High Garden

XtraDrogeninduzierter Bewusstseinszustand und literarisches Motiv

Text: Robert Dickins

In Marco Polos Bericht «Der alte Mann vom Berg» beschreibt der Venezianer, wie Hasan ibn al-Sabbah in einem Tal zwischen zwei großen Bergen einen wunderschönen Garten besaß. In dem Garten flossen Wein, Milch, Honig und Wasser, und er war von schönen Frauen bevölkert, die tanzten, sangen und Instrumente spielten. Es sollte ein Paradies sein — aber es gab einen Haken. Nur seine zukünftigen Mörder konnten den Garten betreten, nachdem sie zuvor einen Schlaftrunk zu sich genommen hatten, um in der sinnlichen Utopie zu erwachen, die der alte Mann ihnen geschenkt hatte. Dann würden sie bei Bedarf erneut betäubt und nach al-Sabbah zurückgebracht. Aus Verzweiflung darüber, nicht mehr im Paradies zu weilen, wurde ihnen gesagt, dass sie zuerst einen bestimmten Prinzen ermorden müssten, um zurückkehren zu können.

Mit Hilfe solcher Illusionen und Tricks hielt der Alte vom Berge eine erbitterte Sekte aufrecht. Im frühen 19. Jahrhundert, einige Jahre nach der napoleonischen Invasion in Ägypten und Syrien, hielt der Linguist und Orientalist Silvestre de Sacy in Paris einen Vortrag über den Alten. Er behauptete, dass es sich bei der verwendeten Droge um Haschisch handelte, was zwar viele spätere Schriften beeinflusste, sich aber letztlich als zweifelhafte Etymologie herausstellte. Dennoch ist besagter Garten ein eindringliches Motiv für die vorübergehende, ergo flüchtige Drogenerfahrung.

Im Rahmen meiner Untersuchung der literarischen Ästhetik von psychedelischer Literatur der 1950er Jahre möchte ich einen kurzen Blick auf die Rolle des «berauschenden Gartens» werfen, insbesondere in seiner Eigenschaft als psychogeographischer Raum. In mancher Hinsicht ist die Quellenlage recht dürftig, vor allem wegen des im Rahmen solcher frühen Drogenerfahrungen oft vorherrschenden klinischen Settings. Was sich jedoch herauskristallisiert, ist die Vision von einem solchen Garten als transitorischer, mythologischer Raum. Die hier skizzierten vorläufigen Ideen können für künftige Vertiefung genutzt werden. Der englische Schriftsteller Richard Heron Ward publizierte 1957 sein Buch A Drug Taker’s Notes, in dem er seine LSD-Experimente dokumentierte. Er brach diese Experimente im April 1955 nach seinem sechsten Trip ab, weil er der Meinung war, dass sie «eine Art Allegorie meines bisherigen Lebens» waren und es nur noch wenig zu lernen gab.[1] Sie waren herausfordernd, zuweilen chaotisch und sehr persönlich. Sie bescherten ihm nicht die Offenbarungen, die er erhofft hatte, und er war zu der Ansicht gekommen, dass die Droge seine psychospirituellen Erkundungen nur so weit zu triggern in der Lage war, dass diese sich wiederholten. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Ward die ganze Zeit über in einem kleinen, tristen Krankenhauszimmer mit nur einem Spiegel, einem Tisch, Stühlen und einem Bett festsaß.

Es gab jedoch eine ziemlich faszinierende Ausnahme, fernab der Monotonie dieses Ortes, die er in seinem Bericht mit epischem Schwung beschreibt. Sein fünftes Experiment fand am Morgen des 19. März 1955 im Haus und Garten seiner Psychiaterin und Freundin Dr. Effie Hutton statt. Weniger als einen Monat zuvor hatte Großbritannien eine schlimme Kältewelle erlebt. Schnee blockierte viele Straßen, und die Royal Air Force lieferte Lebensmittel und medizinische Hilfsgüter in die am stärksten betroffenen Gebiete. An jenem Märzmorgen jedoch schien die Sonne hell über Huttons Garten auf dem Lande außerhalb von Bristol. Am hinteren Ende des Gartens bot sich ein idyllischer Blick in Richtung des Waldes und angrenzender Felder, es war ein altes, am Zaun angebundenes Pferd zu sehen, in der Nähe stand eine Kirche.

Nachdem Ward seine 100-μg-Dosis um 10 Uhr eingenommen hatte, saß er an einer geöffneten Terrassentür in der Sonne. Er schrieb gerade einen Brief, als das LSD zu wirken begann. Weniger stark spürbare körperliche Empfindungen, als er sie zuvor erlebt hatte, wurden von einem seltenen Moment der Selbsterinnerung begleitet, der jedoch schnell verblasste, und dann wechselte seine Aufmerksamkeit: «Ein Marienkäfer, extrem hübsch, ist auf meinem Blatt gelandet. Er ist willkommen».[2] Er verspürte ein «leises Gefühl der Verwunderung, mit allem verbunden zu sein — mit den Sonnenstrahlen, dem Vogel am Himmel und dem Licht, das durch seine Flügel scheint, wenn er über uns hinwegfliegt fliegt».[3] Es war dieses besondere Gefühl, das Wards Meinung nach zu den meisten Erfahrungen erweiterter Wahrnehmung gehört. Hier ist auffällig, dass dieser Aspekt der Erfahrung erst dann in Wards Aufzeichnungen Beachtung fand, als er dem begrenzten Raum seines Klinikzimmers im Burden Neurological Institute entflohen war.

Dann trat der Garten geradezu glanzvoll in Wards Aufmerksamkeitsfeld. Er sah «unbestreitbar anders» und «winzig» aus — dies nur zum Teil wegen der eigentlichen Größe des Areals, vielmehr wegen der im hellen Sonnenschein plötzlich wahrnehmbaren Klarheit aller Details. Die Objekte des Gartens erschienen «weniger substanziell», aber nicht «weniger real», sie waren «beleuchtet», und Ward spürte «das seltsame Gefühl, dass sich in einem Moment alles verändern wird».[4] Kurze Zeit später verdeckte eine Wolke die Sonne. Ward fröstelte und ging im Garten spazieren — der Wunsch, aktiv zu sein, war in diesem frühen Stadium der LSD-Wirkung ungewöhnlich, wie er bemerkte. Andererseits hatte er zuvor währenddessen nie in einem Garten spazierengehen können! Dieser mit leuchtenden Objekten angefüllte Ort muss fesselnd gewesen sein, denn soweit seine Tripaufzeichnungen reichten, schrieb er fünf Stunden lang nichts weiter.

Lucys Xtra

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