Seit 45 Jahren läuft der Krieg gegen die Drogen. Richard Nixon machte sie 1971 zum «Staatsfeind Nummer eins» und wollte mit seiner Konvention über psychotrope Substanzen Drogenkriminalität und -missbrauch in der Bevölkerung eindämmen. War es sinnvoll, die Mitglieder einer Gesellschaft zu ihrer vermeintlichen Sicherheit zu bevormunden?
Frank Tempel: Zunächst einmal bedient die Drogenpolitik, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten etabliert hat, einen natürlichen menschlichen Reflex – nämlich die Skepsis vor dem Unbekannten. Drogen sind gefährlich, und vor allem Kinder und Jugendliche müssen davor geschützt werden. Das ist die allgemeine Meinung gegenüber dem Thema. Allerdings läuft die repressive Strategie, die man national und international in der Drogenpolitik verfolgt, vollkommen am Ziel vorbei. Von Sicherheitspolitik kann nicht im Entferntesten die Rede sein. Der Schwarzmarkt, dessen sich die Konsumenten illegaler Substanzen bedienen müssen, fördert die organisierte Kriminalität und bietet zum Teil extrem gefährliche Produkte wegen ihrer unbekannten Streckmittel an. Von dieser repressiven Strategie muss man dringend absehen! Die Lösung wäre denkbar einfach: Cannabis vom Schwarzmarkt nehmen, indem man den Konsumenten einen alternativen Zugang bietet.
Sie waren als ehemaliger Polizeibeamter jahrelang Teil dieses Systems der Drogenbekämpfung. Jetzt sind Sie Legalisierungsbefürworter. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?
Während meiner Dienstjahre als Kriminalbeamter habe ich intensiv daran gearbeitet, die Handelsstrukturen des Drogenverkehrs aufzudecken. Ich bin dabei relativ schnell auf ein sehr feingliedriges Netz gestoßen, dessen Auflösung dem Kampf gegen eine Hydra glich. Hat man einen Dealer geschnappt, tauchen sofort zwei neue auf, um die Lücke zu füllen. Diese Sachlage ist mit polizeilichen und rechtlichen Mitteln nicht zu lösen. Hinzu kommt ein noch viel wichtigerer Aspekt, nämlich die Verhältnismäßigkeit von Strafverhängungen. Normalerweise hatte ich es mit Menschen zu tun, die Mitbürger an Eigentum oder Gesundheit geschädigt haben. Ihnen wurde dann nach geltendem Gesetz eine der Schädigung entsprechende Strafe erteilt. Im Fall von Drogenkonsumenten habe ich es andererseits mit Menschen zu tun, die sich in erster Linie potenziell selbst schädigen, aber erst einmal keine Gefahr für Mitmenschen darstellen. Auch sie werden nach geltendem Gesetz bestraft – und das extrem unverhältnismäßig! Als ich mich dann mit der Frage auseinandersetzte, ob die derzeitige Drogenpolitik so weitergehen kann wie bisher oder ob man einen anderen Weg gehen muss, bin ich schnell zu letzterem Entschluss gekommen. Die repressive Drogenpolitik hat nicht nur komplett versagt, sie richtet auch noch erheblichen Schaden an.
In einer Bundestagsrede zum Thema Cannabis als Medizin bezeichneten Sie die Drogenpolitik der Regierung als „unterlassene Hilfeleistung“…
… und das aus gutem Grund. Patienten wird es durch Sondergenehmigungen sehr schwer gemacht, an Medizinalhanf zu kommen. Wenn man, wie ich, die Leidensgeschichten dieser Menschen direkt mitbekommt, dann muss man feststellen, dass es sich auf moralischer Ebene um unterlassene Hilfeleistung handelt. Viele Menschen haben Angst vor Cannabis, da es als vermeintliche Einstiegsdroge den Konsum anderer Substanzen in zusätzliche Bereiche der Gesellschaft ausweitet. In der Politik nimmt man diese unbegründete Angst auf und verhindert die Verwendung von medizinischem Cannabis, da man nicht als Vorreiter einer Cannabislegalisierung stilisiert werden will. Dazu kommt dann noch der Gegenwind der pharmazeutischen Industrie. Ich vermute, dass eine Heilpflanze wie Cannabis ein enormes Konkurrenzprodukt für diese darstellt.
Die Bundesdrogenbeauftragte, Marlene Mortler, sprach auf der Sonderversammlung der Vereinten Nationen zum Weltdrogenproblem im April 2016 über ihr Anliegen, den Menschen und die öffentliche Gesundheit in den Mittelpunkt zu stellen. So schlimm kann es doch also um die aktuelle Situation nicht bestellt sein?
Es ist wohl eher so, dass Frau Mortler nicht die Wahrheit sagen will. Dann wäre ihre Aussage gewesen, dass der Krieg gegen die Drogen verloren ist und man immer noch an einer falschen Strategie festhält. Letztes Jahr mussten sich Patienten mit Multipler Sklerose durch mehrere Instanzen klagen, um an medizinisches Cannabis zu kommen oder um es selbst anbauen zu dürfen. In Deutschland wurden bisher 1000 Sonderanträge zu medizinischem Cannabis bewilligt, in Israel mit viel geringerer Bevölkerung schon über 9000. Ich finde nicht, dass man hierzulande in dieser Hinsicht davon reden kann, die öffentliche Gesundheit in den Mittelpunkt zu stellen. Es gibt noch viel Aufholbedarf in Sachen Forschung und Praxis.
Sehen Sie wegen der Illegalität von Cannabis und anderen Substanzen wie Psilocybin und LSD eine Zensur der Wissenschaft?
Ich würde es nicht Zensur nennen, allerdings wird das gesundheitspolitische Potenzial von Cannabis nicht ausgeschöpft. Die Forschung hängt von den bereitgestellten finanziellen Mitteln ab. Geld für Forschung ist der Wegbereiter zu mehr Wissen, und davon gibt es in diesem Bereich definitiv zu wenig. Solange Deutschland zu behäbig ist, etwas in diesem Bereich zu ändern, sind wir auf Wissensimport aus Ländern wie Uruguay angewiesen, um die Symptome von Patienten mit Krebs, AIDS, Tourette-Syndrom oder Multipler Sklerose zu lindern. […]
Christoph Benner
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