Text: Ralph Metzner
Vortrag auf dem 1. Internationalen Kongress des Europäischen Collegiums für Bewusstseinsstudien (ECBS) «Welten des Bewusstseins» vom 24. bis 27. September 1992 an der Universität Göttingen (deutsche Übersetzung: Michael Schlichting)
Ich möchte gern ein allgemeines Theoriemodell veränderter Bewusstseinszustände vorstellen sowie einen theoretischen und empirischen Überblick geben über die Bedeutung veränderter Bewusstseinszustände bei der Transformation der Persönlichkeit, dem eigentlichen Ziel von Psychotherapie.
Es ist vielleicht bekannt, dass die Set-und Setting-Hypothese im Rahmen der frühen psychedelischen Forschungen von Timothy Leary in Harvard, an denen ich beteiligt war, formuliert wurde. Diese Theorie betraf die Faktoren des Set, d.h. innere Einstellungen, Persönlichkeit, Motivation, Erwartung etc., sowie die externen Faktoren des Setting, d.h. der Kontext und die physische und soziale Umgebung einschließlich der Anwesenheit anderer, z.B. des Therapeuten, des Arztes, der Leiters (Guide) oder sonstiger Personen. Entsprechend dieser Theorie sind die internen und externen Faktoren des Set und Setting die Hauptdeterminanten dessen, was jemand in einer psychedelischen Erfahrung erlebt. Die Droge selbst wirkt dabei lediglich als ein unspezifischer psychischer Verstärker, Katalysator oder Trigger. Dieses hier von mir vorgestellte allgemeine Set-und-Setting-Modell ermöglicht ein vertieftes Verständnis aller Arten veränderter Bewusstseinszustände – und nicht nur derjenigen, die durch psychedelische Substanzen induziert wurden.
Was ist ein veränderter Bewusstseinszustand? Jeder Bewusstseinszustand ist eine Erfahrung von bestimmter zeitlicher Dauer, mit einem Anfang, einer gewissen Länge und einem Ende. In dieser Hinsicht besteht eine Analogie zu dem, was in der schamanischen Tradition eine «Reise» genannt wird. Schamanische Traditionen sprechen nicht von Bewusstsein oder Bewusstseinszuständen, diese Sprache ist ihnen nicht bekannt. Sie sprechen davon, eine Reise zu einer anderen Welt zu unternehmen. Die Reise beginnt mit einem Anfang, wenn man mit der Abreise die gewöhnliche Welt verlässt; während die Reise andauert, sieht man Dinge, hört man Dinge und begegnet man bestimmten Dingen; schließlich endet die Reise mit der Rückkehr. Nach diesem Modell veränderter Bewusstseinszustände gibt es also eine Ausgangslage. Das Ausgangsbewusstsein ist der gewöhnliche Bewusstseinszustand, in dem wir uns gerade jetzt befinden, wenn wir auf gewöhnliche Weise denken und die Welt ganz gewöhnlich aussieht.
Was passiert während eines veränderten Bewusstseinszustandes? «Veränderter Bewusstseinszustand» meint, dass die Funktionsweise des Bewusstseins in signifikanter Weise verändert ist. Zu den Bewusstseinsfunktionen gehören Denken, Fühlen und Wahrnehmen. Verändert sich nur das Denken, würde man wahrscheinlich nicht davon sprechen, dass man sich in einem veränderten Bewusstseinszustand befindet, man würde sagen, «Ich habe meine Auffassung geändert» oder «Ich denke etwas anders». Wenn man uns ein Buch zu lesen gibt und nach der Lektüre des Buches ändern sich unsere Gedanken, würden wir nicht notwendigerweise sagen, dass dies ein veränderter Bewusstseinszustand ist. Wenn sich nur unsere Stimmung oder unser Gefühlszustand ändert, würden wir ebenfalls nicht von einem veränderten Bewusstseinszustand sprechen, wir würden vielmehr sagen, «Ich fühle mich jetzt besser», «Ich bin guter Stimmung» oder «Ich fühle mich nicht so gut», «Ich bin müde» oder «Ich habe Angst». Wenn wir hingegen eine Kombination von verändertem Denken und verändertem Fühlen und – was noch entscheidender ist – veränderter Wahrnehmung haben, dann beginnen wir zu sagen, «dies ist wirklich ein veränderter Bewusstseinszustand». Allerdings gibt es auch Ausnahmen, wenn man an das Beispiel MDMA oder die Substanzgruppe denkt, die ich gerne Empathogene nenne, weil sie einen Zustand der Empathie hervorrufen. Sie führen zu Veränderungen im Denken und Fühlen, ohne jedoch wirkliche Wahrnehmungsveränderungen auszulösen. Eine typische Schilderung von jemandem, der MDMA eingenommen hat, lautet: «Alles sieht so aus wie immer, aber fühlt sich ganz anders an». Wie man sieht, ist das Gefühl so stark verändert, dass es sich wie ein veränderter Bewusstseinszustand anfühlt. Klassischerweise verändern die Psychedelika wie LSD und halluzinogene Pilze auf recht drastische Weise unsere Wahrnehmung von der Welt, abhängig von der Dosishöhe und anderen Faktoren, wenn der Raum sich verändert und man anfängt, sich bewegende Wände usw. zu sehen, dann beginnt man zu sagen, «dies ist wirklich ein veränderter Bewusstseinszustand». Dieser Zustand kann sich dann noch weiter vertiefen und man beginnt, Veränderungen des Körperschemas oder des Körperbildes, eine Auflösung der Körpergrenzen, Out-of-body-Erlebnisse und ähnliche Dinge zu erfahren. Die radikalsten und tiefsten veränderten Bewusstseinszustände sind schließlich solche, wenn sich das Konzept und das Gefühl der Identität, das Konzept der eigenen Person und damit unser Selbstbild verändern. Der tiefste Bewusstseinszustand, den wir kennen, ist ein Zustand oder eine Erfahrung, die ich eine Todeserfahrung nenne: Das Selbst stirbt. Dies ist dann wirklich eine Bewusstseinsveränderung.
Im Hinblick auf dieses Modell und seine Anwendung auf alle Arten veränderter Bewusstseinszustände möchte ich nun auf die Rolle des Triggers eingehen. Was ist ein Trigger? Im Falle der Psychedelika ist es offensichtlich: jemand nimmt eine Droge und erfährt eine Bewusstseinsveränderung. Auch Hypnose ist ein Trigger. Im Falle von Hypnose funktioniert die Einleitung in Form der Worte des Hypnosetherapeuten, genannt die Induktion, als Trigger oder Katalysator. Bei der Meditation sind es verschiedene Meditations- und Konzentrationstechniken. Insgesamt gibt es eine große Vielfalt von Triggern. Christian Rätsch hat in seinem Beitrag «Zur Ethnologie veränderter Bewusstseinszustände» (in Band 1 von «Welten des Bewusstseins») eine umfangreiche Liste verschiedener Trigger beschrieben: Fasten, Bewegung, Tanz, Rhythmus, Klang und andere Techniken, die seit Alters her zur Auslösung veränderter Bewusstseinszustände angewandt wurden. Man beachte, dass jede Technik wie auch alles, was man während eines veränderten Bewusstseinszustandes oder einer «Reise» erlebt, immer eine Funktion von Set und Setting ist.
Ich möchte auf eine Unterscheidung hinweisen von dem, was im Englischen mit «state» und «trait» bezeichnet wird. «State» ist ein Zustand und «trait» eine Charaktereigenschaft. So unterscheiden wir beispielsweise zwischen Angst als einem momentanen Zustand, d.h. wie ängstlich ich jetzt gerade bin, und Angst als einer Persönlichkeitseigenschaft, d.h. als meiner gewohnheitsmäßigen und zeitunabhängigen Neigung zur Ängstlichkeit. Eine Bewusstseinsveränderung als Zustand hat eine gewisse zeitliche Dauer, seien es zehn Minuten oder sechs Stunden oder drei Tage. Veränderungen von Charaktereigenschaften, von Verhaltensweisen oder Persönlichkeitsmerkmalen können dagegen als Folge eines veränderten Bewusstseinszustandes auftreten. Zum Beispiel klingt die Drogenwirkung ab, die Erfahrung klingt aus und man kehrt zur Ausgangslage des gewöhnlichen Bewusstseins zurück bzw. im Rahmen der schamanischen Reise kehrt man dahin zurück, wo man zu Hause ist.
Lucys Xtra
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