Freitag, der 30. Oktober 2020: Der 30-jährige Cannabispatient Matthias K. befindet sich im Zug, auf der Heimreise von den Niederlanden in die deutsche Hauptstadt. Im Gepäck genau 100 Gramm medizinisches Cannabis, dass er in einer dortigen Apotheke erstanden hatte.
Nahe der deutschen Grenze betreten Zollbeamte den Maas-Wupper-Express – ein nicht unüblicher Vorgang auf dieser Strecke. K. gibt sich den Beamten zu erkennen und teilt ihnen mit, dass er 100 Gramm seines gerade erstandenen Medikamentes bei sich habe.
Er zeigt sein Rezept, seinen Ausweis und das vom Arzt ausgefüllte Schengenformular vor – worüber er sich zu diesem Zeitpunkt nicht im Klaren ist: Auch Cannabis-Patienten ist die Einfuhr von Cannabis aus den Niederlanden nicht gestattet – so zumindest lautet die Rechtsauffassung der involvierten Beamten, die darüber hinaus mutmaßen, dass die Dokumente gefälscht sein müssen.
Der Albtraum beginnt: Sein Einkauf wurde konfisziert, der Anruf beim Anwalt seines Vertrauens schlägt fehl. Patient K., der aufgrund schwerwiegender körperlicher und psychischer Erkrankungen erwerbsunfähig ist, hat nun weder Geld noch seine Cannabis-Medikation, die ihm ein relativ beschwerdearmes Leben ermöglicht.
Die vormals verschwundenen Krankheitssymptome treten zum Corona-Lockdown wieder in Erscheinung, während die von der Krankenkasse finanzierte Medikation keine Wirkung zeigt.
Medizinal-Cannabis aus einer deutschen Apotheke kann er sich kaum leisten, denn in deutschen Apotheken ist der Grammpreis um ein Vielfaches teurer als im Nachbarland. Einen Antrag auf Kostenübernahme wurde gestellt – was jedoch viele Leidgenossen bestätigen können: Oftmals benötigt man viel Durchhaltevermögen, freundlich gestimmte Ärzte und ggf. gute anwaltliche Betreuung, um den Streit mit der Krankenkasse zu gewinnen.
Vor dem Sozialgericht steht K. jedoch ohne qualifizierten juristischen Beistand. Nur eine Einzelfallhelferin und seine gesetzliche Betreuerin sind anwesend. Der zuständige Richter wies (laut K.) die Klage ab, die Symptome seien ausreichend mit anderer Medikation behandelbar und der verschreibende Arzt möglicherweise befangen. Der Fall wurde ans Landessozialgericht weitergereicht. Ein Urteil steht noch aus.
Der Patient ist weiterhin Privatzahler und lebt weit unter der Armutsgrenze. Er finanziert seine Medikamente durch ALG 2 und leiht sich Geld von Freunden und Bekannten. Er selbst fasst seine Lage zusammen:
«Man ist die ganze Zeit in so einer Schuld überall. Man muss ständig um Hilfe bitten, weil man krank ist. Und dann muss man auch noch fragen, ob man Geld geliehen bekommt. (…) Man ist immer ein Mensch dritter Klasse».
Der Fall ist exemplarisch für viele Cannabispatienten. Tausende Patienten müssen sich ihr Recht auf Kostenübernahme erklagen, nicht wenige scheitern an den hohen Hürden.
Spannend ist der Fall jedoch auch, weil er die wichtige Frage klären könnte, ob die Einfuhr von medizinischem Cannabis aus den Niederlanden tatsächlich illegal ist.
Grundsätzlich ist die Einfuhr von Cannabis durch den § 29 BtMG geregelt:
Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. Betäubungsmittel (…), ohne Handel zu treiben, einführt (…).
Eine Ausnahme könnte jedoch durch § 15 der Betäubungsmittel-Außenhandelsverordnung gegeben sein, der auch explizit medizinisches Cannabis «in Form von getrockneten Blüten» erwähnt und die Einfuhr unter besonderen Umständen erlaubt.
Ob dies allerdings auch Einkäufe im Ausland einschließt, ist fraglich. Denn das Cannabis-Privatrezept gibt eigentlich den Weg über eine deutsche Apotheke vor. Der Ausgang des Verfahrens wird hoffentlich weitere Klarheit für die Betroffenen bieten.
Klar ist allerdings schon jetzt: Das einzige Opfer bei diesem Rechtsstreit ist der Patient, der niemandem Schaden zugefügt hat und dessen rechtliches Fehlverhalten eher in der undurchsichtigen Rechtsprechung und merkwürdigen deutschen Drogenpolitik begründet liegt, denn in seiner kriminellen Energie.
Wäre die Finanzierung durch die Krankenkassen einheitlich und fair geregelt, wäre nicht nur den Patienten geholfen, auch Gerichte und Steuerzahler könnten sich immense Mühen und Kosten sparen.
Es bleibt zu hoffen, dass die deutschen Wähler sich bei der Bundestagswahl im Herbst für Parteien entscheiden, die sich für eine sinnvolle Drogenpolitik einsetzen.