II WORLD AYAHUASCA CONFERENCE 2016

Zwischen Tradition und Veränderung

Ninawá Hunikuin beim Verlesen der Schlussbotschaft Foto: PD

Artikel aus dem Magazin

VORBEREITUNG In Rio Branco, der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaats Acre, wird während sechs Tagen die zweite World Ayahuasca Conference mit über hundert Rednern und mehreren hundert Besuchern stattfinden.

AUFSTIEG Bei der Eröffnungsprozession auf dem großen überdachten Platz der Universität wissen von weit her angereiste Besucher nicht so recht, ob sie sich der Zeremonie anschließen oder doch eher zuschauen sollen. Einige Teilnehmer, viele von ihnen mit Federn geschmückt, bilden eine sich bewegende und singende Menschenkette, während andere erst einmal anzukommen scheinen. Der eine oder die andere verspürt möglicherweise einen Anflug von Unbehagen oder Ehrfurcht: «Darf ich das? Wie komme ich auf die Idee, zu glauben, etwas über Ayahuasca zu wissen – oder, um etwas darüber zu erfahren, in ein Flugzeug zu steigen und heiligen Boden zu betreten, wo Ayahuasca seit Jahrhunderten ein nicht wegzudenkender Teil des Alltags, der Gesellschaft ist?» Und dann ertappt man sich im nächsten Moment dabei, auch die diesen Gedanken zugrundeliegenden Dogmen infrage zu stellen.

PLATEAU Die Komplexität des spezifischen und doch vielseitigen Themas zeigt sich in den Vorträgen, die das Gebräu, das Phänomen, die Medizin oder die Kultur von Ayahuasca aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchten: Es gibt Referate und Diskussionen über indigene Kulturen, Religion, Schamanismus und Neo-Schamanismus, Naturwissenschaften wie Biomedizin, Pharmazie, Botanik oder Neurowissenschaften, Psychologie, Therapie und Gesundheit, Soziologie, Anthropologie, Philosophie, Globalisierung, Politik, Recht, Ethik und Nachhaltigkeit, Kunst und Gesellschaft. Auch die Besucher sind bunt gemischt: Indigene mehrerer Stämme, Wissenschaftler und Praktiker aus verschiedenen Bereichen, Kunstschaffende, Reisende, Kirchenvertreter und allgemein Interessierte.
Die erste World Ayahuasca Conference war offenbar ganz Ibiza-like ein harmonisches Idyll; hier in Rio Branco wird nun ein dissonanterer Grundton spürbar. Wer mit einer New-Age-Illusion über die heile Welt der indigenen Völker angereist ist, hat die Gelegenheit, damit aufzuräumen. So zeigen sich beispielsweise die Konflikte zwischen den verschiedenen Stämmen, der Camino-Rojo-Bewegung und den Ayahuasca-Religionen (hier vor allem Santo Daime und União do Vegetal) manchmal subtil, manchmal deutlich. Auch die Ansicht, die naturwissenschaftliche Untersuchung eines durch Psychedelika veränderten Bewusstseinszustands sei ein Widerspruch in sich oder werde der Erfahrung nicht gerecht, ist vertreten. Ein Besucher berichtet, er habe sich bei der Präsentation einer Studie mit Rattenversuchen gefragt, worum es denn hier eigentlich gehe.
Während einige Indigene der Globalisierung kritisch gegenüberstehen und deren negative Folgen für ihre Gemeinschaften aufzeigen – Kulturzerfall, Geld und Macht, Alkohol, Missbrauch, Ausbeutung der Natur –, betonen andere wie der Shipibo-Schamane Carlos Llenera, dass jeder, unabhängig von seiner Herkunft, die Verantwortung für sein Tun übernehmen müsse; es gehe um Dialog und Integration. Laut Glauber Loures de Assis ist das Ziel gegenseitiges Verständnis und eine Balance zwischen Tradition und Veränderung. Der Ayahuasca-Tourismus sei vom allgemeinen Tourismus im Zuge der Globalisierung nicht zu trennen. Nebst zuversichtlich stimmenden Referaten gibt es auch ernüchternde Aussagen wie diejenige der Anthropologin Evgenia Fotiou: «The indigenous can’t win, if they don’t fulfill the stereotype» – die Indigenen können nicht gewinnen, wenn sie das Stereotyp nicht erfüllen.
José Carlos Bouso von ICEERS betont im Zusammenhang mit dem Ayahuasca-Gebrauch im Westen die Wichtigkeit eines Basiswissens über Psychopathologie, da für Westler nicht alles aus einer rein spirituellen Perspektive verstehbar sei, und plädiert für die Integration westlichen Wissens, statt dieses als nicht-spirituell abzulehnen. Während die einen über das kurative Potenzial von Ayahuasca referieren – Draulio de Araujo über akute und langfristige antidepressive Effekte, Kenneth W. Tupper über die Therapie bei Essstörungen – steht für andere, wie Richard Furr, Schadensminimierung im Vordergrund. Raimunda Luiza erzählt von ihrem Weg als Frau im Stamm der Yawanawa, wo Ayahuasca früher den Männern vorbehalten war. Heikle Aspekte wie ritueller sexueller Missbrauch (im Referat von Alhena Caicedo), spirituelle Illusionen oder Ego-Inflation als Stolpersteine der westlichen) Spiritualität (in Clancy Cavnars Beitrag) werden thematisiert. Benjamin de Loenen erläutert die Bedeutung des Unterschieds zwischen einem indigenen Tribe (die Gemeinschaft, in die man geboren wird) und einem westlichen Tribe (Gleichgesinnte, die wir uns aussuchen). Auch konkrete Projekte werden vorgestellt, wie zum Beispiel die Suchttherapie im Zentrum Takiwasi (Jacques Mabit), das global ayahuasca project (Daniel Perkins), der ICEERS support service (Marc Aixalà) und ein Reintegrationsprojekt mit Obdachlosen (Bruno Ramos Gomes, Rubens C. Adorno).
Vom mikroskopischen Blick auf den Sigma-1-Rezeptor (Antonio Inserra, Dennis Schiaroli) über 5-MeO-DMT, Gedächtnis und Angst (Bruno Lobaão & al.) geht die Reise über grundlegende kulturelle Unterschiede beim Verständnis von Zeit, Gesundheit und Krankheit, Sinnesmodalitäten und Geschlechterrollen bis hin zur globalökologischen Perspektive Dennis McKennas: Der Mensch sei aktuell die gefährlichste und gleichzeitig die vielversprechendste Spezies der Erde; die Meister- und Lehrerpflanzen seien aus dem Amazonasgebiet gekommen, um uns Weisheit zu lehren und uns aufzuwecken. Mit seinem Vortrag berührt er die Zuhörer jenseits aller Glaubensrichtungen und Dogmen.
Als Alternative zu den Vorträgen gibt es ein Filmprogramm und Marktstände. Abends trifft man sich zum Essen, tauscht sich aus und schmiedet gemeinsame Pläne. Auch Kinder haben ihren selbstverständlichen Platz in der Kongressgesellschaft und einige Teilnehmer haben fürs gemeinsame Musizieren Instrumente mitgebracht.
Im Bundesstaat Acre sind viele Ayahuasca-Kulturen und -Religionen staatlich anerkannt und ins öffentliche Alltagsleben integriert. So gibt es auch ganz selbstverständlich verschiedene Gelegenheiten, sich Gruppen anzuschließen, einen Einblick in die lokal üblichen Praktiken zu erhalten und sich mit der Medizin auf die Reise nach innen zu begeben.

ABSTIEG Am Flughafen von Rio Branco sind auf einem kleinen Monitor die aktuellen Nachrichten zu sehen. Der Bericht lobt die außerordentliche Leistung der drei Simultan-Übersetzer, die an der Konferenz im Hintergrund dafür gesorgt haben, dass man im Hauptsaal die Vorträge auf Portugiesisch, Spanisch und Englisch hören konnte. Das am Bildschirm gezeigte Foto verrät die drei erschöpft und glücklich wirkenden Menschen im Warteraum des Flughafens.

INTEGRATION Die zweite World Ayahuasca Conference deckte Differenzen auf und überbrückte sie gleichzeitig, indem sie Perspektiven und Weltanschauungen zusammenbrachte – zugunsten einer friedvollen Koexistenz.

Mehr über die Konferenz: www.ayaconference.com

Helena Aicher