Text Michael Kleim
„Dass der Mensch keine Flügel hat, erklärt sich so: Es ist ihm Erkenntnis gegeben, die ihn fliegen lässt, wohin immer er will.“
Hildegard von Bingen
Religionen gehören zu den prägendsten Ausdrucksformen menschlicher Kultur. Der spirituellen Suche wollen sie Struktur, Form und Rahmen geben. Damit verleihen sie in konkreten historischen Kontexten der Menschheit tiefe Erkenntnisse, wertvolle Erfahrungen und wesentliche Inspirationen. Gleichzeitig sind Religionen aber auch für schreckliche Verbrechen und furchtbares Leid verantwortlich. Die folgende Betrachtung widmet sich der Rolle von Rausch und Drogen innerhalb von Religionen. Dabei bin ich bemüht, mich weitgehend von Wertungen zu enthalten.
Neben der Absicht, Heilung, Genuss und Wahrnehmung zu fördern, gehört der spirituelle, religiöse und rituelle Gebrauch psychoaktiver Substanzen zu den wichtigsten Motivationen für die Anwendung von Drogen. Pflanzen und Stoffe, die gezielt diese Absicht unterstützen, nennt man Entheogene (abgeleitet aus dem altgriechischen theos = Gott) genannt. Dieser Begriff wurde u.a. von dem Mykologen Gordon Wasson und dem Ethnobotaniker Jonathan Ott verwendet.
Schamanismus
Viele Rätsel vom Anfang der Menschheit sind im Nebel der Urgeschichte verborgen. Doch weisen Höhlenmalereien und Grabfunde aus der Steinzeit darauf hin, dass Jagdzauber und Ahnenverehrung zu Beginn den Glauben unserer Vorfahren bestimmten. Diese Menschen waren mit den Abläufen der Natur noch elementar verwoben und versuchten durch Rituale, Gesang, Tänze und Opfergaben Einfluss auf die sie umgebenden, geheimnisvollen Mächte zu nehmen. Alles war beseelt. Hinter der sichtbaren Wirklichkeit existierten noch weitere, unsichtbare Welten – Orte der Götter, Geister, Ahnen, Tier- und Pflanzenseelen. Die sichtbaren und die unsichtbaren Welten berührten einander, standen miteinander in Kontakt. Auch war man von der Gegenwart eines höchsten, alles durchdringenden Geistes überzeugt, der die Welten mit seiner Lebenskraft erfüllt.
Der Schamanismus gehört im strengen Sinn nicht zu den Religionen. Schamanismus ist weit mehr die Urquelle aller Spiritualität und die Urmutter von Religion überhaupt. Die Fähigkeit, mittels Trance oder Ekstase die sichtbare Welt zu verlassen und in die andere, unsichtbare Wirklichkeit zu reisen, ist Schaman*innen eigen. Schaman*innen verstehen sich als Berufene, als Wander*innen zwischen den Welten, als Reisende in andere Wirklichkeiten. Sie erlangen ihre rituelle Trance durch Musik, Tanz, Trommeln und durch Pflanzen. Dabei handeln Schaman*innen im Interesse ihres Volkes. Bei ihren Reisen in die andere Welt heilen sie kranke Seelen, wenden Unglück ab oder überbringen wichtige Botschaften.
Schaman*innen sind Menschen, die unmittelbar mit der Natur und ihren Kräften in Beziehung stehen. Sie kommunizieren mit der verborgenen Welt und ihren Wesen. Deshalb können Schaman*innen auch Pflanzen und deren innerem Geist begegnen. Sie erfahren von ihnen Geheimnisse über Kosmos, Erde und Seele. In Kontakt mit den Pflanzen lernen sie viel über deren heilende und helfende Fähigkeiten. Nach dem schamanischen Weltbild kann der Mensch durch die Einnahme von Pflanzen in das Kraftfeld ihrer heilenden und spirituellen Fähigkeiten kommen und diese auf sich selbst übertragen. Der Drogengebrauch mit Pflanzen wie Hanf, Ayahuasca, Teonanacatl (Psilocybe spp.), Peyote (Lophophora williamsii), Stechapfel (Datura), Epena (Virola) ist oft auf die Schaman*innen selbst beschränkt.
Lucys Xtra
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