wie langfristige Meditation hervorzurufen (Millière 2018).

Doch wie können wir mit den höllischen Bereichen der Psyche und ihren Auswirkungen in der geteilten Wirklichkeit so umgehen, dass wir an den Krisenerfahrungen wachsen?

Ähnlich wie auch die psychedelische Erfahrung uns in krisenhafte Zustände der Selbst-Welt-Konstruktion führt, ist auch das Wort der ‚Krise‘ ein Transformations-Wort. Wenn wir andere Bewusstseinsebenen bereisen, verändern wir uns – lernen mehr von den konstruktiven wie auch destruktiven Potenzialen des Gehirns kennen. Das zeigt sich auf neurologischer Ebene in unserem Gehirn. Erste Studien verweisen darauf, dass Psychedelika die Neuroplastizität des Gehirns verbessern können (de Vos 2021). Neuroplastizität beschreibt die Fähigkeit des Nervensystems, seine Strukturen aufgrund von Erfahrungen anzupassen (Puderbaugh & Emmady 2022) – eine Grundlage für resiliente Entwicklung. Transformation kann aber erst aus der Krise erwachsen. Was gestern noch galt und als Ordnungssystem so unangreifbar und festgefügt schien, wird infrage gestellt, herausgefordert und verlangt womöglich nach einem neuen Ordnungssystem. Doch Transformation ist kein leichtes Unterfangen – nicht selten kann die Transformation mit unsicheren und schmerzhaften Prozessen verbunden sein.

Lucys Xtra

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