Störungen der Selbstwahrnehmung und der Abgrenzung von Innen- und Außenwelt können im Kern schwerer psychischer Erkrankungen wie Schizophrenie stehen – beispielsweise, wenn nicht mehr zwischen eigenen Gedanken und von außen gehörter Sprache unterschieden werden kann. Um betroffene Personen besser behandeln zu können, kann es hilfreich sein, die zugrundeliegenden Mechanismen im Gehirn besser zu verstehen. Doch welche Areale des Gehirns sind zur Trennung von Innen- und Außenwahrnehmung notwendig?
Ein Ausspruch des berühmten Bewusstseinsforschers Stanislav Grof besagt, dass Psychedelika, analog zum Mikroskop in der Biologie und zum Teleskop in der Astronomie, ein Instrument für die Erforschung des Bewusstseins seien. Von dieser Idee inspiriert, versuchte nun eine Schweizer Forschergruppe um Katrin Preller und Franz Vollenweider mit Hilfe von LSD den Aufbau des Selbst im Gehirn zu lokalisieren. Dazu rekrutierten sie insgesamt 24 gesunde Studienteilnehmer (6 Frauen, 18 Männer), die jeweils an drei Versuchstagen teilnahmen. Dabei erhielten sie entweder ein Placebo, 100 μg LSD oder 40 mg des Anti-Psychedelikums Ketanserin und 100 μg LSD.
Anschließend spielten immer jeweils zwei Teilnehmer zusammen ein Blickkontakt-Spiel am Computer, während sowohl ihre Augenbewegung verfolgt als auch ihre Gehirnaktivitäten gemessen wurden. Im Spiel mussten die Teilnehmer mit dem anderen Spieler virtuell Blickkontakt herstellen und dann, je nach Aufgabe, auf zueinander unterschiedliche oder gleiche Objekte schauen. Nach Abklingen der LSD-Wirkung wurden Fragebögen zur Stärke der visuellen und auditiven Effekte sowie zu mystischen Eindrücken befragt, wie dem Gefühl der Einheit mit allen Dingen und Auflösung des Körpers und des Selbst. Die Gehirnscans zeigten eine durch LSD deutlich verringerte Aktivität des sogenannten Ruhezustandsnetzwerks. Dies ist ein meist gemeinsam aktives Netzwerk aus verschiedenen Hirnregionen, die für komplexe geistige Leistungen, wie abstraktes Denken, Lernen und Erinnern, zuständig sind. Gleichzeitig verspürten die Probanden durch das LSD ein Verschwimmen der Grenze zwischen Innen- und Außenwelt, sowie ein Auflösen des eigenen Körpers und das Einswerden mit der Umgebung. Die Aufgaben des Computerspiels lösten die Teilnehmer nach Einnahme des LSD deutlich langsamer, aber weiterhin korrekt. Sowohl Placebos als auch Ketanserin mit LSD zeigten keine Effekte auf die Probanden.
Die Forscher sehen in diesen Ergebnissen Hinweise darauf, dass die Wahrnehmung des Selbst in bestimmten Teilen des Ruhezustandsnetzwerks generiert wird. Da ein Verschwimmen von Innen- und Außenwelt und verwandte Phänomene immer gemeinsam auftreten, scheint die Wahrnehmung des Selbst außerdem immer mit der Wahrnehmung des Nicht-Selbst gekoppelt zu sein. Dass diese Effekte durch das Anti-Psychedelikum Ketanserin, einen 5HT2A-Rezeptor-Blocker, verhindert werden konnten, ist ein starker Hinweis auf die Rolle dieses Rezeptors für den Aufbau der Selbstwahrnehmung. Die Autoren schließen deshalb darauf, dass sowohl Psychedelika als auch Anti-Psychedelika, die genau gegenteilig auf diesen Rezeptor wirken, heilsam auf verschiedene Störungen der Ich-Wahrnehmung, wie Depression und Schizophrenie, wirken könnten.
Preller et al. (2018): Role of the 5-HT2A receptor in self- and other-initiated social interaction in LSD-induced states — a pharmacological fMRI study. Journal of Neuroscience
Linus Naumann