Die Urahnen der Sortenvielfalt

Landrassen als Grundlage moderner Cannabis-Kultur

Cannabis hat sich aus Zentralasien über die ganze Welt verbreitet. Heutzutage gibt es Tausende von Cannabissorten  oder -strains mit wohlklingenden Namen. Bei manchen, so zum Beispiel der beliebten O. G. Kush, kann man die Abstammung noch am Namen erkennen. So stammen alle Kush-Sorten ursprünglich von Cannabissorten aus dem Hindukush ab, einem Gebirge in Zentralasien. Bei anderen Strains wie zum Beispiel einer New York Diesel kann man deren Vorfahren aus Zentralasien und Südamerika nur erschmecken oder erfragen. Die heute angebotenen Sorten wurden durch jahrelange Selektion gezüchtet sowie untereinander gekreuzt und haben deshalb nur noch wenig mit ihren nicht domestizierten Urahnen gemein. Diese wilden Vorfahren werden in Züchterkreisen als Landrassen bezeichnet und haben einen legendären Ruf, auch wenn sie den Ansprüchen der meisten Cannabis-Liebhaber heutzutage nicht mehr gerecht werden. Denn bei Landrassen sind Wirkstoffgehalt und Ertrag lange nicht so hoch wie bei den vielen Sorten, die über Jahre oder Jahrzehnte aus ihnen gezüchtet wurden. Aber dafür verfügen sie über Eigenschaften, nach denen legale wie illegale Grower suchen. Ein besonders niedriger oder hoher Wuchs, eine besonders kurze oder lange Blütezeit, ein hoher Cannabidiol-Gehalt, die Anfälligkeit für Krankheiten, der Nährstoffbedarf oder auch die enthaltenen Terpene – das alles hängt entscheidend vom Ursprung einer Sorte ab.

Grundlage der modernen Cannabiszucht. Ende der 1960er und in den 1970er Jahren begannen Cannabis-Pioniere aus den USA und den Niederlanden, auf ihren Weltreisen Cannabissamen aus den Cannabis-Anbaugebieten auf der ganzen Welt zu sammeln, um zurück in der Heimat die ersten Zuchtversuche zu unternehmen. Der Australier Nevil Schoenmaker, Gründer von The Seed Bank, der ersten Samenbank der Welt, SensiSeeds-Gründer Ben Dronkers, Autor R. C. Clarke und andere hatten sich auf den Weg gemacht, um das verlorene Wissen über Hanf und dessen Anbau neu zu entdecken. Sie wollten es an die Menschen in den Industrienationen weitergeben, trotz oder gerade wegen des nahezu globalen Cannabisverbots. Die europäischen Sortensucher zog es meist nach Nordafrika, Indien, Afghanistan, Pakistan oder in die Türkei. Die ersten «Cannasseure» aus den USA und Australien waren Hippies, die Lateinamerika bereisten, oder US-Soldaten, die nach Thailand, Laos, Kambodscha und auf die Philippinen geschickt wurden.

Botaniker teilten Cannabis lange in Sativa-, Indica- und Ruderalis-Sorten ein, doch für spezialisierte Cannabiszüchter ist diese Einteilung nicht spezifisch genug. Sie sagt wenig über die speziellen Bedürfnisse oder Eigenschaften einer Sorte aus. Eine Sativa-Pflanze wie die Durban Poison, die auf Meereshöhe gedeiht, wächst schneller als eine Nepali Sativa auf 2000 Meter ü.M. Dafür verträgt die alpine Landrasse aufgrund ihrer Anpassung an die Höhenlage viel mehr UV-Licht. Auch sonst haben viele Sativa-Landrassen außer ihrem Namen wenig gemeinsam. Kennt ein Züchter oder ein einfacher Hanfgärtner jedoch die genauen Ursprünge und somit auch die Bedürfnisse und Eigenschaften einer Sorte, erleichtert das die optimale Pflege. Zudem sind Landrassen zur Entwicklung neuer Sorten ein heiß begehrtes Gut unter Cannabiszüchtern.

Cannabis-sativa-Landrassen.Landrassen, die US-Grower in den siebziger Jahren ins Land schmuggelten und heimlich weiter züchteten, hießen Jamaican Collie, Thai Stick, Acapulco Gold, Punto Rojo oder Colombian Gold und sind als 100-prozentige Sativa-Pflanzen die Grundlage für sehr viele Strains. Die aus äquatornahen Gebieten stammenden Sorten wachsen schnell und hoch; sie brauchen einen nährstoffreichen Boden, viel Regen, viel intensive Sonneneinstrahlung sowie warme Nächte. Aufgrund des tropischen Klimas, aus dem sie stammen, werden sie gut mit Schädlingen fertig und haben sich durch ihre äquatoriale Herkunft gleichen Tag- und Nachtlängen angepasst. Ihre Wuchsform ist eher gestreckt, die Internodien sind länger als bei Indica-Sorten. Ihre Blätter sind schmal und werden oft als fingerähnlich beschrieben. Cannabis-Konsumenten schildern die Wirkung reiner Sativa-­Pflanzen oft als ein klares, fokussierendes High.

Cannabis-indica-Landrassen. Die Anfänge der europäischen Cannabiszucht liegen in Indien, Afgha­nistan, Pakistan, der Türkei und Marokko. Die Landrassen dort sind wegen des kühleren, trockeneren Klimas und der kargen Böden in diesen Re­gionen kleiner und gedrungener, brauchen weniger Nährstoffe und vertragen ein trockeneres Klima. Sie kennen unterschiedliche Tageslängen sowie größere Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht. Landrassen aus diesen Regionen sind die Grundlage für relativ kurz blühende Sorten. Typische Merkmale dieser Genetiken sind eine gedrungene Wuchsform, kurze Internodien, eine sehr schnelle Blüte und ein sehr hoher Harzanteil. Die Wirkung von Cannabis-indica-lastigen Sorten wird als entspannend und beruhigend beschrieben. Durch die extremen Wetterbedingungen in den Anbauländern sind die Pflanzen stabiler geworden und akklimatisieren sich schneller an neue Bedingungen als Sativa-Pflanzen.

Beim Kreuzen mit den insgesamt weiter verbreiteten Sativa-Landrassen haben sich Indicagene […]

Michael Knodt
Fotos: Jürg Augstburger

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