Sind MDMA & Co. Naturstoffe oder Stoffwechselprodukte im Menschen?

Von Markus Berger

„Man nimmt (…) an, dass sowohl MDA wie MMDA im menschlichen Körper durch Aminierung ihrer Ursprungskomponenten hervorgebracht werden können. Dies wäre wiederum eine Erklärung für die psychischen Wirkungen der Muskatnuss (…)“.
(Wolfgang Schmidbauer und Jürgen vom Scheidt 1989: 256)

„Wenn es eine natürliche Substanz gäbe, die genau wie MDMA wirken würde, dann würde ich sie verwenden, aber so etwas gibt es nicht. MDMA ist halbsynthetisch; es steht natürlichen Substanzen sehr nahe, ist jedoch leicht abgewandelt. (…) Es ist eng verwandt mit Safrol, Myristicin und ähnlichen Stoffen, aber stellt eine geringfügige Abwandlung der natürlichen Moleküle dar.“
(Andrew Weil in Holland 2001: 290)

„MDMA, auch bekannt als Ecstasy (X, XTC, E, Rolls), ist eine halbsynthetische Droge, da sie mit vielen natürlichen Substanzen verwandt ist. Der Baum (Myristica fragrans), der uns die Muskatnuss und Muskatblüte sowie Safrol im ätherischem Öl liefert, ist der bekannteste Verwandte von MDMA, aber die Sassafraswurzel ist in der Tat eine viel potentere Quelle von Safrol. Safrol ist der wichtigste natürliche Vorläufer in der Synthese von MDMA. Andere natürliche Quellen, deren Inhaltsstoffe chemische Ähnlichkeiten mit MDMA aufweisen, sind Petersilie, Dill und die Kalmuswurzel.“
(Julie Holland 2001: 8)

Diverse Quellen geben an, dass MDMA (3,4-Methylendioxy-Methylamphetamin) als Naturprodukt in der Muskatnuss (Myristica fragrans) vorkomme (u.a. Bastigkeit 2003: 108; Widmer 1996: 9, 32). Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Andere Literaturstellen mutmaßen, dass aus bestimmten ätherischen Ölen der Muskatnuss und anderer pflanzlicher Quellen – z.B. Myristicin, Safrol, Isosafrol und Elemicin – im menschlichen Körper sogenannte „essentielle Amphetamine“ (Bezeichnung nach Shulgin) – u.a. MMDA, MDA, MDMA und TMA – hergestellt werden. So dürfte nach Thomas Geschwinde „erst die Biotransformation durch Umlagerung, Oxidation und Transaminierung zu Phenylethylaminen vom Mescalintyp die eigentliche halluzinogene Wirkung entfalten. Diese dürften den aus den Muskatnusswirkstoffen halbsynthetisch hergestellten Aminformen MDA und TMA entsprechen“ (Geschwinde 1990: 104).

Richard C. Stillman und Robert E. Willette schreiben, sich auf Braun et Kalbhen (1972 & 1973) und Shulgin et al. (1967) beziehend: „[MMDA, MDA und TMA] sind im Leberhomogenat der Ratte Produkte des Stoffwechsels von Myristicin, Safrol und Elemicin. MMDA, MDA und TMA, die durch den In-vivo-Stoffwechsel von Myristicin, Safrol und Elemicin produziert werden, sind die Metaboliten, von denen angenommen wird, dass sie die halluzinogenen Effekte hervorrufen, die nach der Einnahme von Myristicin, Safrol und Elemicin beobachtet wurden“ (Stillman et Willette 1978: 84).

All das ist jedoch für den Menschen bisher nicht nachgewiesen worden. Wie kommt es also zu diesen Irrtümern?

Daniel Trachsel et al. erklären: „Der Pionier Alexander Shulgin prägte die Idee, dass ätherische Öle mit Phenylpropanstruktur metabolisch in Amphetamine umgewandelt werden könnten (…). Es wird auch immer wieder diskutiert, inwieweit die Umwandlung in ein Amphetamin-Derivat in vivo metabolisch geschehen kann. Grund für diese Annahme ist die Tatsache, dass die Muskatnuss, welche Safrol, Elemicin und Myristicin enthält, in hohen Dosen eingenommen psychoaktiv wirkt (…). Bei einer In-vivo-Transaminierung würden sich im Körper die Substanzen MDA, TMA und MMDA bilden, die dann die eigentliche Wirkung hervorrufen. Spätere Untersuchungen zeigten, dass Safrol wohl keinen Beitrag zu der psychoaktiven Wirkung leistet, sondern eher Elemicin und Myristicin in ihrer unveränderten Form dafür verantwortlich sind. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass die metabolische Umwandlung eher nicht der Grund für die psychoaktive Wirkung von Muskatnuss sein kann. Da Safrol auch zur illegalen Synthese von MDMA verwendet wurde, untersteht der Verkehr des safrolhaltigen Sassfrasöls und Safrols vielerorts einer behördlichen Kontrolle. Es ist demnach bis heute nicht klar, welcher Stoff für die psychoaktive Wirkung von Muskatnuss verantwortlich ist. Vielmehr scheinen die Phenylpropan-Derivate selbst oder möglicherweise darin enthaltene Terpene für die Wirkung verantwortlich zu sein“ (Trachsel et al. 2013: 36ff.).

Shulgin erläutert, wie er auf die Idee kam, die Hypothese von den „essentiellen Amphetaminen“ („ätherischen“ Amphetaminen) in Erwägung zu ziehen: „Ich [habe] Vergleiche zwischen Myristicin und MMDA sowie zwischen Safrol und MDA angestellt. Und es gibt eine ähnliche Parallele zwischen Elemicin und TMA. Welche Beziehungen bestehen zwischen den ätherischen Ölen und den Amphetaminen? Mit einem Wort, es gibt etwa zehn ätherische Öle, die eine Dreierkohlenstoffkette haben, und jedem fehlt nur ein Ammoniak-Molekül, um zum Amphetamin zu werden. Vielleicht können diese ätherischen Öle oder ‚annähernden‘ Amphetamine also als eine Art Index für die entsprechenden echten Amphetamin-Gegenstücke dienen. Ich habe diese Familie ursprünglich die ‚natürlichen‘ Amphetamine genannt, aber mein Sohn schlug vor, sie die ‚essentiellen‘ Amphetamine zu nennen, und das gefällt mir“ (Shulgin et Shulgin 1991: 860).

Die Fakten

„Wahrscheinlich ist [Myristicin] nicht per se aktiv; es wurde eine In-vivo-Transaminierung vermutet, woraus unter anderem die psychoaktive Substanz MMDA entstehen könnte.“

(Trachsel et al. 2013: 745).

In Wirklichkeit kommen in der Muskatnuss die ätherischen Öle Myristicin, Elemicin und Safrol vor, das sind Moleküle mit Phenylpropanstruktur und damit keine Phenylethylamine. Ob diese Substanzen sich nach der Einnahme im menschlichen Körper tatsächlich zum Teil in andere Stoffwechselprodukte (Metaboliten) umwandeln, wird zuweilen gemutmaßt, ist aber bis heute nicht geklärt. Daniel Trachsel et al. erläutern: „MDMA ist bisher nirgends in der Natur entdeckt worden und wird daher als rein synthetische Substanz eingestuft (…). Allerdings kommt eine ähnliche, stickstofffreie Substanz in der Natur vor: Safrol. Es ist unter anderem in der Muskatnuss und im Sassafrasbaum (Sassafras officinale), der vor allem in Nordamerika gedeiht (…), enthalten (…). Das aktive Prinzip der Muskatnuss scheint jedoch nicht Safrol selbst zu sein, vielmehr werden Elemicin und Myristicin dafür verantwortlich gemacht. Es wurde eine In-vivo-Transaminierung theoretisiert, woraus die psychoaktiven Substanzen TMA und MMDA entstehen könnten (…). Allerdings gleichen die Wirkungen von Elemicin und Myristicin nicht denen von TMA oder MMDA (…). Isosafrol ist ebenfalls ein Naturstoff und zeigt eine nahe strukturelle Verwandtschaft zu MDMA“ (Trachsel et al. 2013: 558f.).

Was herausgefunden wurde: Anfang der Siebziger veröffentlichten Ulrich Braun und Dieter Abbo Kalbhen ihre Studie über die Bildung psychoaktiver Amphetaminderivate aus Inhaltsstoffen der Muskatnuss (Braun et Kalbhen 1972 & 1973). Die Forscher berichteten, „dass in einer isolierten Rattenleber, die fünf Stunden lang perfundiert wurde, Myristicin durch mutmaßliche metabolische Addition von Ammoniak in 3-Methoxy-4,5-Methylendioxyamphetamin (MMDA) umgewandelt werden konnte. (…). Dieses einzige Experiment, das sich ohne Unterstützung von Massenspektrometrie-Daten auf zweidimensionale Dünnschichtchromatographie stützte, wurde nie reproduziert“ (Idle 2005).
Alexander T. Shulgin schreibt in seinem Buch PiHKAL: „Es wurde berichtet, dass Myristicin in der Leber des Kaninchens zu MMDA verstoffwechselt wird. Der einzige strukturelle Unterschied zwischen den beiden Molekülen sind die Elemente von Ammoniak. Myristicin plus Ammoniak ergibt MMDA“ (Shulgin et Shulgin 1991: 791f.).

Dass die genannten ätherischen Öle im menschlichen Körper zu „essentiellen Amphetaminen“ verstoffwechselt werden, ist also bis heute eine reine Hypothese.

INFO: Ätherische Öle als Vorläufersubstanzen der Amphetaminsynthese

„MMDA steht strukturell betrachtet zwischen den Naturstoffen Lophophin [aus Lophophora williamsii (Peyote) und Trichocereus pachanoi (San Pedro)] und dem ätherischen Öl Myristicin, einem Inhaltsstoff der Muskatnuss (…).“ (Trachsel et al. 2013: 745)

Myristicin (Methoxy-Safrol) ist Vorläufersubstanz in der Synthese von MMDA (Shulgin et Shulgin 1991: 791). Die primären Precursor in der MDMA-Synthese sind Safrol und Isosafrol sowie Piperonal (ebd.: 575). Piperonal (Heliotropin) dient ebenso als Vorläufer in der MDA-Synthese (ebd.: 714).

Literatur

Bastigkeit, Matthias (2003), Rauschdrogen – Drogenrausch, Edewecht: Stumpf + Kossendey Verlag

Braun U. und D.A. Kalbhen (1972), Nachweis der Bildung psychotroper Amphetamin-Derivate aus Inhaltsstoffen der Mustkatnuß, Dtsch. Med. Wschr. 97: 1614-1615.

Braun U. und D.A. Kalbhen (1973), Evidence for the biogenic formation of amphetamine derivatives from components of nutmeg, Pharmacology 9(5): 312–316.

Dawidowicz, A.L. und M.P. Dybowski (2013), Simple and rapid determination of myristicin in human serum, Forensic Toxicol. 31(1): 119-123.

Efron, Daniel H., Holmstedt, Bo und Kline, Nathan S. (Hg.) (1967), Ethnopharmacologic Search for Psychoactive Drugs, U.S. Government Printing Office, Washington (2. Druck Raven Press, New York 1979); Reprint 2018: Ethnopharmacologic Search for Psychoactive Drugs (Vol. 1 & 2): 50 Years of Research, Synergetic Press
(Dieser Band enthält nicht nur die Arbeit von Shulgin, Sargent und Naranjo, sondern ist auch darüber hinaus eine Fundgrube für Texte über die Muskatnuss und ihre Inhaltsstoffe.)

Geschwinde, Thomas (1990), Rauschdrogen, Berlin, Heidelberg, New York: Springer

Holland, Julie (Hg.) (2001), Ecstasy: The Complete Guide, Rochester, Vermont: Park Street Press

Idle, J. R. (2005), Christmas Gingerbread (Lebkuchen) and Christmas Cheer – Review of the Potential Role of Mood Elevating Amphetamine-like Compounds Formed in vivo and in furno, Prague Medical Report 106(1): 27-38.

Leiter E., Hitchcock, G., Godwin, S., Johnson, M., Sedgwick, W., Jones, W., McCall, S., Ceremuga, T.E. (2011), Evaluation of the anxiolytic properties of myristicin, a component of nutmeg, in the male Sprague-Dawley rat, AANA J. 79(2): 109-114.

Schmidbauer, Wolfgang und Jürgen vom Scheidt (1989), Handbuch der Rauschdrogen, Frankfurt/M.: Fischer

Shulgin, A., T. Sargent und C. Naranjo (1967), The Chemistry and Psychopharmacology of Nutmeg and of Several Related Phenylisopropylamines, in: Efron, D.H. et al. 1967, S. 202-214.

Shulgin, Alexander und Ann Shulgin (1991), PiHKAL, Berkeley: Transform Press

Stillman, Richard C. und Robert E. Willette (1978); The Psychopharmacology of Hallucinogens, New York, Oxford, Toronto, Sydney, Frankfurt, Paris: Pergamon

Trachsel, Daniel, David Lehmann und Christoph Enzensperger (2013), Phenethylamine – Von der Struktur zur Funktion, Solothurn: Nachtschatten Verlag

Widmer, Samuel (1996), Ecstasy – Die User-Fibel, Neu-Allschwil/Basel: Editions Heuwinkel