Jenkem: High durch Fäkalien?

Ein Drogenmythos in den Medien

Symbolbild: Diverse, als Schnüffelprodukte verwendete Artikel | public domain

Sud aus Batterien und VHS-Kassetten, geschnüffelte Lösungsmittel oder die sogenannten Badesalze. Die Welt der halb- oder gerade-noch-legalen Substanzen birgt so manche dubiose Wege zum Rausch.

Teil des natürlichen jugendlichen Probierverhalten ist es, sich sowohl mit der Veränderung des eigenen Bewusstseins zu beschäftigen, als auch die eigenen Grenzen auszutesten. Dabei ist es nicht unüblich, dass so manche unübliche (oder unbekömmliche) Substanz geraucht, getrunken oder geschnupft wird.

Besorgte Eltern, Lehrer und die Gesetzeshüter verfolgen dieses Probierverhalten verständlicherweise nicht immer mit entspannten Blicken. Oft erwächst aus den Ängsten um den Nachwuchs eine Panik, die in einigen Fällen mit der Realität nicht mehr viel gemein hat. Die üblichen Boulevardmagazine springen schließlich dankbar auf den Zug auf – und so kann eine neue Panikwelle vor der neuen „Killerdroge“ ihren Lauf nehmen.

So geschah es auch im Jahr 2007, als die Warnmeldung über die Droge „Jenkem“ unter den Eltern in Collier County, Florida, die Runde machte. Das Kuriosum an dieser Substanz: Es handelt sich dabei um die Gase von vergorenen menschlichen Fäkalien, die in einem Luftballon gesammelt und schließlich eingeatmet werden.

Ursprung dieser Warnmeldung waren bebilderte Beiträge in einem lokalen Internetforum, in dem ein User behauptete, die Substanz hergestellt zu haben. Wie sich später herausstellen sollte, handelte es sich bei den Beiträgen um einen Scherz, auf den Bildern zu sehen war lediglich eine Flasche gefüllt mit Bier, Nutella, Mehl und Hefe, über die ein Ballon gestülpt wurde.

Doch bevor der betreffende Autor seinen Scherz auflösen konnte, war die Meldung bereits verbreitet. Wie zu vermuten war, wurden die u.a. von Fox News verbreiteten Falschmeldungen, danach kleinlaut richtig gestellt.

In einem lesenswerten „Ask Erowid“-Artikel, stellen die Autoren richtig, dass es sich bei Jenkem vermutlich um eine reale Droge handelt, es jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit kaum Personen im Westen gäbe, die sie auch tatsächlich probiert hätten. Von einer Epidemie oder Drogenwelle kann also nicht gesprochen werden, wie selbst die DEA meldete.

Über die Authentizität von Jenkem als Drogenphänomen kann nur spekuliert werden. In seriöser Literatur finden sich nur wenige Belege. Emma Guest (2001, p. 148f) schreibt:

„In Lusaka, the kids who don’t make enough money to buy glue, sometimes sniff jenkem instead – fermented human sewage, scraped from pipes and storedin plastic bags for a week or so, until it gives off numbing, intoxicating fumes.“

Zu deutsch etwa:

„In Lusaka schnüffeln die Kinder, die nicht genug Geld verdienen, um Klebstoff zu kaufen, manchmal stattdessen Jenkem – vergorenes menschliches Schmutzwasser, das aus Rohren geschabt und etwa eine Woche lang in Plastiktüten gelagert wird, bis es betäubende, berauschende Dämpfe abgibt.

Die Erowid-Autoren entgegnen eine plausible Sichtweise:

„Ausgangspunkt der Geschichte waren mehrere Berichte über Kinder in Sambia, die als Alternative zum Klebstoffschnüffeln die durch menschlichen Abfall abgegebenen Gase einatmen. Wir wissen nichts über die Zuverlässigkeit dieser Berichte, aber es ist durchaus möglich, dass die Kinder in Sambia dachten, es wäre lustig, eine Geschichte für die Entwicklungshelfer zu erfinden, dass sie Klärgas einatmen, um high zu werden. Und obwohl es potenziell glaubhaft ist, dass die Menschen in den Slums Afrikas auf so etwas zurückgreifen könnten, ist es übertrieben leichtgläubig zu glauben, dass dies in den USA geschieht, ohne solide Indizien.“

Ob real oder nicht. Jenkem hat seinen Einzug in die Mythen der Drogensubkultur(en) gehalten und wird dort als scherzhaftes Meme verbreitet. Angst vor der Droge müssen weder Eltern noch die Gesellschaft haben, da sicherlich die Wenigsten zu einem Bioassay mit dieser Substanz bereit wären.

Doch ein Fünkchen Wahrheit verbirgt sich auch in dieser Geschichte. Nämlich: Die Angst vor potenziell schädlichen neuen psychoaktiven Substanzen und Menschen, die sich der Gefahren möglicherweise nicht vollständig bewusst sind.

Das sind allerdings die Früchte der Prohibition: Wenn althergebrachte – vergleichsweise ungefährliche – Rauschmittel wie Cannabis oder Kratom verboten werden, suchen sich die Menschen notgedrungen legale Alternativen und Substitute. Denn des Menschen Willen zur Bewusstseinsveränderung ist ein Grundbedürfnis, dem ganz offenbar nicht durch Gesetze Einhalt geboten werden kann.

Wo dann zusätzlich die staatliche Drogenaufklärung versagt, in dem sie Lügen des „War on Drugs“ weiter verbreitet, wird Glaubwürdigkeit verspielt. Wenn junge Menschen dann während der jugendlichen Findungsphasen schließlich erfahren, dass Cannabis nicht krank und gewalttätig macht, da werden auch andere, wichtige Aussagen über Safer-Use in Zweifel gezogen – z.B. bei der relativen Gefahr, die von „Badesalzen“ und Co. ausgehen kann.

Ein vergleichsweise einfacher Weg wäre die planvolle Legalisierung aller Substanzen in Verbindung mit echter Aufklärung.

 

Literatur:

Guest, E., 2001. Children of AIDS: Africa’s Orphan Crisis, New edition Auflage. ed. University of KwaZulu-Natal Press, London ; Sterling, Va. : Pietermaritzburg, South Africa.

Dirk Netter