Was tun mit dem Kokain?

Blätter des Coca-Strauchs. Foto: zvg

Text: Fabian Pitter Steinmetz

Expertinnen und Experten werden sich zunehmend einig, dass man Cannabis reguliert an Erwachsene abgeben und dass Ärzte Heroin an Abhängige verschreiben können sollten. Wie man aber regulatorisch mit Kokain verfährt, darüber gibt es noch sehr wenig Einklang. Während Koks für viele eine Tabuthema ist, gibt es auch Experten wie Steve Rolles von der Transform Drug Policy Foundation, die das Thema selbstbewusst und sachlich angehen. Da jene Positionen aber noch weit entfernt von einem Konsens sind, nähere ich mich dem Thema ersteinmal über wohl etablierte Maßnahmen der Schadensminimierung wie Entkriminalisierung von Nutzern und Angeboten für Drug-Checking.

Zugegeben, die Regulierung von Kokain ist aufgrund der eher kurzen Wirkung und der starken Belastung des Herzkreislaufsystems ein eher schwieriges Unterfangen. Während die kurze Wirkdauer, im Gegensatz zu Heroin, eine Abgabepraxis, z. B. morgens und abends, erschwert, ist auch die Gefahr durch Überdosierung nicht zu unterschätzen, falls man eine großzügige Take-Home-Regelung anpeilt.

Aber Kokain ist nicht gleich Kokain. Es gibt grob drei verschiedene Formen des Koka-Konsums. Diese haben einen großen Einfluss auf Wirkung und die Wahrscheinlichkeit für problematische Konsummuster, folglich auch auf die kardiovaskuläre Belastung. Die erste Methode stellt den traditionellen Gebrauch von Kokablättern dar, welcher auch den Konsum von Tee, Bonbons, Limonade, Wein und leichten Extrakten miteinschließen soll. Des Weiteren gibt es den meist nasalen Konsum von mehr oder minder reinem Kokain – Hydrochlorid, welches die meisten Menschen mit Kokainkonsum assoziieren. Als dritte Form gibt es die rauchbaren Formen des Kokains (Crack, Freebase, Stein bzw. in den Ursprungsländern Kokapaste, Paco etc.). Darüber hinaus gibt es noch Mischungen mit anderen Wirkstoffen (z. B. Heroin) und Applikationsformen wie den intravenösen Konsum, die aber hier nur am Rande adressiert werden. Laut dem EMCDDA-Bericht von 2019 haben 1,2 % der 18- bis 34-Jährigen Kokain im letzten Jahr konsumiert. 5 % der Menschen, die sich in Behandlung wegen ihres illegalen Drogenkonsums befinden, nehmen jene Hilfe aufgrund von Kokainkonsum in Anspruch.

Wenn Kokain nicht gleich Kokain ist, dann sollte es aufgrund unterschiedlicher Gefahrenpotenziale auch verschiedene Regulierungsformen für verschiedene Produktklassen geben. Die folgende Grafik soll bei der Unterteilung von verschiedenen Produktklassen helfen. Prinzipiell gilt: Je höher der Kokaingehalt in einem Produkt, desto größer die regulatorischen Hürden.

Zur Klasse I
Generell sollte sich eine Regulierung auch an der Nachfrage orientieren. Da es aber aufgrund des Einheitsabkommens über die Betäubungsmittel von 1961 kaum legalen Handel mit traditionellen Kokaprodukten gibt, gilt es diesen Markt erst einmal zu etablieren. Hierbei sollten Koka-Tee wie Kaffee und herkömmlicher Tee gehandelt werden. Bei potenteren Limonaden, Weinen etc. sollte, ähnlich wie bei Alkohol, ein Jugendschutz­gesetz greifen. Jene Produkte, für die es aktuell praktisch nur lokale Märkte (meist in Südamerika) gibt, gilt es also zu unterstützen, insbesondere da diese Produkte praktisch nicht mit problematischem Konsum, also Abhängigkeiten/Substanzge­brauchsstörungen, assoziiert sind. Eine entsprechende Steuer um Kokainextraktion finanziell unattraktiv zu machen, sollte angewendet werden. Wie in der Lebensmittelindustrie üblich (vgl. Koffein) sollten Grenzwerte von der Produktart und den typischen Konsumformen abhängen. Während der Konsum sehr wohl einen leicht stimulierenden Effekt haben darf, sollten Dosen, die einen signifikanten Rausch erzeugen (und dadurch straßenverkehrsrechtliche Relevanz haben und problematische Konsummuster begünstigen) eher Produkte für Klasse 2 bzw. 3 darstellen.

Zur Klasse II
Eine Abgabe von stärkeren kokainhaltigen Produkte, inklusive eines Pulvers für die nasale Anwendung, sollte in Fachgeschäften für Erwachsene realisiert werden. Das psychische Suchtpotenzial, gepaart mit lokaler Schädigung der Schleimhäute und der Belastung des Herzkreislaufsystems, sollten dennoch nicht unterschätzt werden, weshalb die Abgabe sich auf wenige Einzeldosen pro Person beschränken sollte. Entsprechende Hilfsangebote von Safer-Use-Aufklärung bis Suchtberatung sollten angesprochen werden. Das Schnupfpulver sollte unter Gesichtspunkten der Schadensminimierung produziert werden. Hilfsstoffe, die den sogenannten „Crash“ etwas reduzieren (z. B. länger wirkende Stimulanzien wie Methylphenidat oder Amphetamin) oder inerte Substanzen wie Milchzucker, die lokale Reizungen und ein starkes Anfluten reduzieren, wären denkbar. Hier Bedarf es präklinischer und klinischer Forschung, um ein möglichst optimales Endprodukt zu entwickeln. Es ist allerdings auch wichtig, aktuell Konsumierende mit einzubeziehen – natürlich unter Einhaltung ethischer Grundsätze und mehr fokussiert auf individuelle Ansprüche. Denn auch die besten schadensminimierenden Maßnahmen bringen nur etwas, wenn sie auch genutzt werden.

Zur Klasse III
Für Menschen, die an einer „Kokainabhängigkeit“ (vgl. ICD-10- und DSM-5-Definition) leiden, wäre eine Verschreibung von reinem Kokain-Hydrochlorid (nasale oder intravenöse Applikation) oder Kokain-Base (zum Rauchen/Dampfen) erstrebenswert. Bei Letzterem wäre die Abgabe in Form von E-Zigaretten sinnvoll, da hier eine Tagesration abgegeben werden kann, während akut toxische Einzeldosen durch entsprechende Konzentration im E-Liquid und technische Einstellungen nahezu ausgeschlossen werden können. Auch hat Dampfen gesundheitliche Vorteile gegenüber dem Rauchen von Crack in der Pfeife (vgl. „Crack-Lunge“). Generell sollte man jene meist stark konsumierenden Menschen nicht dem Schwarzmarkt überlassen. Auch sollten sie nicht genötigt werden, durch Beschaffungskriminalität künstlich hohe Preise zu bezahlen. Die Abgabe sollte in Apotheken geschehen. Aufgrund der vorausgehenden Kommunikation mit einer Ärztin oder einem Arzt lassen sich weitere schadensminimierende Maßnahmen ergreifen. Wichtig ist zum Beispiel, dass man beim Rauchen bzw. Dampfen der eher kurzwirkenden Kokainbase Pausen einlegt, um zu essen und zu schlafen. Hier kann der Einsatz von Cannabis und Benzodiazepinen sinnvoll sein, insbesondere auch als Alternative zum omnipräsenten Alkohol. Auch Substitutionsangebote, z. B. mit Amphetamin- oder Methylphenidat-Tabletten wären vorstellbar.

Rechtlich dürften Verkäufer (vgl. Klasse I und II), Ärzte und Apotheker (vgl. Klasse III) nicht belangt werden, sofern sie sich auch an Auflagen (z. B. Jugendschutz) bzw. „Best Practices“ (also Leitlinien über Aufklärung, Maximaldosen, Kontraindikationen, Zugangskriterien etc.) halten. Ein weiterer Aspekt welcher nicht nur relevant für Konsumentinnen und Konsumenten ist, ist der Straßenverkehr und das Arbeitsrecht. Hier sollten Grenzwerte etabliert werden, die einen nicht beeinträchtigenden und leicht stimulierenden Kokainkonsum (z. B. durch Kokatee) zulassen, ähnlich wie das bei Koffein bzw. Kaffee der Fall ist.

Während die beschriebenen Regeln und Strukturen hauptsächlich der Gesundheit der Nutzer dienen sollen und ein Mittel zur Reduzierung von Beschaffungskriminalität darstellen, könnten diese langfristig auch ein wichtiges Werkzeug gegen den globalen Krieg gegen Drogen und die produktionsbedingte Umweltzerstörung sein. Ich möchte daran erinnern, dass weder die Protagonisten unserer Alkohol- noch unserer pharmazeutischen Industrie sich gegenseitig auf offener Straße erschießen. Der in Süd- und Mittelamerika wütende Krieg und die Fehden in Nordamerika und Europa haben nichts mit Kokain per se zu tun, sondern mit dem Verbot, faire Regeln zu etablieren. Auch wenn eine vernünftige Regulierung in Deutschland nicht den globalen Krieg gegen Drogen beendet, sollte Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen.

Wie bereits angedeutet, ist es möglich Kokaprodukte nachhaltig anzubauen bzw. zu produzieren. Die von manchen Journalisten spöttisch belächelten Bio-, Fairtrade- und Vegan-Labels, anspielend auf den Kokaingebrauch von Berliner Hipstern, wären also durchaus eine Möglichkeit. Auch die Produktion von Kokainsalzen könnte nachhaltiger sein, wenn man sich nicht mehr in provisorischen Drogenlaboren im Dschungel verstecken muss. In anderen Industrien werden nachhaltigere Extraktionsverfahren oder Recyclingsysteme für Lösungsmittel entwickelt. Hauptsächlich das Verbot verhindert jegliche Entwicklung. Die mit Kokain assoziierten Umweltschäden sollten also eher mit der Prohibition, als mit Kokain in Verbindung gebracht werden.

Die Regulierungsvorschläge in diesem Text beziehen sich auf aktuelle gesellschaftliche Normen und Gesetze und sollen als Diskussionsgrundlage dienen. Generell sollten Regulierungen immer auf ihre Sinnhaftigkeit hin überprüft werden. Es ist also durchaus möglich, dass solche Regeln in die eine oder andere Richtung angepasst werden müssen um Schäden weiter zu reduzieren oder Grundrechte von Bürgern weniger zu beschneiden. Generell wäre es aber wünschenswert, wenn sich langfristig in der Bevölkerung eine Drogenmündigkeit etablieren würde, die komplexe und teure Regulierungen (vgl. Audits, Testkäufe, Ermittlungen etc.) überflüssig macht.