Das höchste kosmische Prinzip

Die Erforschung holotroper Bewusstseinszustände

Artikel im Heft

Personen, die sich mit der systematischen Selbsterforschung unter Verwendung holotroper Bewusstseinszustände beschäftigen, beschreiben diesen Prozess immer wieder als philosophische und spirituelle Suche. Das inspirierte mich dazu, die Aufzeichnungen von psychedelischen und holotropen Atemsitzungen sowie Berichte von Menschen, die sich in einer spirituellen Krise befanden, nach Erfahrungen zu durchsuchen, die das Gefühl vermitteln sollten, dass diese Suche ihr Ziel, ihr endgültiges Ziel, erreicht hat. Ich habe herausgefunden, dass Menschen, die die Erfahrung des Absoluten gemacht haben und die ihre spirituelle Sehnsucht vollkommen befriedigt haben, normalerweise keine spezifischen gegenständlichen Bilder sahen. Als sie das Gefühl hatten, das Ziel ihrer mystischen und philosophischen Suche erreicht zu haben, waren ihre Beschreibungen des höchsten Prinzips äußerst abstrakt und auffallend ähnlich.
Diejenigen, die über eine solche ultimative Offenbarung berichteten, zeigten eine recht bemerkenswerte Übereinstimmung bei der Beschreibung der empirischen Merkmale dieses Zustandes. Sie berichteten, dass die Erfahrung des Höchsten die Transzendenz aller Begrenzungen des analytischen Verstandes, aller rationalen Kategorien und aller Zwänge der gewöhnlichen Logik beinhaltete. Diese Erfahrung war nicht an die üblichen Begrenzungen des dreidimensionalen Raums und der linearen Zeit gebunden, wie wir sie aus dem Alltag kennen. Sie enthielt auch alle denkbaren Polaritäten in einer untrennbaren Mischung und transzendierte damit Dualitäten jeglicher Art.
Meine Klienten und Auszubildenden verglichen das Absolute immer wieder mit einer strahlenden Lichtquelle von unvorstellbarer Intensität, betonten aber, dass es sich in einigen wesentlichen Aspekten von jeder Form von Licht, die wir in der materiellen Welt kennen, unterscheidet. Das Absolute als Licht zu beschreiben, so sehr es in gewissem Sinne angemessen erscheint, übersieht völlig einige seiner wesentlichen Eigenschaften, insbesondere die Tatsache, dass es auch ein immenses und unergründliches Bewusstseinsfeld ist, das mit unendlicher Intelligenz und außerordentlicher Kreativität ausgestattet ist. Ein weiteres Attribut, das regelmäßig erwähnt wird, ist, dass es eindeutig ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale und einen erlesenen Sinn für Humor hat («kosmischer Humor»).

Tröma Nakmo, die Kali des tibetischen Buddhismus. Bild: Machig Labdron, 19. Jh.

Das höchste kosmische Prinzip kann auf zwei verschiedene Weisen erfahren werden. Manchmal lösen sich alle persönlichen Grenzen auf oder werden drastisch ausgelöscht, und wir verschmelzen vollständig mit der göttlichen Quelle, werden eins mit ihr und sind nicht mehr von ihr zu unterscheiden. Andere Male behalten wir das Gefühl der Eigenständigkeit, indem wir die Rolle eines staunenden Beobachters einnehmen, der das Mysterium tremendum des Seins wie von außen betrachtet. Wir könnten auch eine kindliche Haltung zum Göttlichen einnehmen, indem wir es als Vater oder Mutter erleben. Nach dem Beispiel der heiligen Teresa von Avila, den Bhaktas und den Mystikern, die der persische transzendente Dichter Rumi aus dem 13. Jahrhundert beschreibt, könnten wir auch die Ekstase eines verzückten Liebhabers spüren, der das Göttliche als seine Geliebte erfährt.
Die spirituelle Literatur aller Zeiten wimmelt von Beschreibungen beiderlei Erfahrungen des Göttlichen. Wir  können hier als ein gutes historisches Beispiel den Austausch zwischen Sri Ramana Maharshi, dem hinduistischen Weisen und Lehrer der Advaita Vedanta, der nicht-dualen Meditation, und Sri Ramakrishna, einem Bhakta-Verehrer der Göttin Kali, nennen. Sri Ramana Maharshi veranschaulichte die nicht-duale Erfahrung durch die Geschichte einer Zuckerpuppe, die im Meer schwimmen ging, weil sie die Tiefe des Ozeans erleben wollte, und sich vollständig in seinem Wasser auflöste. Sri Ramakrishna konterte: «Ich will Zucker schmecken, nicht Zucker werden!»

Der kosmische Urgrund: Suprakosmische und metakosmische Leere
Die Begegnung mit dem Absoluten Bewusstsein oder die Identifikation mit ihm ist nicht der einzige Weg, um das höchste schöpferische Prinzip des Kosmos oder der Ultimativen Realität zu erfahren. Die zweite Art von Erfahrung, welche die nach ultimativen Antworten Suchenden zufrieden zu stellen scheint, ist besonders überraschend, da sie keinen spezifischen Inhalt hat. Es ist die Identifikation mit dem kosmischen Vakuum und dem Nichts, die in der mystischen Literatur als Erfahrung der Leere bezeichnet wird. Es ist wichtig klarzustellen, dass nicht jede Erfahrung innerlichen Leerseins, der wir in holotropen Zuständen begegnen können, als die Leere gilt. Sehr oft wird dieser Begriff verwendet, um einen unangenehmen Mangel an Empfindung, Initiative, Inhalt oder Sinn zu beschreiben. Um dem Begriff Leere gerecht zu werden, muss dieser Zustand ganz bestimmte Kriterien erfüllen.
Wenn uns diese Leere widerfährt, spüren wir, dass sie die ursprüngliche Abwesenheit kosmischer Maß- und Sinnhaftigkeit ist. Wir werden reines Bewusstsein dieses absoluten Nichts; gleichzeitig jedoch haben wir das merkwürdige, paradoxe Gefühl, dass es eigentlich voll ist. Dieses kosmische Vakuum ist auch ein Plenum, da nichts darin zu fehlen scheint. Zwar enthält es nichts in handgreiflicher Form, doch scheint es alles Seiende in potenzieller Form zu umfassen. Die Leere transzendiert die üblichen Kategorien von Zeit und Raum. Sie ist unveränderlich und liegt jenseits aller Dichotomien und Polaritäten, wie Licht und Dunkelheit, Gut und Böse, Stabilität und Bewegung, Mikrokosmos und Makrokosmos, Agonie und Ekstase, Singularität und Pluralität, Form und Leere, ja sogar Sein und Nicht-Sein.
Manche Menschen nennen sie die Suprakosmische und Metakosmische Leere, was bedeuten soll, dass diese Leere, dieses Nichts, diese Potenzialität das Prinzip zu sein scheint, das der Erfahrungswelt, wie wir sie kennen, zugrundeliegt, sie erschafft und ihr zugleich übergeordnet ist. Dieses metaphysische, alle Potenzialität beinhaltende Vakuum, scheint die Wiege von allem zu sein, was es gibt, der Urgrund, der Ursprung des Seins. Dieser kosmische Urgrund besteht aus der Intelligenz, Kreativität und immensen Energie, die notwendig sind, um Universen zu erschaffen. Die Erschaffung sämtlicher Erscheinungswelten ist damit die Verwirklichung und Konkretisierung seiner präexistenten Möglichkeiten. Es ist unmöglich, in Worte zu fassen, wie empirisch überzeugend und logisch diese paradoxen Antworten auf die grundlegendsten und tiefsten Fragen des Seins sind. Um diese außergewöhnlichen Zustände voll zu verstehen, muss man sie selbst erleben.
Ervin Laszlo, der weltweit führende ungarisch-italienische Systemtheoretiker und Wissenschaftsphilosoph, nannte dieses geheimnisvolle Reich jenseits von Raum und Zeit Akashic Holofield. In einem seiner neuesten Bücher mit dem Titel What Is Reality: The New Map of Cosmos, Consciousness, and Existence (Was ist Realität: Die neue Landkarte des Kosmos, des Bewusstseins und der Existenz) bringt Laszlo eine Fülle von wissenschaftlichen Feldern, Philosophie und Metaphysik zusammen und schlägt ein brillantes neues Paradigma vor (Laszlo 2016). Laszlos Konnektivitätshypothese bietet Lösungen für viele Paradoxone, die verschiedenen Disziplinen der modernen westlichen Wissenschaften zu schaffen machen und eine Brücke zwischen Wissenschaft und Spiritualität schlagen (Laszlo 2003).

Das innere Jenseits
Im systematischen spirituellen Üben mit Hilfe holotroper Bewusstseinszustände können wir immer wieder die gewöhnlichen Grenzen des Körper-Ichs transzendieren. In diesem Prozess entdecken wir auch, dass jegliche Grenzen im materiellen Universum und in anderen Realitäten letztlich willkürlich und überwindbar sind. Indem wir die Beschränkungen der Rationalität und die Zwangsjacke des gesunden Menschenverstandes und der Alltagslogik überwinden, können wir viele trennende Barrieren durchbrechen, unser Bewusstsein auf normalerweise unvorstellbare Dimensionen erweitern und schließlich die Vereinigung und Identität mit dem transzendenten Ursprung alles Seienden erleben, wie aus der spirituellen Literatur unter vielen verschiedenen Namen bekannt ist.

«Tat tvam asi», wörtlich übersetzt: «Du bist das», bedeutet «Du bist göttlichen Wesens» oder «Du bist Gottheit».

Wenn wir zur erlebten Identifikation mit dem Absoluten gelangen, wird uns klar, dass unser eigenes Sein letztlich deckungsgleich mit dem gesamten kosmischen Schöpfungsnetz, mit dem ganzen Sein ist. Die Anerkennung unserer eigenen Göttlichkeit, unserer Identität mit dem kosmischen Ursprung, ist die wichtigste Entdeckung, die wir während der tiefen Selbsterforschung machen können. Dies ist der Kern der berühmten Antwort auf die Frage nach unserer wahren Identität, die wir im altindischen Chandogya Upanishad gefunden haben: «Tat tvam asi». Wörtlich übersetzt heißt dieser Satz: «Du bist das» und bedeutet «Du bist göttlichen Wesens» oder «Du bist Gottheit». Er macht deutlich, dass unsere alltägliche Identifikation mit dem «hautumschlossenen Ich», dem verkörperten individuellen Bewusstsein oder «Name und Form» (namarupa), eine Illusion ist und dass unser wahres Wesen in der kosmischen Schöpfungsenergie (Atman-Brahman) besteht.

Worte für das Unaussprechliche
Das höchste kosmische Prinzip ist in holotropen Bewusstseinszuständen unmittelbar erfahrbar, entzieht sich aber jeglichen Versuchen einer adäquaten Beschreibung oder Erklärung. Die Sprache, mit der wir über Dinge des täglichen Lebens kommunizieren, ist für diese Aufgabe einfach nicht ausreichend. Individuen, die diese Erfahrung gemacht haben, scheinen sich darin einig zu sein, dass es unaussprechlich ist. Worte und Struktur unserer Sprache sind furchtbar ungeeignete Werkzeuge, um ihre Natur und ihre Dimensionen zu beschreiben, besonders für diejenigen, die sie noch nicht erlebt haben. Laozi, der legendäre chinesische taoistische Philosoph, brachte es in seinem klassischen Text Tao-Te-Ching sehr prägnant zum Ausdruck: «Ein Dao – kann es als Dao bestimmt werden, ist es kein stetiges Dao. / Ein Name – kann er als Name bestimmt werden, ist er kein stetiger Name.»
Jeder Versuch, transzendente Erfahrungen zu beschreiben, muss sich auf Worte der Umgangssprache stützen, die entwickelt wurden, um sich über Gegenstände und Aktivitäten auszutauschen, wie sie im normalen Bewusstseinszustand unseres täglichen Lebens erfahren werden. Aus diesem Grund erweist sich Sprache als unzulänglich und untauglich, wenn wir von den Erfahrungen und Einsichten, die uns in verschiedenen holotropen Bewusstseinszuständen zuteil werden, berichten wollen. Dies gilt besonders dann, wenn unsere Erfahrungen die letzten Probleme des Seins, wie die Leere, das Absolute Bewusstsein und die Schöpfung zum Gegenstand haben.
Diejenigen, die mit östlichen spirituellen Philosophien vertraut sind, greifen häufig auf Wörter aus verschiedenen asiatischen Sprachen zurück, wenn sie ihre spirituellen Erfahrungen und Erkenntnisse beschreiben. Sie verwenden Sanskrit, tibetische, chinesische oder japanische Begriffe. Diese Sprachen entstanden in Kulturen mit einem großen Feingefühl für holotrope Zustände und spirituelle Erfahrungen. Anders als die westlichen Sprachen enthalten sie viele Fachbegriffe eigens für spezifische Nuancen der mystischen Erfahrungen und verwandter Themen, wie zum Beispiel nirvikalpa und samikalpa samadhi, sunyata, kensho, satori, Tao, nirvana, Kundalini, chi oder ki energy, bardo, anatta, samsara, maya und avidya. Letzten Endes sind auch diese Wörter nur von denjenigen zu verstehen, die über entsprechende Erfahrungen verfügen.

Auszug aus:
Stanislav Grof
Psychonautik
Praxis der Bewusstseins-forschung
Nachtschatten Verlag 2018