Religiöses Erleben durch Halluzinogene beim modernen Menschen

XtraPsychedelika in der Therapie

Hanscarl Leuner. Foto: Archiv NV.

Text: Hanscarl Leuner

Zunächst möchte ich einige wesentliche Gesichtspunkte für das Verständnis der religionspsychologischen Bedeutung halluzinogener Substanzen vermitteln. Die Native American Church mit ihrem christlichen Meskalinkult ist in der Literatur schon dargestellt worden (Josuttis & Leuner 1972, La Barre 1989). Einige technische Erfahrungen dieser Indianer standen Pate bei der Vorbereitung des modernen Menschen für das psychedelische bzw. ekstatische Erleben unter Drogeneinfluß. Dabei ist zu bedenken, daß »Gesunde«, häufig Gläubige, schon von sich aus besser vorbereitet sind als Menschen, die wegen Verhaltensstörungen einer psychedelischen Therapie unterzogen werden sollen. Ich beschreibe hier jedoch die Vorbereitung im letzteren Fall, da sie ein besonders anschauliches Bild der Technik und der Möglichkeiten einer Einstimmung auf religiöses Erleben durch Halluzinogene vermittelt. In einer Periode von einigen Tagen bis zu vier Wochen werden neben der Aufnahme der Vorgeschichte regelmäßig Einzelgespräche mit dem Therapeuten und späteren »Begleiter« durchgeführt. Der Betreffende wird dabei unter optimistischen Aspekten auf die »einmalige, überwältigende Erfahrung« hingewiesen.

Weitere Präparationen erfolgen durch besonders geeignete Schriften, wie etwa die Lektüre des Tibetanischen Totenbuches, oder durch Wiedergaben mystischer Erfahrungen von Zen-Buddhisten und begeisterten Anhängern der psychedelischen Therapie, etwa dem Buch von Bishop The Discovery of Love (1963), in dessen Anhang der Autor seine eigene psychedelische Erfahrung beschreibt. Hoffer und Osmond (1967) heben hervor, daß »Optimismus« die wichtigste Haltung des Therapeuten bzw. des Begleiters sein muß und daß dem Betreffenden vorher gesagt werde, er würde seine bisherigen Einstellungen zum Leben und seine Verhaltensweisen zu ändern vermögen. Dabei legt man gesteigerten Wert auf die Entwicklung einer besonders engen personalen Beziehung zum jeweiligen Begleiter bzw. Therapeuten, etwa im Sinne einer »Brüderlichkeit«, d.h. eines warmen, menschlichen Verständnisses. Entsprechend muß auch der Begleiter bzw. Therapeut ausgewählt sein nach der Fähigkeit, Wärme auszustrahlen und eine enge mitmenschliche Beziehung aufzubauen, ohne dabei sein eigenes Ich zu gefährden oder unglaubhaft zu wirken. Psychologisch gesprochen, ist man also bemüht, das Milieu einer positiven Übertragung besonderer Stärke, verbunden mit einem hohen Grad an Zuversicht, herzustellen. Manche Autoren sprechen auch von einem Versuch, dem Probanden das Gefühl zu vermitteln, daß er » geliebt« werde, um ihm ein Gefühl von » Liebe und Vertrauen« zu ermöglichen.

Ein Erfolg reich behandelter Patient formulierte die damit verbundene Erfahrung: »Nun fühle ich mich vollkommen in der Lage, Liebe zu geben und zu empfangen.« Ob gleich der Proband bzw. der Patient in dieser Vorbereitungsphase oft ermutigt wird, alle seine Gefühle, auch die negativen, zu äußern, wird niemals der Versuch unternommen, diese Gefühle oder die Übertragung auf den Therapeuten zu interpretieren oder etwa die Beziehungen zu Prägungen aus der Kindheit aufzuweisen. Die Sitzung beginnt im allgemeinen morgens um 8 Uhr. Die Gruppe der Begleiter bzw. Therapeuten (verantwortlicher Arzt, Schwester oder andere weibliche Helferin, Musiktherapeut[in]) empfängt den Patienten im Behandlungsraum, und es beginnt eine allgemeine Diskussion beim gemeinsamen Kaffeetrinken. Gegen 8:20 Uhr wird das Halluzinogen in Wasser oral verabreicht.

Die Dosis liegt – verglichen mit der Verwendung von Halluzinogenen zu anderen Zwecken – relativ hoch: LSD zwischen 200 bis maximal 1500 Mikrogramm, Psilocybin zwischen 20 bis 40 mg. Die Höhe der Dosis wird durch klinisches Urteil ermittelt und hängt von der voraussichtlich zu erwartenden Abwehr des Betreffen den ab. Im allgemeinen wird eine Dosis von 200 Mikrogramm gegeben, und wenn der Patient nach ein bis zwei Stunden Zeichen des Widerstandes oder der Angst zeigt bzw. die Reaktion nicht ausgeprägt genug ist, wird eine zweite Gabe von 100 bis 200 Mikrogramm LSD und mehr injiziert. Auf die Gestaltung des Behandlungsraumes, überhaupt der Umgebung des Probanden, wird größter Wert gelegt. Gerade bei dieser Form der halluzinogenen Einwirkung ist der Umgebungsfaktor (Setting) von größter Bedeutung. Es soll ein ruhig gelegener, am besten gegen Schall abgesicherter Raum sein, in dem die Drapierung der Wände, die Teppiche auf dem Boden und das Mobiliar geschmackvoll kombiniert sind. Blumenarrangements sind aufgestellt, Bilder, die eine harmonische und beruhigende Atmosphäre ausstrahlen, und unter Umständen empfehlen sich auch gute Wiedergaben kunsthistorischer Darstellungen christlicher oder außerchristlicher Kunst. Darüber hinaus sollen dominante Momente der Dekoration symbolische Betrachtungsmöglichkeiten bieten wie Früchte, Blumen, eine einzelne Rose, eine Bibel oder religiöse Darstellungen, etwa Maria mit dem Kind, Heilige usw. Eine Kerze kann während der Sitzung brennen. Darüber hinaus werden während der Sitzung verschiedene Stimulantien benutzt, vor allem Musik aus einer Stereoanlage, am besten durch einen Stereokopfhörer vermittelt, klassische Musik (etwa Bach), halbklassische oder andere Komponisten. Anfangs empfiehlt ich besonders entspannende Musik, während später die Musik zum ekstatischen Höhepunkt hinführt, etwa in den Requien von Mozart und Verdi, Ode an die Freude, 4. Satz der IX. Symphonie von Beethoven usw. Der Betreffende wird gebeten, sich auf eine bequeme Couch zu legen, zu entspannen und der Musik zuzuhören. Ein oder zwei Begleiter bleiben regelmäßig beim Patienten, bedienen den Plattenspieler, sorgen für Getränke oder Essen – wenn erforderlich – und führen den Patienten auf die Toilette. Sie halten mit ihm engen Kontakt. Er kann nichtverbaler Art sein, indem sie ihm Angstschutz durch Handauflegen oder verbal tröstenden und beruhigenden Zuspruch bieten, sofern das nötig wird. Besonders bei Menschen mit persönlichen emotionalen Problemen können anfangs stark frustrierende, auch depressive Erlebnisinhalte im Vordergrund stehen.

Diese werden von dem geschickten Begleiter durch sein verständnisvolles Eingehen und die Aufforderung überwunden, auch unangenehme Erlebnisse, vielleicht auftretende Ängste zu akzeptieren. Dafür wird ihm der Schutz des Begleiters, zu dem eine enge Vertrauenssituation bestehen muß (auch unter Einfluß des Mittels), gewährt. Ist das nicht der Fall, sollte einer der anderen Begleiter (etwa anderen Geschlechts) an seine Stelle treten. Der Proband wird dabei suggestiv und nachdrücklich darauf hingewiesen, daß er sich der Wirkung der Droge bedingungslos hingeben soll, um auf den rechten Weg zur großen »Spitzenerfahrung« (peak experience) zu kommen. In diesen ersten, noch konfliktgeladenen Phasen können auch Bilder z.B. aus der Kindheit des Patienten dargeboten werden. Der Proband wird ermutigt, die Bilder so lange zu betrachten und auf sich wirken zu lassen, bis sie für ihn eine tiefere Bedeutung erlangen. Die meisten Autoren verlangen, daß der Begleiter oder der die Therapie leitende Nervenarzt selbst über psychedelische Erfahrungen verfügt, um seine Patienten auf die Dauer besser verstehen und eine verständnisvolle, gewährende Haltung einnehmen zu können. Auch würde es ihm dann möglich sein, die der Erfahrung angemessenen Begriffe zu gebrauchen, die dem Außenstehenden im allgemeinen fremd sind, um so mehr, als das Erleben sich nur schwer in Worten ausdrücken läßt. Andere Autoren (Kurland et al. 1971) lassen den Patienten eine Augenbinde tragen, damit er sich ganz auf seine innere Erfahrung konzentrieren kann.

Etwa zwei Stunden nach Beginn der Sitzung sind die meisten Probanden zutiefst mit der inneren Selbsterforschung und Hingabe an die oft überdimensionalen Erlebnisse beschäftigt. Etwa drei bis vier Stunden danach versuchen sie, ihre Erfahrungen mit Hilfe des Therapeuten, dem sie über die Einzelheiten berichten, einzuordnen. Der Begleiter verwendet dabei im allgemeinen eine nicht direktive Methode der Gesprächsführung (vergleichsweise nach der Methode von Rogers 1973 bzw. Tausch 1966). Gegen 16 Uhr, d.h. 8 1/2 Stunden nach Beginn der Sitzung, kehrt der Proband in sein eigenes Zimmer zurück. Einer der Begleiter oder ein entsprechend ausgebildeter Helfer bleibt dort mit ihm im gemeinsamen Gespräch bis zum Eintritt der Nacht zusammen – wir würden sagen, im »gemütlichen«, menschlich verständnisvollen Gespräch. Diese Periode kann unter Umständen die fruchtbarste Zeit der gesamten Sitzung sein. Einige Autoren empfehlen auch, nächste Angehörige nach sechs Uhr abends zumindest versuchsweise mit dem Probanden zusammenzubringen. Der Proband kann den Angehörigen über seine psychedelischen Erlebnisse und Gefühle informieren, der seinerseits wiederum an dem Erleben teilnehmen kann und sich nicht abseits stehend zu fühlen braucht. Es ist der Eindruck entstanden, daß Partnerschaften gefördert werden, sofern der andere Teil wirklich ein echtes Verstehen für die profunde Erlebniswelt aufbringt.

Mit der genannten vorbereitenden Technik gelingt es dem erfahrenen Therapeuten bzw. Begleiter, bei etwa 70 bis 80 % der Individuen das angestrebte kosmisch-mystische oder transzendente Erleben, als »psychedelische Spitzenerfahrung« (Maslow 1964; 1973) bezeichnet, hervorzurufen (Unger et al. 1968). Es kann dann über Stunden mit tiefer ekstatischer Beglückung andauern. Dem Psychiater sind solche mystisch-ekstatischen Erlebnishöhe punkte von gewissen Schizophrenen bekannt. In der durch Halluzinogene hervorgerufenen »experimentellen Psychose« sind diese Erscheinungen mehr am Rande beschrieben worden, und man hatte ihnen zunächst wenig Bedeutung beigemessen (Leuner 1962). In der psychedelischen Anwendung, wie sie in den USA auch therapeutisch geübt wird, ist diese Erlebnisweise jedoch Ziel der Sitzung überhaupt.

Lucys Xtra

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