Vordenker des Cyberpunk: Zum Gedenken an Philip K. Dick

Der Science-Fiction Autor wäre heute 92

Philip K. Dick, Grafik von Christopher Dombres (public domain)

Ob Blade Runner, Minority Report oder Total Recall, Philip K. Dick hat die Welt des Science-Fiction-Films nachhaltig beeinflusst. Insgesamt fünfzehn Filme und Serien basieren auf seinen Romanen, obwohl nur ein Bruchteil des heutigen Publikums seinen Namen kennt.

Der Autor war am 16. Dezember 1928 in Chicago geboren worden. Die Beziehung zu seinen Eltern war zeitlebens angespannt. Selbst beschrieb er seine Kindheit und Jugend als traumatisch, begann jedoch bereits (oder gerade deshalb) in jungen Jahren, Lyrik und Kurzgeschichten zu verfassen.

Zu Beginn der 1950er arbeitete er neben dem Studium in einem Plattenladen und war Radiomoderator für klassische Musik. Dies war die Zeit, in der Dick seine erste Kurzgeschichte (Roog) publizierte und die Arbeit an seinem ersten Roman (Solar Lottery) aufnahm (Dick 1998).

Sein Studium der Geschichte, Philosophie und Germanistik (u.A.) konnte Dick nie beenden, da er wegen Querulantentum 1950 exmatrikuliert wurde. Seine Liebe zur deutschen Sprache und zu Literatur im Allgemeinen, blieb davon jedoch unbeeinflusst. Er galt als geradezu besessener Leser, zu dessen favorisierten Themen Religion, Philosophie und der Gnostizismus gehörten.

Als er sich um das Jahr 1959 erstmals mit psychotropen Substanzen beschäftigte, war damit der Grundstein für seinen bahnbrechenden Schreibstil geschaffen. Obwohl er einige Versuche mit LSD machte, verschieb er sich eher den Stimulanzien. Unter Einfluss von Semoxydrine (Methamphetamin) soll er täglich bis zu 60 Seiten geschrieben haben. Erfahrungen, die in seinen Roman „A Scanner Darkly“ einflossen (Boon 2005, S. 206f).

Doch dieser hochfrequentierte Gebrauch von Stimulanzien in Verbindung mit langjährigen psychischen Problemen (Davis 2019, S. 0.0.12) blieb nicht folgenlos. Er entwickelte eine immer stärkere Paranoia gegenüber verschiedenen Behörden und Geheimdiensten und machte diese für Einbrüche in sein Haus verantwortlich. Ermittlungen diesbezüglich blieben erfolglos, ob wirklich eingebrochen wurde, konnte von der Polizei nicht ermittelt werden (Boon 2005, S. 207).

In einem Brief an das FBI im Jahr 1972 schrieb er, dass ihn „offensichtlich anti-amerikanische Organisationen“ dafür anwerben wollten, verschlüsselte Botschaften in seinen zukünftigen Romanen einfließen zu lassen. Er lehnte das Angebot ab, beschuldigte aber seinen Schriftstellerkollegen Thomas M. Disch, in seinem Roman „Camp Concentration“ solche Geheimbotschaften verwendet zu haben.

Wären diese schwierigen Jahre für andere Autoren hinderlich gewesen, so prägen genau diese Dicks Werke in besonderem Ausmaß. Die psychologische und psychonautische Aufklärungsarbeit, die Dick in verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen verrichtete, dienten ihm als unschätzbare Inspirationsquellen für sein Schaffen.

So verschwimmt in seinen Büchern (bspw. Blade runner / Do Androids Dream of Electric Sheep?) nicht selten die Grenze zwischen Protagonist und Maschine so weit, dass für die Lesenden nicht mehr klar ist, ob der Hauptcharakter nicht doch eine Maschine ist.

Darüber hinaus bilden Dicks stimulanzverliebte Schreibweise und die damit verbundenen Geschichten den Grundstein für das spätere Cyberpunkgenre: „die Vorstellung des Körpers als Hardware, des Geistes als Software und die Erotisierung von Gewalt, Maschinerie und Entfremdung“ (Boon 2005, S. 208 eigene Übersetzung).

Die Vorstellung vom Menschen als „Biocomputer“, auf dem verschiedene „geistige Software“ aufsetzt, verbindet Dicks Denken mit den Theorien von John C. Lillys „Biocomputer“ (2004), Timothy Learys neuronalen Schaltkreisen (1993) sowie das Schaltkreismodell von Robert Anton Wilson (2016).

Obwohl diese Cyberpunk-Elemente von Hollywood dankend angenommen wurden, fanden die bemerkenswert spirituell-mystischen Aspekte seiner Werke kaum Verwendung in den Verfilmungen. Eine Entscheidung, die aus dem Vermarktungsaspekt kaum erwähnenswert erscheint, jedoch dem Werk nicht gerecht wird, denn häufig basieren die Geschichten doch gerade auf Dicks persönlichen mystischen Erfahrungen, wie Arnold (2016, S. 2) beschreibt:

«Dick schrieb nicht nur Geschichten über Androiden, sondern hatte manchmal Angst, dass er buchstäblich einer war. Es gibt viele andere Beispiele dafür, dass Dicks Leben Science-Fiction imitiert, das berüchtigtste davon war seine Erklärung, dass er Anfang 1974 von einem hellen rosa Licht getroffen wurde, das mystische Informationen in sein Gehirn hochlud. Er glaubte, die Quelle des Lichts sei ein wohlwollendes Wesen, das er „Zebra“ nannte. Zebra, so genannt, weil es sich tarnte, indem es die Form von Alltagsgegenständen annahm, enthüllte, dass Dicks Welt nicht das war, was sie zu sein schien. Laut Zebra war die Zeit im Jahr 50 n. Chr. durch die Machenschaften des Römischen Reiches eingefroren worden. Der Rest der Geschichte war eine Illusion. Sein Geist wurde durch das rosafarbene Licht von Zebra geweckt und Dick wurde Zeuge von Szenen aus dem alten Rom, die sich über seine Nachbarschaft legten. Er hörte eine Stimme in seinem Kopf, die kryptische Botschaften aussprach, und fühlte sich von einer jenseitigen Wesenheit geführt. Er sah Ströme von roter und goldener Energie, die seine Umgebung transformierten.»

Diese visionäre Erfahrung war Teil einer Reihe von mystischen Erweckungserlebnissen, die Dick im Februar und März des Jahres 1974 erfuhr. Er referierte auf diese Visionen danach üblicherweise mit der Bezeichnung „2-3-74“.

Obwohl Dick selbst immer wieder am „Wahrheitsgehalt“ seiner Visionen zweifelte, inspirierten sie ihn doch zu den Werken „VALIS“, „The Divine Invasion“, „Radio Free Albemuth“, „the uncompleted Transmigration of Timothy Archer“ sowie dem 8000-seitigen(!) philosophisch-religiösem Werk „Exegesis“ (Arnold 2016, S. 3).

Kritiker, die diese mystische Erfahrung als „psychische Krankheit“ brandmarken, verkennen die jahrzehntelange spirituelle Suche des Autors, seine gnostischen Erkenntnisse und die Integrationsarbeit, die er danach leistete.

Dick selbst stellte nicht selten seine eigene geistige Gesundheit in Frage und spielte in „Exegesis“ verschiedene Möglichkeiten durch, welche den Ursprung und die Bedeutung dieser Erfahrung erklären könnten. Doch nicht nur er selbst, sondern auch andere Autoren beschäftigten sich mit seinen mystischen Inhalten.

Besonders erwähnenswert ist dabei „The divine madness of Philip K. Dick“ von Kyle Arnold (2016) sowie „High Weirdness: Drugs, Esoterica, and Visionary Experience in the Seventies“ von Erik Davis (2019). Während ersteres sich monothematisch mit Dick beschäftigt, zeigt Davis in seinem Buch die psychedelische Spiritualität von Terence McKenna, Robert Anton Wilson und Philip K. Dick auf.

Auch wenn er postum keinen Platz in der „ersten Reihe“ der psychedelischen Vordenker einnehmen kann, so hat Philip K. Dick mit seinen Geschichten nicht nur einen spannenden Beitrag zur Geschichte der Science-Fiction und Drogenliteratur geleistet, sondern auch den Mainstream der Filmbranche geprägt.

„LSD-Astronaut“ Philip K. Dick starb am 2. März 1982 im Alter von 54 Jahren.

 

Besondere Empfehlung für Psychnonauten:

  • The Three Stigmata of Palmer Eldritch. (dt. Die drei Stigmata des Palmer Eldritch.) – In der deutschen Erstübersetzung wurde das Buch noch als „LSD Astronauten“ angeboten. Spätere Editionen haben sich dann dem englischen Titel angenähert, da das Buch zwar ein psychdelisches Meisterwerk ist, der Titel jedoch ein wenig in die Irre führt.
  • A Scanner Darkly (dt. der dunkle Schirm) – laut Philip K. Dick „finally a true masterpiece, after 25 years of writing“
  • The Revelation of Philip K. Dick“ Vortrag von Erik Davis auf der Breaking Convention

Literatur

 

Dirk Netter