Subversive Klänge und berauschende Inspiration

XtraDer gute, alte Blues, subkulturelle Bands in der DDR und Drogen

Foto: Michael Kleim

Text: Michael Kleim

1915 bis 1959 (USA)

Der gute, alte Blues

Ab den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als der Jazz in den USA immer weitere Klangkreise zog, sind in den Kellern und Kneipen nicht nur Blues, Bier und Whisky, sondern auch Reffers, Wacky Dust und Horse – also Marijuana, Kokain und Heroin – Stammgäste.

Bekannte Musiker wie Lous Armstrong, Miles Davis und Ray Charles bekommen aus diesem Grund Ärger mit der Polizei. Die bedeutende Bluessängerin war gewiss Billie Holiday (1915-1959). Sie beschreibt in ihrer Autobiographie «Lady Sings The Blues», wie sie mit ihrer Heroinabhängigkeit systematisch zwischen Schwarzmarkt und Justiz zerrieben wurde. In ihrem Buch klagt sie die Drogenpolitik der Vereinigten Staaten als rassistisch und inhuman an und plädiert dafür, Heroinsucht als Krankheit zu verstehen und Heroinsüchtige dementsprechend zu behandeln.

«Wenn sie dich hochgehen lassen, warten sie lieber bis nach der Show. Wenn sie dich schon während der Woche schnappen, beschweren sich die Clubbesitzer und Theatermanager. Die geben vor, den Ruf des Hauses wahren zu müssen und so. Und die Bullen nehmen normalerweise viel Rücksicht auf deren Bedürfnisse. Aber gleich nach deinem letzten Auftritt bist du Freiwild …

«Haben Sie etwas zu Ihrer Verteidigung vorzubringen?», wurde ich gefragt.

«Ich bekenne mich schuldig und möchte in ein Krankenhaus eingewiesen werden», sagte ich.

Dann übernahm der Richter und fragte nach meinem Alter, ob ich verheiratet sei, seit wann ich von meinem Mann getrennt lebe, ob wir Kinder hätten, wo er arbeite, meine gesamte Lebens- und Showbusiness-Geschichte … Dann wollte er wissen, mit wie viel ich angefangen hatte. Verflucht, ich war genauso wenig Pharmazeut wie er. Ich fand es widerlich, diese erwachsenen Herren, die sich an all dem aufgeilten. Sie hatten mir versprochen, mich in ein Krankenhaus zu schicken, wenn ich mich schuldig bekenne. Ich war krank und wollte endlich hin. So ging überhaupt nichts weiter.

Ich unterbrach den Richter und sagte: «Euer Ehren, ich will in ein Krankenhaus.»

«Das weiß ich», fuhr er mich an.

«Ich möchte in Kur», sagte ich.

«Sie stehen hier unter Anklage wegen kriminellen Umgangs mit Rauschgift» sagte er und blickte mich streng an.

Dann ereiferten sich der Richter und der FBI-Mann in einem langen Disput, was nichts mehr mit mir zu tun hatte …

Wer an Drogen hängt, ist krank. Aber trotzdem jagt die Regierung hinter kranken Menschen her, als seien sie Verbrecher. Den Ärzten sagen sie, sie können eh nicht helfen, dann belangen sie dich und bringen dich ins Gefängnis, weil du die Steuer für dein Zeug nicht bezahlt hast.

Man stelle sich mal vor, die Staatsgewalt verfolgt Diabetiker. Belegt Insulin mit einer Steuer und überlässt es dem Schwarzmarkt, erzählt den Ärzten, es gäbe dafür keine Behandlung, verhaftet Diabetiker wegen Steuerhinterziehung und schafft sie ins Gefängnis. Wenn wir das täten, wüsste jeder, dass wir verrückt sind. Aber wir tun praktisch dasselbe jeden Tag in der Woche mit Rauschgiftkranken. Die Gefängnisse sind überfüllt, und es wird jeden Tag schlimmer.»[1]

Blues

Eine Musikform, die das eigene Unbehagen treffsicher ausdrückte, wurde bald entdeckt: der gute, alte Blues. Es waren Bluesveranstaltungen, die in besonderer Weise die Szene angezogen hat. Die Kirche griff das beliebte Genre auf. In Berlin strömten die subversiven Massen zu den Bluesmessen. In den Texten über Frust, Alkohol und Missmut fand man die eigene Situation wieder. Bald wurden auch eigene Texte geschrieben, die den Alltag auf schonungslose, ehrliche Weise beschrieben. Die Konsequenzen mussten die Musiker tragen, von Überwachung, über Auftrittsverbot, bis hin zur Verhaftung. Der Staatssicherheitsdienst, das repressive Hauptinstrument der Diktatur, nahm den real existierenden Underground ins Visier. Der Musikwissenschaftler Michael Rauhut schrieb:

«Operative Vorgänge» und «Operative Personenkontrollen»[2] mit Decknamen wie Blues, Penner, Tramper, Anhalter oder Diestel richteten das Visier auf besonders suspekte «Langhaarige» und Musiker. Sie wurden nicht selten über Jahre hinweg observiert, in ihrem Wirkungsfeld eingeschränkt und durch subtilen Terror langsam gelähmt – oder wie es die Stasi nannte: «zersetzt». Die Methoden bündelte der «Operative Vorgang Tramper», im Mai 1978 von der Bezirksverwaltung Gera eingeleitet … 1982 resümierte man den «Zerfall und die Zersetzung der Gruppierung», das Dossier wurde geschlossen.

Die Stasi und ihre vier geschickt platzierten inoffiziellen Mitarbeiter hatten ganze Arbeit geleistet: Fünf Mitglieder gingen ins Gefängnis, einer in den Westen, ein anderer wurde zum Wehrdienst einberufen und damit «unschädlich gemacht.»[3]

«Lass mich heimgehen, Whisky, lass mich aus dieser Tür ‘rauslaufen,

Tja, ich bin in Stimmung, aber ich kann einfach nicht weitersaufen.»[4]

Blues & Trouble

Wenn man den Whisky durch Korn, Wodka oder Wismutfusel ersetzt, dann passte die Blueszeile treffsicher in den DDR-Alltag. Das Buch «Blues & Trouble», 1981 von Theo Lehmann im Musikverlag herausgegeben, war Balsam für die Szene. Hintergrundinformationen zum geliebten Musikstil paarten sich mit Textbeispielen. Und die Drogen schmuggelten sich auch hinein. Im Buch wurde über Billie Holiday berichtet. Ihre Drogenlaufbahn hatte Theo Lehmann erstaunlich verständnisvoll bewertet: «Nicht das Rauschgift war das Verhängnis dieser Sängerin, sondern die Repressalien, die sie […] erdulden musste, ließen sie nach dem Kokain greifen»[5]. Abgesehen von dem Umstand, dass Billie Holiday eher dem Heroin verfallen war, zeigte sich hier eine Wahrnehmung von Drogenkonsum, die für DDR-Verhältnisse eher untypisch war.

Lucys Xtra

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