Eine Frau aus Deutschland zog nach Angaben der Springer-Zeitung WELT die 550-fache Dosis dessen, was man bei LSD als „normale Dosis“ betrachtet (100 Mikrogramm). Das Pulver, dass sie von ihrem Mitbewohner hatte, hielt sie für Kokain. Ein lebensverändernder Trip folgte.
Im WELT-Artikel ist die Frau als „CB“ bezeichnet, um größtmögliche Anonymität zu wahren. Auch erfährt der Leser nichts über ihre Herkunft und ihren Wohnort, wohl aber über ihr Alter: Als sich die Geschichte 2015 zutrug, war sie 46 Jahre alt. Es findet sich auch eine detaillierte Beschreibung dessen, was nach der Einnahme von 55 Milligramm LSD-25 mit der Person geschah: Nach erstem ergiebigem Erbrechen, saß sie – laut Aussage ihres Mitbewohners – 24 Stunden dauertrippend in einem Sessel, mal mit schaumigem Mund, mal mit in den Kopf rollenden Augen. Auch Alalie (Unfähigkeit, sinnvolle Worte oder Sätze zu bilden) stellte sich ein, und weiteres sich Übergeben blieb nicht aus. Die Pflege ihres Mitbewohners war in diesen Momenten dringend nötig, war CB doch kaum in der Lage dazu, alleine zu essen – selbst, als das LSD bereits aufhörte zu wirken. Die Userin selbst konnte sich an so gut wie gar nichts erinnern.
Was zuerst nach schlimmstem Horror klingen mag, hatte tatsächlich eine heilsame Wirkung auf CB: Die unter Lyme-Borreliose leidende Schmerzpatientin, die aufgrund ihrer chronischen Erkrankung zur Morphinistin wurde, hatte nach der Überdosierung fünf Tage weder Schmerzen noch Bedürfnisse nach einer Morphin-Einnahme. Auch Symptome eines Entzugs blieben aus. Die wenige Tage später wieder auftretenden Schmerzen ließen sich mit geringeren Dosen Morphin sowie LSD gut unter Kontrolle halten bzw. lindern. Als sie 2018 das starke Schmerzmittel letztendlich ganz absetzte, hatte sie überhaupt keinerlei Entzugserscheinungen.
Mark Haden, Geschäftsführer der MAPS und Professor an der University of British Columbia, untersucht solche Fälle in Studien. Da Experimente dieses Grades sich wissenschaftsethisch nicht rechtfertigen lassen, untersucht er stattdessen das Phänomen versehentlicher Überdosierungen und deren Wirkungen und Folgen. Hadens Interesse gilt der Heilung von Sucht-, Depressions-, Angst- und posstraumatischen Belastungsstörungen mithilfe von Psychedelika. Das Ereignis, das CB widerfuhr, findet sich in einer von drei Fallstudien, die Haden gemeinsam mit Birgitta Woods durchführte und hier auf der Seite des Journal of Studies on Alcohol and Drugs veröffentlichte. Alle drei Fälle belegen, dass den Überdosierten weitreichend-negative gesundheitliche Folgen erspart blieben; eine der untersuchten Frauen war sogar schwanger und gebar einige Zeit nach dem Erlebnis einen gesunden, geistig unbeeinträchtigten Sohn. Die Fallstudien grenzen sich vor allem deutlich von klinischen Studien ab, wie z.B. von den Psychoaktiva-Forschungen Peter Gassers.
Trotzdem sollten keine voreiligen Schlüsse gezogen werden, meint Haden. Denn Lysergsäurediethylamid erwies sich bereits bei Tierversuchen an Elefanten und Kaninchen durchaus als tödlich. Es gibt allerdings keinen dokumentierten, durch LSD induzierten Todesfall eines Menschen. Der WELT teilte Haden dennoch mit:
„Es ist zu früh, um die Bedeutung für den klinischen Kontext einzuschätzen. Ich bin nicht wirklich erstaunt, dass derartig hohe Dosierungen positive Effekte haben. Grundsätzlich ist es beunruhigend und unangenehm, versehentlich eine hohe Dosis LSD zu nehmen – vor allem wenn die Umgebung nicht sicher ist.“
Mark Haden in der WELT