Vom Genuss zum Sakrament

Coustos Psychedelikatessen (12)

Zum Genuss von Psychedelika gehört ein dafür adäquates Setting, das heißt Rahmenbedingungen, die diesen Genuss fördern – wie bei einem Festmahl, das traditionsgemäß an einem schön gedeckten Tisch eingenommen wird. Dabei hat man für den Weißwein zur Vorspeise andere Gläser als für den Rotwein zum Hauptgang; die Rotweingläser sollen nicht nur schön aussehen, sondern auch beim Anstoßen gut klingen. Das Anstoßen ist ein Ritual, bei dem man einander Gesundheit mit Zurufen wie „Zum Wohl“, „Santé“ oder „Prost“ wünscht. Zum Espresso nach dem Essen trinkt man den Grappa oder den Kirsch wiederum aus anderen Gläsern. Kein Wirt und kein kultivierter Gastgeber käme auf die Idee, bei einem feierlichen Festmahl alle Getränke in den gleichen Plastikbechern anzubieten.

Vor einem Festmahl wird meistens ein Aperitif serviert, um den Appetit anzuregen und auf die bevorstehende Mahlzeit einzustimmen. Der Aperitif hat zudem eine soziale Funktion und dient dazu, die Wartezeit bis zum Servieren der Speisen in geselliger Weise zu überbrücken, bis alle eingetroffen sind und man sich am Tisch versammeln kann. Ein Festmahl dient eben nicht nur dazu, den Hunger zu stillen, sondern ist meistens ein kulturell tradiertes Ritual zur Optimierung des Genusses und der Geselligkeit.

Zu einem richtigen Festmahl gehörte schon in der Zeit des Barocks entsprechende Musik, um den kulinarischen Genuss zu erhöhen. So komponierte Georg Philipp Telemann (1681–1767) eine Sammlung von höfischen Tafelmusiken passend zu den an den Banketten gereichten Speisen; heute kreieren psychonautisch erfahrene Musiker Werke, die geeignet sind, den Genuss verschiedener Psychedelika zu optimieren.

Für eine Drogengenusskultur braucht es nicht nur saubere und richtig dosierte Substanzen, sondern eben auch das richtige Setting, einen passenden Rahmen sowohl für das Auge als auch für die Ohren – erst dann wird die Einnahme von Psychedelika zu einer wahren Psychedelikatesse.

Für etliche Nutzer/innen von Substanzen wie Zauberpilzen, LSD oder DMT dient die Einnahme dieser Stoffe jedoch nicht nur hedonistischen Zwecken und dem Genuss, sondern einem weit höheren Ziel, einem spirituellen Ziel. Die Einnahme dieser Mittel erfüllt somit die Funktion eines Sakraments.

Auf kultivierten Festivals des Genres Goa oder auch auf Psytrance- oder Hi-Tech-Festivals wird dieser Gegebenheit besonders Rechnung getragen. Die Gestaltung der Tanzfläche erfolgt häufig in der Tradition der alten Tempelbauer wie im antiken Griechenland oder in der Zeit der Gotik: nach Maß und Zahl sowie Kunst und Zierde im Sinne der heiligen Geometrie harmonisch aufeinander abgestimmt. Der Bereich der Tanzfläche erhält somit sakralen Charakter, wie eine gotische Kathedrale, und beim ekstatischen Tanz im Einklang mit den anderen Tanzenden, der Musik und dem Lichterspektakel kann einen das leibhaftige Sakrament durchfluten.

Auch im privaten Rahmen oder in der freien Natur kann man diesem Aspekt Rechnung tragen und die Umgebung für die psychedelische Reise so wählen und gestalten, dass man die molekular induzierten außergewöhnlichen Bewusstseinszustände nicht nur ungestört genießen kann, sondern dass sie auch für erleuchtende sakrale Momente geeignet sind.

Aufklärung über Drogen bedeutet mehr als Aufklärung über Substanzen und über Schadensminderung. Dieser Bereich wird vom Substanzismus erfasst. Doch zur Gefahrenabwehr, zum Wohlergehen und zur Entfaltung der Persönlichkeit gehört weit mehr: die Kultur und die spirituelle Dimension. Und genau diese Lücke in der bürgerlichen Drogenaufklärung füllt unser Magazin.

Hans Cousto