Homo alcoholicus – Die Angst vor der Angst

XtraEssay zur Rauschkultur

Text: Christoph Roßner

Ich erinnere mich noch zu gut daran, wie mich der erste Fernseher meiner Eltern voll in seinen Bann zog und mich lehrte, die Angst als Teil einer Massenunterhaltung lieben zu lernen. Spaß an der Angst: Wie kann man sich dieses ur-menschliche Verhalten nur erklären, sich freiwillig zu gruseln oder an den Rand einer posttraumatischen Belastungsstörung zu bringen, indem man sich freiwillig, nur so zum Spaß, blutrünstige Splatter-Filme anschaut? Das ist alles der Neugier zuzuschreiben, die in unserem Gehirn durch verschiedene Belohnungsprinzipien diverse Ausschüttungen hervorruft, die uns einen wohligen Schauer über den Rücken laufen lassen.

Warum empfinden wir Warnsignale unseres Körpers nicht mehr als das, was sie sind, nämlich Warnungen? Weil wir „modernen“ Menschen durch unsere vermeintlich sichere Umgebung und unsere unendlichen Konsummöglichkeiten gezwungen sind, uns an diesen „sicheren Überfluss“ zu gewöhnen, obwohl aus biologischen und überlebenswichtigen Gründen unser Metabolismus auf maximales Sparen von Energie ausgelegt ist, deshalb ist der Mensch so effizient gewesen in seiner planetaren Ausbreitung.

Genau diese evolutionäre Fähigkeit wird dem Homo sapiens aber nun zum Verhängnis, da gewisse biologische Funktionen auf diesem Planeten nun einmal Grundlage für ein Leben überhaupt sind. Der „moderne Mensch“ hat sich in den letzten 450 Jahren von einer sehr gut angepassten und symbiotisch in seine Umwelt eingepassten Lebensform zu einem wild wuchernden, aggressiven Lebensformverbund zusammengefunden, der mit einem aggressiven Röhren- oder Schleimpilz zu vergleichen ist, der alles überzieht und zu einer Symbiose zwingt, die früher oder später dazu führt, dass die natürlich biologischen Lebensgrundlagen komplett zerstört und assimiliert werden.

Aber warum verhält sich die „Krönung der Schöpfung“ so artschädigend, warum ist eine lebenserhaltende Symbiose nicht mehr möglich, warum zerstört der Mensch triebhaft seine Umwelt und sterilisiert sie für immer? Die Antwort ist ein Röhrenpilz, nämlich die Bierhefe und ihre Ausscheidungen. Dies ist der Grund für meine Arbeit, denn wir Menschen sind eine fatale Zwangssymbiose mit diesem „König, aller Schmarotzer“ eingegangen, denn ohne diese wären Sesshaftigkeit und Ackerbau, Kriege sowie die Entwicklung des Geld- und Steuersystems ganz anders verlaufen, dies werden wir im Verlauf des Texts ganz genau erfahren.

1. Die Begegnung der dritten Art

Wie bei mir alles begann, weiß ich noch ganz genau. Ich liebte das Brennen und das dann im Körper aufsteigende warme Gefühl, dass das Stückchen Würfelzucker mit Echinacin bei mir auslöste. Da war ich knapp fünf Jahre alt und hatte meine erste richtige fiebrige Erkältung. Ja, das Echinacin hat einen Alkoholgehalt von 70 % und in den 70ern des vorigen Jahrhunderts war es normal, seinen kranken Kindern alkoholhaltige Medikamente zu verabreichen, denn Alkohol ist ja gute Medizin. Dies und viele andere tolle Sagen und Märchen wurden und werden weiterhin aus Marketinggründen um den Alkohol gesponnen und verbreitet, leider ist er nur ein krebserregendes Lösungsmittel, das in Deutschland legal als Rauschgift missbraucht werden darf. Aber dazu später.

Alkohol prägte mich und mein Gehirn von klein auf, in meinem Umfeld waren viele Menschen, die ihre Kriegstraumata und posttraumatischen Belastungsstörungen mit Alkohol mehr oder weniger schlecht zu therapieren versuchten. Diese Prägung gab es in Deutschland in fast jeder Familie, die in den Kriegswirren entweder zu den Verfolgten oder den Verfolgern gehörte. Die Geschichte und das Erlebte wurde durch die Rauschwirkung des Therapeutikums immer mehr zu einer psychosomatischen Störung und ohne Rücksicht auf die Kinder weiter übertragen.

Diese Generation, die meiner Eltern, wuchs nach dem Krieg in einer Welt auf, die nach dem Schock des Ersten und Zweiten Weltkrieges nach diesem Therapeutikum lechzte. Die Wehrmacht hatte mithilfe von Pervitin, Schnaps und Tabak Millionen von Soldaten zu hochgradig rauschgiftabhängigen Menschen gemacht, viele Deutsche sind also genau zu dem geworden, was in der Naziideologie durch das Opiumgesetz als „Volksschädling“ bezeichnet und im Volksmund dann als Giftler oder Gammler verunglimpft, verfolgt, verhaftet und getötet wurde. Diese nun auch gebrochenen, von falschem Stolz und Ehre zerfressenen Menschen mussten einen Weg finden zu überleben und dieser hieß christlicher Glaube, Familie, Arbeit und Heim. Darin hatte natürlich eine Alkoholsucht oder Rauschgiftabhängigkeit keine Berechtigung, zu stark war die Gefahr, selbst mit dem Geschehenen und dessen Unmenschlichkeit in Verbindung gebracht werden zu können, denn ohne Grund wird niemand körperlich abhängig. Da steckt immer mehr dahinter. In diesem Gedanken- und Gesellschaftskostüm gefangen, gebaren unsere Mütter uns Kinder der 1970er.

Keiner dachte daran, dass sich posttraumatische Belastungsstörungen genetisch bis in die siebte Generation vererben können, keiner wollte so richtig wahrhaben, dass Alkoholkonsum auch das Erbgut schädigt, und noch weniger wollte man sich das Saufen und das Rauchen durch irgendwelche Gesundheitsfanatiker oder grünen Ökospinner vermiesen lassen. In Deutschland galt schon seit der Wehrmacht die Devise: Wer in der Gruppe trinkt, ist kein Alkoholiker, deshalb hat Deutschland die größte Dichte an eingetragenen Vereinen, vom Bierdeckelsammler zum Sportverein, gesellig geht es dort zu und es wird gerne und viel getrunken, aber eben nicht allein, denn dann wäre man ja Alkoholiker.

Überhaupt, Rauschgiftabhängigkeit war das Manko schlechthin, das hatte aber nichts mit dem Kaffee oder den Pralinen zu tun, die gerne zu den Zigaretten verkonsumiert wurden, und Alkohol selbst war ja in Weinform genossen sowieso heilig, denn das Blut Christi. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als verständlich, dass 80 % aller erwachsenen Menschen meiner Generation ein massives Alkoholproblem vorweisen können, was den Deutschen den traurigen Rekord als Alkoholnation eingebracht hat – mit einem jährlichen Prokopfverbrauch von zwölf Litern reinen Alkohols.

Lucys Xtra

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